AKW-Weiterbetrieb: Die Kernkraft und das Prinzip Söder

    Weiterbetrieb von Isar 2:Die Kernkraft und das Prinzip Söder

    Stefan Leifert, ZDF-Landesstudioleiter Bayern
    von Stefan Leifert
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    Mit Isar 2 ging eines der letzten drei deutschen AKWs vom Netz. Markus Söder fordert nun, das Thema Kernenergie auf die Länder zu übertragen. Was steckt hinter seinem Vorschlag?

    Markus Söder
    Die letzten deutschen AKW sind abgeschaltet. Für CSU-Chef Markus Söder ist die Sache aber noch nicht erledigt.
    Quelle: dpa

    Bei Frage drei entgleitet Markus Söder schließlich die Pressekonferenz. Ein Journalist will wissen, wie Söder sich den Zeitplan zu seinem Vorschlag vorstelle, das bayerische Atomkraftwerk Isar II in Eigenregie des Freistaats weiterzubetreiben.
    Statt auf die Frage zu antworten, fährt der CSU-Chef erst einmal den Fragesteller an, wieso sich dieser keine Notizen während der Pressekonferenz mache. Verwunderung im Saal. Nach seiner Antwort legt Söder nochmal nach. Nichts habe der Journalist mitgeschrieben. Schon auf die beiden ersten Fragen zu seinem Atom-Vorstoß reagierte Söder mit Gegenfragen an die Fragesteller.
    Markus Söder vor Abschaltung von Isar 2
    Bayerns Ministerpräsident Söder will Isar 2 auch nach dem AKW-Ende vergangenen Samstag weiter betreiben. Die Bundesregierung hat diesem Vorhaben eine klare Absage erteilt.17.04.2023 | 2:09 min

    Söders Vorschlag: AKW soll Länderregie werden

    Selten hat man den CSU-Chef und Ministerpräsidenten auf öffentlicher Bühne so gereizt gesehen. Was war passiert? Am Wochenende - punktgenau auf den vor 12 Jahren beschlossenen Ausstieg aus der Kernenergie - hatte Söder via "Bild am Sonntag" die Idee präsentiert, die im Grundgesetz verankerte Regie des Bundes bei der Kernenergie auf die Länder zu übertragen, damit Bayern den Meiler Isar II in eigener Regie weiterbetreiben kann.
    Schon am Sonntag regnete eine recht berechenbare Mischung aus Verwunderung, Ablehnung und Spott auf Söder herab, vor allem aus den Reihen von Berliner Grünen und SPD. Doch auch Wohlmeinende quittieren die Idee aus München mit Kopfschütteln: von der FDP, eigentlich auch für den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke, über den Unions-nahen BDI bis hin zu den Kernkraftbetreibern selbst, denen der Widerwille, den beschlossenen Ausstieg und Rückbau der AKW jetzt nochmal infrage zu stellen, anzumerken war. Aus der CDU erhielt Söder pflichtgemäße Unterstützung: Friedrich Merz finde die Idee "diskussionsfähig", ließ er wissen.

    • Als Markus Söder im Juni 2010 Umweltminister im Freistaat ist, macht er sich noch für eine Laufzeitverlängerung der deutschen Atomkraftwerke stark: "Wer Klimaschutz ernst nimmt, weiß: Wir sind weiter auf Kernkraft angewiesen", sagt er damals.
    • Nach der verheerenden Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima im März 2011 schwenken er und die Partei um auf einen Anti-Atom-Kurs.Nach heftigen internen Debatten setzt die CSU unter Parteichef Horst Seehofer im Mai 2011 als erste der drei damaligen Berliner Regierungsparteien CDU, CSU und FDP ein konkretes Ziel für den Ausstieg aus der Kernenergie fest: das Jahr 2022. "Es ist ein Lackmustest für die Glaubwürdigkeit, wie ernst wir es mit der Energiewende meinen", sagt Söder damals. In Bayern geht seinerzeit in dieser Frage der koalitionsinterne Krach mit Juniorpartner FDP über eine gemeinsame Linie so weit, dass Söder mit seinem Rücktritt als Umweltminister gedroht haben soll, sollte sich der Freistaat nicht auf das Ziel 2022 festlegen. Er habe von "tiefgreifenden Konsequenzen" für das Kabinett wie auch für ihn "ganz persönlich" gesprochen, heißt es.
    • Noch im November 2021 lehnt Söder einen Wiedereinstieg in die Kernenergie ab: "Der Beschluss zum Atomausstieg basiert auf einer breiten gesellschaftlichen Akzeptanz."
    • Doch mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar 2022 und den damit verbundenen Fragen nach der Sicherheit der Energieversorgung nimmt der CSU-Chef nun wieder einen neuen - oder seinen alten - Standpunkt ein.

    War der Vorschlag nicht ernst gemeint?

    Als einstiger Umweltminister Bayerns weiß Markus Söder selbstverständlich, wie unrealistisch die Umsetzung seines Vorschlags ist: politisch hat er keine Chancen auf Mehrheit, juristisch würde er viel Zeit in Anspruch nehmen und technisch vor große Probleme stellen. Von der Frage der Atommüll-Endlagersuche ganz zu schweigen. Wäre die dann auch Ländersache?
    Denkt man diese Frage zuende, könnte sie schnell zum Eigentor für den Mann werden, der Castoren in Bayern - ohne wissenschaftliche Gutachten abzuwarten - kategorisch ausschließt. Zeitpunkt und Komplexität des Söder-Vorschlags wollen nicht recht zueinander passen. Wäre die Idee ernst gemeint, hätte man sie nicht am Tag der AKW-Abschaltung präsentiert.

    Söders taktisches Verhältnis zu Politik

    Worum geht es dem CSU-Chef aber dann? Markus Söder hat seit jeher ein äußerst "taktisches Verhältnis" zur Politik, wie Parteikollegen es häufig formulieren. Position ist, was opportun erscheint, soll das heißen, das Prinzip Söder. Die Kehrtwenden in der Atompolitik sind stilbildend für dieses Politikverständnis des CSU-Chefs. Und so ist es auch mit dem Vorschlag von der Atompolitik unter bayerischer Regie.
    Söder, einst energischster Vorkämpfer für den Atomausstieg, spürt, dass bei den laut Umfragen über 50 Prozent in der Bevölkerung, die für die Kernenergie sind, gerade etwas zu holen ist. Das ist legitim, auch so ist Politik. Ob es nachhaltig und klug ist, ob es sich am Ende auszahlt, das steht auf einem anderen Blatt.
    Fast im Wochentakt regelt der wahlkämpfende CSU-Chef die Lautstärke bei der Energiepolitik höher und höher. Ob er damit die Debatte über die bayerischen Versäumnisse in der Energiepolitik der letzten Jahre zu übertönen vermag, ist noch nicht ausgemacht, zu offenkundig sind der schleppende Netzausbau und die Rückstände beim Ausbau der Windkraft in Bayern.

    Berechenbares und verspätetes Manöver Söders

    Es gibt viele gute Argumente für einen begrenzten Weiterbetrieb der drei deutschen Atomkraftwerke angesichts der prekären Energielage, vor allem in Süddeutschland, und des Weiterbtriebs der Kohleverstromung. Mit seinem so berechenbaren wie verspäteten Manöver hat Söder dem Lager derer, die der Kernenergie noch eine Zukunft geben wollen und um Vertrauen werben, keinen Dienst erwiesen. Und eine Pressekonferenz lang hat man hat den Eindruck, Söder habe das gemerkt.

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