Silvester-Krawalle: Debatte über Ursachen und Konsequenzen

    Nach Silvesternacht:Debatte über Ursachen und Konsequenzen

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    Die Debatte über die Silvester-Krawalle dauert an. Politiker fordern schnellere Strafen, mehr Polizei und einen Gipfel. Sozialarbeiter hingegen sind für mehr Teilhabe und Dialog.

    Polizeibeamte stehen hinter explodierendem Feuerwerk.
    Nach Angriffen auf Einsatzkräfte in der Silvesternacht hat die Diskussion um Konsequenzen begonnen.
    Quelle: dpa

    Nach den Angriffen auf Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehr in der Silvesternacht geht die Debatte über angemessene Reaktionen des Staates weiter. Während Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) eine bessere Ausstattung der Polizei forderte, kritisierte der Berliner Soziologe Kazim Erdogan die Debatte über die ethnische Herkunft der Täter.

    Nicht Symptome, sondern Ursachen bekämpfen

    Die Berliner Integrations- und Migrationsbeauftragte Katarina Niewiedzial warnte vor einer Kriminalisierung aller Migranten. Der Streetwork-Experte Ralf Gilb sprach sich für mehr Jugendarbeit in den betroffenen Kiezen und eine rasche Bestrafung straffällig gewordener Jugendlicher aus.
    Auch der langjährige Berliner Sozialarbeiter Burak Caniperk erläutert bei ZDFheute live, man solle frühzeitig ansetzen. "Wir bewegen uns ständig in dem Bereich, Symptome zu bekämpfen. Aber wir müssen die Ursachen bekämpfen". Dazu zählten etwa Rassismus, fehlende politische Teilhabe etc.

    Reul: Härtere Strafen keine Lösung

    Reul hatte sich im Deutschlandfunk unter anderem für mehr Polizeipräsenz ausgesprochen. Um einzugreifen und die Täter zu ermitteln, "dazu brauchen wir genug Polizisten". Höhere Strafen seien für ihn nicht prioritär.
    Der CDU-Politiker warnte davor, die Krawalle ausschließlich mit einer gescheiterten Integration von Migranten zu erklären. Er weise seit Monaten darauf hin, "dass wir ein Problem haben mit Gruppen junger Männer, mit migrantischem Hintergrund und ohne migrantischen Hintergrund". Hinzu komme eine grundsätzlich erhöhte Gewaltbereitschaft.

    Giffey plant Gipfel gegen Jugendgewalt

    Berlins Regierungschefin Franziska Giffey (SPD) wies die Kritik von Unionspolitikern an der Landesregierung zurück. "Also wir haben in dieser Nacht die volle Mannstärke von Polizei und Feuerwehr, eine Verdreifachung der Einsatzkräfte bei der Feuerwehr auf der Straße gehabt", hatte Giffey am Mittwoch im rbb-Inforadio gesagt. "Ich sehe nicht, dass hier die Polizei eingeschränkt wird."
    CDU-Chef Friedrich Merz hatte dem "Münchner Merkur" zuvor gesagt, das Land Berlin werde mit der Lage nicht fertig. Seit Jahren begrenze der Senat aus politischen Motiven die Rechte und Einsatzmöglichkeiten der Polizei. CSU-Chef Markus Söder argumentierte ähnlich. Giffey entgegnete, sie hätten die Polizei in den letzten Jahren unter sozialdemokratischer Verantwortung massiv aufgestockt und würden das weiter tun.

    Aber es ist auch klar, dass wir hier in Berlin in einer Großstadt eine massive Anhäufung auch von Problemlagen haben und auch eben die Gewalt sich hier besonders entladen hat.

    Berlins Regierungschefin Franziska Giffey

    Das sei aber kein Berliner Phänomen. Merz möge doch mal schauen, dass das auch in anderen deutschen Städten passiert sei. Giffey kündigte an, zu einem Gipfel gegen Jugendgewalt einladen zu wollen. Die Einladungen sollen schnellstmöglich rausgehen, wie eine Senatssprecherin der Deutschen Presse-Agentur mitteilte.

