Nowaja Gaseta: Sorge um Sicherheit von Journalisten zu groß

    Interview

    Friedensnobelpreisträger:Muratows Kampf gegen die Kreml-Zensur

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    Vor einem Jahr kam das Aus für Russlands letzte, unabhängige Zeitung. Das Risiko festgenommen zu werden war zu groß, erklärt Chefredakteur Dmitri Muratow im Interview mit ZDFheute.

    Schweiz, Genf: Dmitri Muratow, Chefredakteur der Moskauer Zeitung Nowaja Gaseta und Friedensnobelpreisträger 2021. Archivbild
    "Wir wollen nicht riskieren, dass unsere Journalisten im Gefängnis landen", so Chefredakteur Dmitri Muratow.
    Quelle: dpa

    Vor einem Jahr kam das Aus für Russlands letzte, unabhängige Zeitung - die "Nowaja Gaseta". Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022, wurde der Druck für die Zeitungsmacher wegen des neuen Mediengesetzes zu groß. Der Krieg darf in Russland bis heute nicht als solcher bezeichnet werden. Was machen die Journalisten heute? Was macht Chefredakteur und Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow? ZDFheute hat mit dem 61-Jährigen in Moskau gesprochen.
    ZDFheute: Am 28. März 2022 stellte die "Novaja Gaseta" ihr Erscheinen als Printmedium in Russland ein. Sie machen aber trotzdem weiter, wie geht das?

    Die Moskauer Nowaja Gaseta, die am 1. April eigentlich ihren 30. Gründungstag begehen wollte, galt als eine der wenigen verbliebenen unabhängigen Zeitungen in Russland, die jedoch am 28. März 2022 beschloss, ihr Erscheinen im Putin-Reich einzustellen, um einem Publikationsverbot zuvorzukommen. Im September folgte der Entzug der Drucklizenz. Die Medienaufsichtsbehörde Roskomnadzor blockierte wenig später auch die Internetseite der Nowaja Gaseta, die täglich bis zu drei Millionen Leser zählte. Das Team um Chefredakteur Dmitrij Muratow, der 2021 mit dem Friedensnobelpreis gewürdigt wurde, macht weiter. Von den 55 Mitarbeitern sind 30 ins Ausland gegangen. Sie geben die "Nowaja Gaseta Europa" heraus.

    Muratow: Die Zeitung hat eine Internetseite, einen Telegram-Kanal und einen E-Mail-Newsletter an Abonnenten. Und es gibt einen YouTube-Kanal mit dem Namen "NO". Es gibt auch noch eine neue Internetseite namens "Freier Raum", auf die wir stolz sind. Außer dem YouTube-Kanal ist leider alles verboten worden.
    Doch dank VPN erreichen wir unsere 300.000 Leser, denen wir per E-Mail mehrmals in der Woche Beiträge zuschicken. Es handelt sich dabei um investigative Materialien, Geschichten aus dem Leben sowie Beiträge aus unseren bekannten Kolumnen und Rubriken.
    ZDFheute: Wie haben Sie die Redaktionsarbeit organisiert, viele Mitarbeiter mussten ja ins Ausland gehen?
    Muratow: Etwa die Hälfte der Redaktion - vor allem ältere Kollegen, die aus verschiedenen Gründen Moskau nicht verlassen wollen und können - sind hier. Und die andere Hälfte des Teams macht jetzt die "Nowaja Gaseta Europa", die in Riga und Berlin Korrespondentenbüros unterhält.
    ZDFheute: Was motiviert Sie und ihre Mitstreiter, wie passen Sie sich den neuen Gesetzen an?
    Muratow: Wir wollen nicht riskieren, dass unsere Journalisten im Gefängnis landen und die Redaktion wird die Journalisten, die noch hier sind, nicht gefährden. Trotzdem haben wir den Segen unserer Leser, um weiterzumachen.
    Wir hatten sie direkt gefragt: Wollen Sie, dass wir unsere Arbeit mit diesen Einschränkungen fortsetzen, oder sollen wir dichtmachen? 98 Prozent unserer Leser, für die wir im Grunde genommen arbeiten, machten uns klar: "Ihr seid für uns sehr wichtig, wir brauchen Euch!"

    Es sieht so aus, dass wir eine wichtige und nützliche Arbeit leisten.

    Chefredakteur Dmitri Muratow

    ZDFheute: Wie hat man die Journalisten der "Novaja Gaseta" im Ausland aufgenommen?
    Muratow: Ich bin den Ländern des Baltikums sehr dankbar, in erster Linie Lettland. Sie haben eine Vielzahl russischer Journalisten aufgenommen, die ins Exil gegangen sind. Und sie arbeiten von dort aus weiterhin für das Wohl ihres Landes und ihrer Leser, die hier in Russland geblieben sind.
    ZDFheute: In dieser Woche wurde Ihre geplante Vorlesung im Moskauer Physikalisch-Technischen Institut kurzfristig abgesagt, warum?
    Muratow: Der Rektor des Instituts rief mich an und sagte, dass sie gezwungen seien, die Veranstaltung aus Sicherheitsgründen abzusagen, wegen einer Anfeindungs-Kampagne im Internet. Ich habe dann gelesen, was diese "Ultranationalisten" so schreiben, die hinter diesen Angriffen stehen.
    Im Grunde genommen ist das eine große koordinierte Aktion, die den Studenten erklärt, was sie hören dürfen und was nicht. Wer eingeladen werden darf und wer nicht. Und ich habe auch erfahren, dass wegen meiner Person eine Art Fahndung läuft. Deren Ziel ist es, dass man mich festnimmt. Oder, sollte das nicht klappen, dass man mich halb zu Tode prügelt.
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    Quelle: ZDF-Studio Moskau
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