So decken Undercover-Reporter weltweite Wahlmanipulation auf

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    Undercover bei Digital-Söldnern:Reporter decken weltweit Wahlmanipulation auf

    von Armin Coerper, Felix Klauser
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    Eine israelische Firma bietet gegen Geld weltweit Hacks und Desinformationskampagnen an, um Wahlen zu manipulieren. So kamen ihnen Undercover-Journalisten auf die Schliche.

    Tal Hanan, alias Jorge
    Eine israelische Firma bietet gegen Geld Desinformationskampagnen an – weltweit. Gemeinsame Recherchen von ZDF, "Spiegel" und "Zeit" mit "Forbidden Stories" enthüllen das Ausmaß.15.02.2023 | 29:10 min
    Modi’in ist eine graue Kleinstadt zwischen Jerusalem und Tel Aviv. Modi’in ist ziemlich unscheinbar, eine Planstadt von vielen im Heiligen Land. Ausgerechnet hier verabreden sich drei Journalisten mit einer Gruppe von Männern, die von sich behaupten, dass sie Wahlen auf der ganzen Welt manipulieren können.
    Die Journalisten sind Omer Benjakob von der israelischen Tageszeitung "Haaretz", Gur Megiddon von "TheMarker" aus Israel und Frédéric Métézeau, der Korrespondent des französischen Senders "Radio France". Sie sind mit Kameras und Tonaufnahmegeräten verkabelt und auf dem Weg zu ihrem Ziel: dem Millennium Center von Modi’in, einem schmucklosen Bürogebäude. Seit Monaten recherchieren die Drei undercover.

    Erstmals zeigt Mastermind "Jorge" sein Gesicht

    Im Fahrstuhl ein letzter Check. Auffliegen könnte gefährlich werden, sehr gefährlich. Dann steht er vor ihnen und begrüßt sie. Der Mann mit dem Decknamen Jorge. Der Kopf und Namensgeber der Truppe, die angeblich Wahlen manipulieren kann. Sie sehen ihn zum ersten Mal. Dem Treffen vorangegangen waren fünf Videocalls, doch Jorge hatte nie sein Gesicht gezeigt.

    Wir sind nichts. Wir sind wie Luft.

    Tal Hanan, alias Jorge

    Deshalb sind die Journalisten hier. Um ihn zu sehen und verdeckt zu filmen. Er begrüßt die drei und ahnt nichts von der verdeckten Recherche. Jorge wähnt sich in Sicherheit. "Habt ihr gesehen, was an der Tür steht?! Nichts. Da steht kein Name. Und genau das sind wir. Wir sind nichts. Wir sind wie Luft", sagt er.
    In Wahrheit heißt "Jorge" Tal Hanan, laut eigenen Angaben in offen zugänglichen Quellen war er Sprengstoffexperte in den israelischen Streitkräften.
    Tal Hanan, der Kopf hinter Team Jorge, gefilmt mit verdeckter Kamera in seinem Büro.
    Dreh mit verdeckter Kamera: Tal Hanan und seine Firma Team Jorge bieten Wahlmanipulation auf Bestellung an.
    Quelle: ZDF

    Undercover als Berater eines Geschäftsmannes in Afrika

    Auch die Journalisten haben sich neue Identitäten zugelegt. Sie geben sich als Berater eines Geschäftsmannes aus, der in Afrika eine Wahl manipulieren will. Darauf sind Hanan und sein Team spezialisiert. Auf Manipulation und Sabotage. Auf Wahlbetrug. "Gib uns Geld und einen Kandidaten. Dann kämpfen wir." So prahlt er. "Kennt Ihr den Unterschied zwischen Verschwörung und Wahrheit? 18 Monate!"
    33 Wahlen hätten sie bereits manipuliert, behaupten Hanan und seine Männer. 27 ihrer Kampagnen seien erfolgreich gewesen. Zwischen sechs und 15 Millionen Euro rufen die Männer dafür auf. Nicht jede ihrer Behauptungen ist unabhängig zu verifizieren.

    Wie gefährlich ist Team Jorge?
    :"Demokratie wird mit Cyberwaffen angegriffen"

    Die israelische Firma Team Jorge soll weltweit Wahlen manipuliert haben. Für die Desinformations-Forscherin Anat Ben-David ist es eine neue Dimension der Gefahr für die Demokratie.
    Anat Ben-David
    Interview

    Team Jorge kapert fremden Telegram-Account

    Aber in den insgesamt fünf Videocalls hatten die Journalisten Team Jorge immer wieder getestet. Als Hanan ihnen vorführt, wie er offenbar den Telegram-Account eines Politikberaters in Kenia übernimmt, trauten sie zunächst ihren Augen nicht. Es scheint kaum vorstellbar, dass Team Jorge die Nachrichten eines anderen nicht nur mitliest, sondern auch in dessen Namen Nachrichten verschicken kann.
    Welche Folgen hätte das für die Beziehungen von Menschen zueinander, aber auch für das Geschäftsleben und die Politik? "Unsere größte Sorge war die ganze Zeit, dass das alles nicht stimmt. Dass er uns vielleicht etwas zeigt, das so aussieht, wie geklaute Daten. Dass er uns Screenshots oder Videos zeigt, die aussehen wie Hacking, es aber nicht sind", sagt Gur Megiddon, einer der drei Journalisten.

