Team Jorge: Firma will weltweit Wahlen beeinflusst haben

    FAQ

    Desinformations-Firma aus Israel:Team Jorge: Wahlmanipulation auf Bestellung?

    von Christo Buschek, Roman Höfner, Max Hoppenstedt, Roman Lehberger, Nathan Niedermeier, Frederik Obermaier, Bastian Obermayer, Marcel Rosenbach
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    Eine israelische Firma aus dem Geheimdienstumfeld will weltweit Wahlen beeinflusst haben - mit Hacks und Desinformation. Die wichtigsten Erkenntnisse zur Recherche im Überblick.

    Tal Hanan, alias Jorge
    Eine israelische Firma bietet gegen Geld Desinformationskampagnen an – weltweit. Gemeinsame Recherchen von ZDF, "Spiegel" und "Zeit" mit "Forbidden Stories" enthüllen das Ausmaß.15.02.2023 | 29:10 min
    Team Jorge ist eine israelische Firma, die nach eigenen Angaben im Auftrag von Politikern und reichen Privatpersonen weltweit hackt und manipuliert. Die Firma behauptet, sie habe mit verdeckten Kampagnen in 33 nationale Wahlkämpfe und Referenden eingegriffen, angeblich in 27 Fällen "erfolgreich" im Sinne ihrer Kunden, vor allem in Afrika, Asien und Lateinamerika.
    Die wichtigsten Akteure bei Team Jorge haben eine Vergangenheit im Dunstkreis von israelischen Sicherheits- und Geheimdiensten. Offenbar waren die Digitalsöldner um ihren Chef Tal Hanan alias "Jorge" auch für die berüchtigte Datenanalysefirma Cambridge Analytica tätig. Die inzwischen aufgelöste Firma hatte mit illegalen Methoden Einfluss auf den Brexit und die US-Wahlen genommen.
    Ein Screenshot einer Unternehmenspräsentation von Team Jorge.
    Ein Screenshot einer Unternehmenspräsentation von Team Jorge.
    Quelle: ZDF

    Wer hat zu Team Jorge recherchiert?

    Die Recherchen zu der im Geheimen agierenden Truppe aus Israel dauerten mehrere Monate. Beteiligt waren Journalisten aus mehr als 30 Redaktionen weltweit - unter anderem von der israelischen Tageszeitung "Haaretz", "Radio France", "Le Monde" und dem "Guardian". In Deutschland recherchierten das ZDF, der "Spiegel" und die "Zeit" gemeinsam.
    Die Enthüllung ist Teil des Projekts "Storykillers" des Investigativ-Netzwerks "Forbidden Stories", das die gravierenden Folgen von Desinformationskampagnen aufzeigen will.

    Jedes Jahr werden weltweit Journalisten wegen ihrer Arbeit getötet. Das Netzwerk "Forbidden Stories" hat es sich zum Ziel gesetzt, ihre Themen und ihre Recherchen fortzuführen. Seit der Gründung 2017 haben mehr als 60 Medien und mehr als 150 Journalisten aus 49 Ländern gemeinsam an solchen Rechercheprojekten gearbeitet. Dabei ging es zuletzt um die Überwachungssoftware Pegasus, um globale Umweltschäden durch Bergbau, oder um die Geschäfte des marokkanischen Königshauses. Das ZDF arbeitet im Rahmen des neuen Projekts "Storykillers" erstmals mit "Forbidden Stories" zusammen. Das Netzwerk stellt eine sichere Plattform zur Verfügung, über die Journalisten auf sensible Informationen zugreifen können. Finanziert wird das Projekt aus Spenden.

    Was hat die "Storykillers"-Recherche in Gang gebracht?

    Die israelischen Investigativjournalisten Gur Megiddo und Omer Benjakob und ihr französischer Kollege Frédéric Métézeau von "Radio France" bekamen einen Hinweis auf ein bisher unbekanntes Unternehmen, das weltweit Desinformation gegen Geld verbreite.
    Die Journalisten gaben sich als interessierte Neukunden aus. Ihre Legende: ein wohlhabender Geschäftsmann aus Afrika wolle eine bevorstehende Wahl verhindern. Team Jorge witterte offenbar ein Geschäft.
    In mehreren Video-Telefonaten und zwei Treffen führte Team Jorge seine angeblichen Fähigkeiten vor. Die Digitalsöldner präsentierten "Live-Hacks", infiltrierten Telegram-Kanäle und zeigten, wie sie mit Hilfe von Manipulationssoftware Avatare bzw. Avatar-Netzwerke für Fake-Social-Media Kampagnen kreieren.
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    Lassen sich die Behauptungen zur Wahlmanipulation überprüfen?  

