Kandidat der türkischen Opposition: Der Anti-Erdogan

    Präsidentenwahl in der Türkei:Kandidat der Opposition: Der Anti-Erdogan

    von Jörg Brase
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    CHP-Chef Kilicdaroglu soll für das Oppositionsbündnis gegen Präsident Erdogan bei der Wahl antreten. Wofür steht er und wie groß ist seine Chance, die Ära Erdogan zu beenden?

    Kemal Kilicdaroglu
    Kemal Kilicdaroglu ist der Herausforderer von Amtsinhaber Erdogan.
    Quelle: dpa

    Fast wäre das Projekt geplatzt. Weil eine aus der Reihe tanzte. Weil sie ihn für den falschen Kandidaten hielt. Doch Kemal Kilicdaroglu absolvierte am Ende erfolgreich die erste Etappe des Projekts "Machtwechsel".

    Opposition eint ein Ziel: Ende der Ära Erdogan

    Am Montagabend traten er und die Vorsitzenden der anderen fünf Parteien der "Nationalen Allianz" vor ihre Anhänger, präsentierten ihn als ihren Spitzenkandidaten und eröffneten den Wahlkampf gegen Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan.
    Es ist ein Bündnis, das vor allem das Ziel eint, nach 20 Jahren die Ära Erdogan zu beenden. Dieses Bündnis zusammenzuhalten, dürfte für Kilicdaroglu ähnlich schwer werden wie ein Sieg am 14. Mai, dem voraussichtlichen Wahltermin.  

    Kritikerin Aksener: Wahl "zwischen Tod und Malaria"

    Meral Aksener, Vorsitzende der Iyi-Partei, hatte für einen Eklat gesorgt, als sie in der vergangenen Woche ihren Ausstieg aus dem Bündnis erklärte. Sie könne nicht akzeptieren, dass Kilicdaroglu als Spitzenkandidat gesetzt sei.
    Die prominenten CHP-Bürgermeister Ankaras und Istanbuls, Yavas und Imamoglu, hätten bessere Umfragewerte, vor allem bei jüngeren Wählern, und damit bessere Chancen, Erdogan zu schlagen. Die Wahl zwischen Erdogan und Kilicdaroglu bezeichnete sie als Wahl "zwischen Tod und Malaria".   

    Kilicdaroglu kein begnadeter Redner wie Erdogan

    Harmonie und Konsens klingen anders. Doch Kilicdaroglu holte Aksener zurück unter das Dach der Allianz, indem er zusagte, die beiden populären CHP-Männer Yavas und Imamoglu als Vizepräsidenten zu nominieren, sollte er gewählt werden. Nur mit vereinten Kräften könne ein Sieg gelingen, gab sich Kilicdaroglu überzeugt. Aksener willigte schließlich ein. An ihrer Ablehnung des CHP-Chefs aber wird das nichts ändern.
    Der ehemalige Finanzbeamte und Chef einer Sozialversicherung  hat in den 13 Jahren, in denen er seine Partei führt, noch keinen Wahlsieg einfahren können. Er gilt als integer, pragmatisch und beharrlich, doch er ist kein Volkstribun und begnadeter Redner wie Amtsinhaber Erdogan. 

    In jeder Hinsicht ein Anti-Erdogan

    Kilicdaroglu ist in jeder Hinsicht ein Anti-Erdogan, doch ob das allein von der Regierungspolitik frustrierte WählerInnen überzeugen kann, ist fraglich. Zwar hat das Image des Amtsinhabers wegen des schlechten Krisenmanagements nach der Erdbebenkatastrophe nochmal gelitten.
    Doch es gibt kaum einen türkischen Politiker, der wie Erdogan den Amtsbonus zu nutzen und auf Wahlkampfbühnen zur Höchstform aufzulaufen versteht. In einer Rede am Montagabend gab Erdogan den Krisenmanager, der nach anfänglichen Problemen nun alles daran setzen will, die zerstörten Erdbebenregionen schnell wieder aufzubauen.   

    Experte: Kilicdaroglu steht für demokratischen Wandel

    Das Sechser-Bündnis dagegen tritt an mit dem Versprechen, die Machtfülle des Präsidentenamtes nach einem Wahlsieg zu beschneiden. "Kemal Kilicdaroglu steht für den demokratischen Wandel in der Türkei," meint der Politikwissenschaftler Suat Özçelebi.

    Er steht für den Übergang der Türkei von einem Ein-Mann-Regime zurück zu einem demokratischen, parlamentarischen System.

    Suat Özcelebi, Politikwissenschaftler

    Systemwechsel in Zwölf-Punkte-Plan festgeschrieben

    Diesen Systemwechsel haben die Parteien in einem Zwölf-Punkte-Plan festgeschrieben. Das Gezerre um die Spitzenkandidatur aber lässt befürchten, dass es den Allianz-Parteien tatsächlich eher um Regierungsposten als um Inhalte geht.
    Es waren Personalfragen, die das Bündnis an den Rand des Scheiterns gebracht hatten. Der Präsident sah es mit Genugtuung und höhnte Richtung Opposition: "Während wir uns um das Wohl der Menschen kümmern, geht es ihnen nur um die Macht." 
    Jörg Brase ist Studioleiter im ZDF-Studio Istanbul.

    Nach der Erdbebenkatastrophe
    :Die Wut auf den türkischen Staat

    Viele Menschen in der Türkei sind wütend auf Präsident Erdogan, fühlen sich im Stich gelassen. Währenddessen verteilt er Geldscheine an Kinder, will sein Image vor der Wahl retten.
    Anne Brühl, Istanbul
    Menschen gehen vor eingestürzten Gebäuden nach einem schweren Erdbeben in Adiyaman(Türkei), aufgenommen am 28.02.2023

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