    Jedes Jahr werden weltweit Journalisten wegen ihrer Arbeit getötet. Das Netzwerk "Forbidden Stories" hat es sich zum Ziel gesetzt, ihre Themen und ihre Recherchen fortzuführen. Seit der Gründung 2017 haben mehr als 60 Medien und mehr als 150 Journalisten aus 49 Ländern gemeinsam an solchen Rechercheprojekten gearbeitet. Dabei ging es zuletzt um die Überwachungssoftware Pegasus, um globale Umweltschäden durch Bergbau, oder um die Geschäfte des marokkanischen Königshauses. Das ZDF arbeitet im Rahmen des neuen Projekts "Storykillers" erstmals mit "Forbidden Stories" zusammen. Das Netzwerk stellt eine sichere Plattform zur Verfügung, über die Journalisten auf sensible Informationen zugreifen können. Finanziert wird das Projekt aus Spenden.

    Journalist findet Fake-Nachricht auf Handy in Kenia

    Hanan führt ihnen vor, wie er vom Konto des kenianischen Politikberaters eine Nachricht an einen dortigen Geschäftsmann verschickt. Er schickt ihm eine Zahl. Die Zahl 11. Später wird ein Kollege vom "Spiegel" den Mann in Kenia aufspüren und nach seinem Telefon fragen. Er findet die Nachricht mit der Zahl 11.
    "Es gab diesen Moment, als es der Kollege geschafft hat, Kontakt zu dem Mann herzustellen, der die Nachricht per Telegram erhalten hat. Die 11, die Jorge geschickt hat", erzählt Megiddon.

    Wir sahen: Alles hat übereingestimmt. Das Datum, die Uhrzeit. Und da waren wir uns sicher: Es stimmt. Sie hacken sich wirklich in die Telegram-Accounts von Menschen - und sie kommen einfach durch die Haustür hinein.

    Gur Megiddon, Journalist von "TheMarker"

    Software soll Netzwerke von Fake-Accounts erschaffen

    In einem der Undercover-Gespräche stellt Hanan sein Prestigeprojekt vor: Es heißt "Advanced Impact Media Solutions", kurz "Aims". Eine angeblich selbstentwickelte Software, die künstliche Identitäten erschafft. Avatare, die Team Jorge im virtuellen Raum auf die Menschheit loslässt. Hanan spricht von mehr als 30.000. Und er ist stolz auf sein Programm:

    Wir haben die IT dazu entwickelt. Zu 100 Prozent. Wir haben sie an über zehn Länder verkauft, auch an Geheimdienste.

    Tal Hanan alias Jorge

    Dann führt Hanan sein Werk am Computer vor. Die Journalisten schauen staunend zu, wie er die Maus über die Oberfläche fahren lässt. "Lasst uns selbst einen Kandidaten kreieren. Okay, wir nehmen einen aus Großbritannien. Weiblich. Lasst uns mal suchen: Okay: Sophia Wild. Der Name gefällt mir. Britisch. Ich verbinde sie jetzt mit der Gruppe 'Europa'. Dann will ich vielleicht noch sagen, woher sie kommt. Meinetwegen Leeds, oder doch London. Jetzt klicke ich auf weiter."
    Avatar Sophia Wild hat jetzt schon eine Mail-Adresse, Geburtsdatum, alles. Dann wählt Jorge über Aims Bilder aus. "Okay, vielleicht diese hier. Das gefällt mir nicht so, dieses hier schon. Das wähle ich als Profil-Bild. Jetzt klicke ich weiter: Fertig! Ich habe Sophia Wild erschaffen. Sie hat eine E-Mail, Fotos, sie hat alles."

    Avatare agieren im Netz wie echte Menschen

    Die Journalisten zweifeln: "Ich habe gedacht: Das ist doch Kino! Sowas gibt’s doch nicht!", sagt Frédéric Métézeau von "Radio France".

    Das war zu perfekt. Die erschaffen einen Avatar, so wie wir eine Pizza bestellen. Ich nehme mal mit Käse, Oliven, Pepperoni. Genauso sagen die: Okay, eine weiße, britische Frau, 45 Jahre alt, ihr Name ist so und so.

    Frédéric Métézeau, Journalist von "Radio France"

    Hanan behauptet, mit seiner Armee von Avataren in sozialen Netzwerken Kampagnen lostreten zu können. Zum Beispiel Gerüchte über Kandidaten bei einer Wahl verbreiten zu können. Die Avatare haben Bitcoin-Konten, Facebook-Accounts und shoppen im Internet. All das macht sie glaubwürdig.

