Proteste der "Letzten Generation": Burgfrieden mit Marburg

    Proteste für mehr Klimaschutz:"Letzte Generation": Burgfrieden mit Marburg

    Kristina Hofmann
    von Kristina Hofmann
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    Mit Marburg hat die dritte Stadt Burgfrieden mit dem Klima-Bündnis "Letzte Generation" geschlossen. SPD und FDP kritisieren das, die Grünen finden ihn gut.

    Klima-Aktivisten der "Letzten Generation" blockieren Berliner Autobahnabfahrt im morgendlichen Berufsverkehr
    Aktivisten der "Letzten Generation" wollen weitermachen. Jedenfalls überall da, wo Städte keine Vereinbarung getroffen haben.
    Quelle: imago/Die Videomanufaktur

    Hannover, Tübingen und nun Marburg, weitere könnten es werden: Kommunen stellen sich hinter die Forderungen der "Letzten Generation". Im Gegenzug wollen sich die Klimaaktivisten in diesen Städten nicht mehr auf die Straße kleben und den Verkehr blockieren.
    Marburgs Oberbürgermeister Thomas Spies belässt es aber nicht bei der lokalen Vereinbarung. Per Brief bittet er seinen Parteifreund Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und alle Fraktionsspitzen der Parteien im Bundestag, bis auf die AfD, die Forderungen der "Letzten Generation" "wohlwollend zu prüfen und positiv zu bewerten".

    "Akzeptieren kein rechtswidriges Verhalten"

    Denn die Forderungen der "Letzen Generation", so Spies, unterstütze er "nachdrücklich". Das sind vor allem das Neun-Euro-Ticket, ein Tempolimit auf den Autobahnen und die Einrichtung eines repräsentativen Rates aus Bürgerinnen und Bürgern, um die Klimaneutralität bis 2030 zu erreichen. Auch Marburg, schreibt Spies, habe schon einige Maßnahmen dafür eingeleitet. Das werde aber nicht reichen:

    Wir werden auch Marburg nur dann die Klimaneutralität bis 2030 erreichen können, wenn EU, Bundes- und Landesregierungen ihren notwendigen Beitrag leisten.

    Thomas Spies (SPD), Oberbürgermeister von Marburg

    Der Kanzler hat noch nicht in Marburg angerufen, einige Kommunen schon. Auch wenn Scholz von "mehr Tempo bis 2030" ausgerechnet heute bei der Kabinettsklausur in Meseberg sprach. Seine Stadt, so Spies, umfasse gerade einmal 0,1 Prozent der deutschen Bevölkerung. Sein Ziel klingt deswegen bescheidener als der Brief: "Eine ernsthafte Prüfung" der Marburger Forderungen "würde mich sehr freuen", sagte er ZDFheute.
    Mit Toleranz gegenüber den Aktionen der "Letzen Generation" habe das übrigens nichts zu tun. "Selbstverständlich akzeptieren wir kein rechtswidriges Verhalten." Auch in Marburg hätten sich viele über den blockierten Verkehr geärgert. Eine weitere Eskalation helfe jedoch "niemanden", sagt Spies. Die Forderungen, so formuliert es der SPD-Politiker im Brief, verdienten "unabhängig der eingesetzten Protestform" eine parlamentarische Beratung.

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    Kritik von SPD und FDP: "Dubiose Deals"

    Viele sehen in dem Beschmieren des Grundgesetz-Denkmals am Wochenende in Berlin allerdings genau das: eine Eskalation, Erpressung gar. Bundestagsvizepräsidentin Bärbel Bas (SPD), Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatten die Aktion der "Letzten Generation" kritisiert. Bundestagsabgeordneter Michael Roth, wie Spies aus dem SPD-Landesverband Hessen, schrieb auf Twitter: "Was für eine billige, würdelose Aktion. Ihr scheißt auf die Grundrechte, zerstört Kunst ähnlich wie die Taliban und fühlt Euch noch als Heldinnen und Helden!"
    Tweet von Michael Roth, SPD
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    Nina Scheer, klimapolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, kritisiert die Marburger Vereinbarung. Sie findet es zwar verständlich, wenn Kommunen Lösungen suchen und Vereinbarungen schließen. "Zugleich darf sich der Staat dabei nicht erpressbar machen", sagte Scheer ZDFheute. In der Demokratie würden politische Aufgaben von Gewählten übernommen, nur so sei Mitbestimmung zu garantieren:

    Vertragliche Vereinbarungen unterwandern dies, wenn sie etwa allein dem Zweck dienen, Proteste zu beenden, und dabei lauteren Stimmen mehr Gewicht als leiseren einräumen.

    Nina Scheer, klimapolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion

    Konstantin Kuhle, Vize-Fraktionsvorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion, sagt: "Dubiose Deals mit Menschen, die das Grundgesetz beschmutzen und Parlamente durch geloste Bürgerräte ablösen wollen, gehen in die falsche Richtung." Es brauche offene Debatten über den Klimaschutz:

    Dabei ist es nicht hilfreich, wenn fundamentale Differenzen einfach unter den Teppich gekehrt werden.

    Konstantin Kuhle, Vize-Fraktionsvorsitzender der FDP

    Beim Koalitionspartner, den Grünen, sieht man das positiver. Wenn wie in Hannover, so Vize-Fraktionsvorsitzende Julia Verlinden, wieder mehr über Klimaschutzmaßnahmen gesprochen werde, dann "hat es sich bereits gelohnt". "Ich würde mich sogar freuen", so Verlinden, wenn sich noch mehr Kommunen engagierten. Allerdings: Die Kommunen brauchten Rahmenbedingungen von Bund und Land, dafür wünschten sich die Grünen in der Ampel "mehr Tempo und Prioritätensetzung".

    "Letzte Generation" hofft auf Druck Richtung Berlin

    Die "Letzte Generation" selbst sieht das anders. Das Grundgesetz-Denkmal in Berlins Parlamentsviertel sei schließlich nach zehn Minuten wieder sauber gewesen. Sprecher Jakob Beyer sagte ZDFheute, das Bündnis wolle mit den Aktionen weitermachen:

    Die Proteste haben uns erst an den Verhandlungstisch gebracht.

    Jakob Beyer, Sprecher von "Letzte Generation"

    Deswegen wolle man auch weitermachen, überall dort, wo man auf die Forderungen nach mehr Klimaschutz nicht eingehe. Vereinbarungen wie in Hannover, Tübingen und Marburg seien "ein kleiner Schritt", so Beyer, die den Druck auf die Bundesregierung erhöhten. Selbst wenn die Kommunen die einzelnen Maßnahmen nicht durchsetzen können: Weil es für das Neun-Euro-Ticket alle 16 Länder braucht, das Tempolimit auf Autobahnen den Bund.
    Eine Frist hat die "Letzte Generation" den Kommunen nicht gesetzt, bis sie die Forderungen zu erfüllen haben. "Wir planen nicht, den Protest wieder aufzunehmen", sagt Beyer. Man wolle sich an die Zusagen halten. Angebote an weitere Kommunen sind unter dem Motto "Wir müssen reden" bereits verschickt worden.
    Köln hat offensichtlich noch kein Stillhalte-Abkommen unterschrieben. Dort wurde am Montagmorgen im Stadtteil Marienburg eine Straße blockiert. Nach einer halben Stunde war sie wieder frei.

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