    Nicht alles, was Team Jorge vorgibt zu können, lässt sich unabhängig überprüfen. Aber die beteiligten Journalisten konnten einige Behauptungen unabhängig verifizieren.
    In einer Live-Präsentation kaperte Team Jorge Kanäle nichtsahnender Dritter. Sie schrieben kurze Beispielnachrichten, um zu beweisen, dass sie tatsächlich Chat- und Mailpostfächer übernehmen können. Die Nachrichten löschten sie sofort wieder. Einmal unterlief ihnen dabei ein Fehler. Ein Reporter des "Spiegel" suchte den Adressaten in Afrika auf. Tatsächlich tauchte die Demo-Nachricht mit richtigem Datum und Uhrzeit in dessen Postfach auf.
    Team Jorge stellen in seinen Produktpräsentationen mehrfach eine Art Software vor, die die Firma angeblich selbst entwickelt habe. Mit "Advanced Impact Media Solutions" (Aims) baut Team Jorge demnach glaubwürdig wirkende Avatare und Avatar-Netzwerke. So können angeblich gezielt Falschnachrichten und Diskreditierungen verbreitet werden.
    Für ihre Plattform Aims nutzt die Firma offenbar Bilder von Social-Media-Profilen wie TikTok, ohne dass die Betroffenen das mitbekommen. Reporter des ZDF-Magazins frontal konnten Betroffene ausfindig machen. Beispielsweise bestätigte eine Frau, die in Großbritannien lebt, dass ohne Erlaubnis Fotos von ihr aus dem Jahr 2018 in Aims genutzt werden. Davon habe sie nichts gewusst.

    Kann die israelische Firma weltweit Fake-Kampagnen starten?

    Außerdem sollte Team Jorge dem vermeintlichen Kunden aus Afrika seine Fähigkeiten demonstrieren: Unter dem Hashtag "#RIP_Emmanuel" startete die Firma Ende Juli 2022 eine Kampagne auf Twitter. Emmanuel ist ein Emu, der auf der Plattform TikTok eine tierische Berühmtheit ist, weil er regelmäßig in die Videos einer Tierpflegerin aus Florida platzt.
    Tatsächlich verbreiteten zahlreiche Twitterkonten den Hashtag "#RIP_Emmanuel" und die Falschnachricht vom Tod des Emus Emmanuel. ZDF frontal konnte die Tierpflegerin Taylor Blake dazu interviewen, die geschockt schien. Diese Art Manipulation sei "wirklich gefährlich", sagte Blake.

    Man kann das Leben von Menschen ruinieren, die es nicht verdient haben, nur weil man etwas twittert oder postet, was nicht stimmt.

    Tierpflegerin Taylor Blake

    Blake war davon ausgegangen, dass tatsächlich einer ihrer Follower überzeugt gewesen sei, Emu Emmanuel sei gestorben: "Aber ich hätte nie gedacht, dass ich Teil eines Social-Media-Experiments bin."

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    Was hat Team Jorge mit Cambridge Analytica zu tun?

    Die mittlerweile insolvente Firma Cambridge Analytica war Hauptakteur in einem Datenskandal, der weltweit für Empörung sorgte. Sie versuchte mithilfe von missbräuchlich eingesetzten Facebook-Daten den US-Wahlkampf zugunsten von Donald Trump zu beeinflussen. Auch soll sie in die Abstimmung über den Brexit Großbritanniens verstrickt gewesen sein.
    Weil Cambridge Analytica dafür heimlich die Daten von Millionen Facebook-Nutzern missbrauchte, musste sich der Chef des sozialen Netzwerks, Marc Zuckerberg, vor dem US-Kongress und dem EU-Parlament rechtfertigen. Die neuen Recherchen zeigen nun, dass Team Jorge zwischen 2015 und 2017 mit Cambridge-Analytica-Mitarbeitern Kontakt hatte.
    Das belegen mehrere interne Dokumente, die die britische Zeitung "Guardian" mit dem internationalen Recherchenetzwerk geteilt hat. Darin ist die Rede von einer "israelischen Black Ops Firma" und dessen Chef Tal Hanan - dem Chef von Team Jorge. Aus den vorliegenden Dokumenten geht außerdem hervor, dass Hanan und sein Team im nigerianischen Präsidentschaftswahlkampf 2015 an der Seite von Cambridge Analytica aktiv war.
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    Wer arbeitet für Team Jorge?  