    Fotos von nichtsahnenden Nutzern für Kampagnen missbraucht

    Wir wollen wissen, woher die Fotos stammen und recherchieren mit Hilfe von Bildersuchmaschinen nach der echten Person hinter Sophia Wild. Reporter vom ZDF-Magazin frontal finden mehrere der Bilder, die Jorge präsentiert hatte, auf einer russischen Social-Media Plattform.
    Die Fotos führen zu weiteren Profilen und zu einem Namen: Maria S. Sie wohnt in Leeds, Großbritannien. Wir nehmen Kontakt auf, fragen sie über Facebook: Sind das Ihre Fotos, die von Avataren im Netz für Propaganda und Fake News genutzt werden? "Das ist mein Foto", antwortet Maria. "Es ist von 2018."

    Kampagnen mit Desinformation
    :Kann dieser Emu Wahlmanipulation belegen?

    Eine Kampagne in den sozialen Medien erklärt einen Emu fälschlich für tot. Ein harmloser Gag? Tatsächlich steckt dahinter eine Firma, die im Geheimen Wahlen beeinflussen will.
    von Nathan Niedermeier, Christian Rohde
    Der Emu Emmanuel war Ziel einer Desinformationskampagne von Team Jorge.
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    Kann Software Sicherheitsmechanismen der Plattformen umgehen?

    Das alles kann nur mit Telefonnummern funktionieren. Denn die braucht Team Jorge für die Verifizierung der Accounts auf den Social-Media-Plattformen. 

    Alle unsere Avatare sind vollständig verifiziert.

    Tal Hanan alias "Jorge"

    Die Zwei-Schritt-Verifizierung, auf der die Sicherheitsarchitektur vieler Dienste im Netz basiert, scheint Team Jorge mit Aims auszuhebeln. In der Präsentation ist zu sehen, wie das Programm einer Telefonnummer eine SMS zuordnet. So können für den Avatar Konten und Profile angelegt werden, erzählt Jorge.
    "Das hat mich umgehauen", sagt Omer Benjakob von der Tageszeitung "Haaretz". "Die Mischung aus diesem sehr intelligenten Avatar-System, kombiniert mit Praktiken von Geheimdiensten, von PR und Beratung. Das alles ist so schlau kombiniert, so teuflisch schlau."
    Service: Fake News erkennen
    Welche Methoden helfen, um im Internet Falschmeldungen zu erkennen? Tipps von Kommunikationswissenschaftler Prof. Wolfgang Schweiger und vom Recherchezentrum "Correctiv".07.02.2023 | 2:30 min

    Digitaler Angriff auf die Wahlen in Kenia?

    Die ersten Treffen mit Team Jorge fanden im Spätsommer 2022 statt. Genau in den Tagen, als in Kenia gewählt wurde. Als sich Jorge in das Telegram-Konto des kenianischen Politikberaters einschleicht, konnten die Journalisten viele der dort gespeicherten Kontakte nachvollziehen. Es spricht sehr viel dafür, dass Team Jorge bei der Wahl in Kenia aktiv war.
    Auch von einem Büro in Griechenland sprechen Team Jorge-Vertreter und von den katalonischen Unabhängigkeitsreferenden. Ob sie dort wirklich aktiv waren, bleibt offen. Doch die beteiligten Journalisten des Investigativ-Netzwerks "Forbidden Stories", mit dem das ZDF im Rahmen der sogenannten "Storykillers"-Recherchen zusammengearbeitet hat, finden Hinweise auf Wahlen und Regierungsumstürze in diversen Ländern Afrikas, Asiens und Südamerikas.
    Ob er selbst eigentlich noch in Israel wählt, fragt einer der drei Journalisten Tal Hanan zum Ende des Treffens in Modi’in. Seine Antwort geht im allgemeinen Gelächter unter. Auf einen umfangreichen Fragenkatalog an Team Jorge zu den Recherchen antwortet Hanan nur knapp: "Um es klar zu sagen, ich weise zurück, dass ich etwas Falsches getan habe."
    Lesen Sie hier wichtigsten Fragen und Antworten zur Recherche um Team Jorge im Überblick:

    Desinformations-Firma aus Israel
    :Team Jorge: Wahlmanipulation auf Bestellung?

    Eine israelische Firma aus dem Geheimdienstumfeld will weltweit Wahlen beeinflusst haben - mit Hacks und Desinformation. Die wichtigsten Erkenntnisse zur Recherche im Überblick.
    von Christo Buschek, Roman Höfner, Max Hoppenstedt, Roman Lehberger, Nathan Niedermeier, Frederik Obermaier, Bastian Obermayer, Marcel Rosenbach
    Screenshot aus einer Unternehmenspräsentation: Intelligence on demand
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