    Gipfel nur sinnvoll "Wenn alle eingeladen"

    Einen solchen "Runden Tisch" findet Sozialarbeiter Caniperk nur gut, "wenn auch alle eingeladen" würden. Es reiche nicht, nur Politiker an den Tisch zusetzen. Dabei habe sich gezeigt, dass nicht viel passiert sei. Wichtig sei, Menschen zum Dialog einzuladen und dann zu fragen: "Was braucht ihr? Was haben wir für Ressourcen?"
    Aber auch die Experten in der Jugendarbeit stießen an ihre Grenzen, wenn etwa Projekte einfach gekürzt oder beendet oder nicht in Regelfinanzierung überführt würden. Und das ohne Mitsprache der betroffenen Jugendlichen.
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    In fünf Jahren Berlin habe ich mehr Projekte einstampfen sehen als aufblühen. Es müsste umgekehrt sein.

    Burak Caniperk, Sozialarbeiter

    Caniperk warnt: "Je mehr Räume wir wegnehmen und je mehr wir über ihre Köpfe hinweg entscheiden," desto weniger müsse man sich wundern. Er kritisiert zwar scharf die Form des Protests an Silvester, betont aber mit Blick auf die Nöte der Jugendlichen: "Wenn wir die Zeichen nicht sehen, dann stellen wir uns blinder als wir sind."

    Rund 90 Prozent seien in Deutschland geboren

    Kazim Erdogan, Vorstandsmitglied des Vereins "Aufbruch Neukölln", sagte, in der Debatte über die Herkunft der Täter gehe es darum zu verschleiern, dass man keine schnellen Antworten auf soziale Entwicklungen habe. Mehr als 90 Prozent der jungen Menschen, um die es gehe, seien in Deutschland geboren und sozialisiert.
    Auch Sozialarbeiter Caniperk erlebt selten "integrationsunwillige" Jugendliche. Den Begriff findet er schwierig. "Wenn, dann gibt es Menschen, die es nicht schaffen. Die scheitern bei dem, was sie sich vorgenommen haben", sagt er.

    Ausschreitungen in Silvesternacht

    Bei den Silvesterfeiern war es in mehreren deutschen Städten zu schweren Ausschreitungen gekommen, inbesondere in Berlin. Angesichts teils gezielter Attacken auf Polizisten und Einsatzkräfte von Feuerwehr und Rettungsdiensten wurde der Ruf nach Konsequenzen laut.
    Nach vorläufigen Angaben der Berliner Polizei haben in der Hauptstadt 45 der 145 Festgenommenen die deutsche Staatsbürgerschaft, 27 die afghanische und 21 die syrische. Der Rest verteilt sich auf 17 weitere Nationalitäten.

    Soziale anstatt ethnische Herkunft entscheidend

    Die Berliner Integrationsbeauftragte Niewiedzial betonte in der "tageszeitung": "1,4 Millionen Menschen in Berlin haben einen sogenannten Migrationshintergrund, das sind 38 Prozent der Bevölkerung. Wir tun dieser großen Gruppe Unrecht, wenn wir sie in Gänze stigmatisieren und kriminalisieren."
    Nicht die ethnische, sondern die soziale Herkunft sei entscheidend: "Es geht um abgehängte Jugendliche - und zwar um unsere Jugendlichen." Nötig sei "eine Debatte darüber, wie eine Bildungs-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik aussehen muss, die auf eine Migrationsgesellschaft ausgerichtet ist".

    Rechtslage zu Krawallen
    :Silvester-Chaos: Welche Strafen sind möglich?

    Nach den gewaltsamen Übergriffen auf Rettungskräfte in der Silvesternacht werden Rufe nach einem harten Durchgreifen lauter. Welche Strafen gelten und welche Verbote sind möglich?
    von Jan Henrich
    Berlin: Feuerwehrmänner löschen an der Sonnenallee einen Reisebus, der von Unbekannten angezündet worden war.
    FAQ
    Quelle: epd, dpa

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