    In einer Präsentation heißt es, das Management von Team Jorge bestehe aus ehemaligen Geheimdienstleuten, Spezialkräften und Militärs. Tatsächlich scheint die Firma eine Art geheimdienstliches Familienunternehmen der Brüder Tal und Zohar Hanan zu sein. Tal Hanan ist um die 50 Jahre alt und tritt nach außen als "Jorge" auf. In Präsentationen verwendet er auch die Tarnnamen "Joyce Gamble" oder "Jaime".
    Über öffentlich zugängliche Informationen und Quellen in Israel konnten Journalisten des Forbidden-Stories-Netzwerks recherchieren, dass Tal Hanan einen Abschluss in "Internationale Beziehungen" vorweisen kann. Laut eigenen Angaben war er Sprengstoffexperte in den israelischen Streitkräften. Er nennt sich der "Vorstandsvorsitzende" von Team Jorge.
    Zohar Hanan ist sein Bruder und wird als Geschäftsführer bei Team Jorge vorgestellt. Er tritt unter dem Decknamen "Nick" in Erscheinung. Er hat Jura studiert und ist nach eigenen Angaben Experte für Lügendetektoren. Mehrere Quellen sagen, er habe fürs "Prime Minister’s Office" gearbeitet - in Israel Synonym für eine Geheimdienstkarriere.  

    Was kostet es, eine Wahl zu manipulieren?

    Für diesen besonderen "Service" ruft Team Jorge Preise zwischen sechs und 15 Millionen Dollar auf. Für das Hacking von Nutzerkonten verlangten sie etwa Beträge von 50.000 Dollar. Die Rechnungen sollen offenbar vorzugsweise in Kryptowährungen bezahlt werden.
    Aus einem alten Kostenvoranschlag geht hervor, dass die Truppe vor Jahren für achtwöchige Vorbereitungen und Präsentationen 160.000 Dollar verlangte, zuzüglich Spesen.

    Wie gefährlich ist Team Jorge?
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    Wer sind die Auftraggeber der Geheimfirma?  

    Team Jorge hält sich mit Aussagen zu Klienten zurück. Die Präsentationen, die vermeintlichen Verkaufsgespräche und weitere Recherchen lassen aber Rückschlüsse zu. Demnach griff Team Jorge 2015 in den Wahlkampf in Nigeria ein. 2022 infiltrierten sie offenbar Telegram-Konten von für den Wahlkampf wichtigen Personen in Kenia. Es führen Spuren nach Indonesien, nach Griechenland, in die Vereinigten Arabischen Emirate und in mehrere Länder Lateinamerikas.
    Nach eigenen Angaben war Tal Hanan während seiner Militärzeit in Kolumbien und Mexiko. In ihrer Präsentation zeigten Vertreter von Team Jorge Folien über Cyberangriffe auf eine Abstimmung zur Unabhängigkeit Kataloniens 2014. Die Attacken haben stattgefunden, ob Team Jorge tatsächlich etwas damit zu tun hatte, ist unklar.

    Gibt es weitere Verdachtsfälle zu manipulierten Wahlen?  

    Nach der inszenierten Kampagne "#RIP_Emmanuel" konnte das Rechercheteam rund 20 Social-Media-Kampagnen identifizieren, bei denen Avatare eingesetzt wurden, die in der Aims-Software von Team Jorge auftauchen. Es waren Kampagnen in den USA, Großbritannien, Frankreich und Panama.
    Mal ging es um die Verlängerung der Laufzeit eines Atomkraftwerks, mal um die mutmaßlichen sexuellen Übergriffe eines finnisch-kanadischen Unternehmers, ein anderes Mal um einen Skandal mit Covid-Tests in Großbritannien. Ein Account, der im Umfeld des Team Jorge aufgefallen ist, verbreitete zudem kritische Tweets über den deutschen Lebensmittellieferdienst Gorillas. Auch im Vorfeld der Wahlen im Senegal waren Aims-Avatare aktiv.
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    Arbeitet Team Jorge mit illegalen Methoden?  

    Team Jorge hat sich laut eigenen Angaben Zugang zu fremden E-Mail- und Messengerkonten verschafft. Die Firma nutzt zwar ein Büro in Israel, ist aber dort nicht im Handelsregister zu finden, möglicherweise, um Nachfragen israelischer Behörden aus dem Wege zu gehen. Ob die Aktionen illegal waren, müssten Gerichte klären. 

    Was sagt Team Jorge zu den Vorwürfen?

    Team Jorge wurde ein umfangreicher Fragenkatalog zugeschickt, damit die Beteiligten Gelegenheit haben, Stellung zu den Recherchen zu nehmen. Der Chef von Team Jorge, Tal Hanan, antwortete in einer Nachricht an das Netzwerk "Forbidden Stories":

    Um es klar zu sagen, ich weise zurück, dass ich etwas Falsches getan habe.

    Stellungnahme von Tal Hanan, Chef von Team Jorge

    Auch sein Bruder Zohar Hanan schreibt, er habe sich stets an Gesetze gehalten. Auf die einzelnen Vorwürfe von Manipulation und Desinformation in konkreten Ländern ging niemand von Team Jorge bislang ein.
    Lesen Sie hier die gesamte Recherche zum Verdacht von Wahlmanipulation durch die Firma Team Jorge:

    Undercover bei Digital-Söldnern
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    von Armin Coerper, Felix Klauser
    Team Jorge
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