Politologe: USA sehen Wiederaufbau der Ukraine bei Europäern

    Interview

    USA sehen Europa in der Pflicht:Wer bezahlt den Wiederaufbau in der Ukraine?

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    Die USA ächzen unter einer enormen Schuldenlast. Mit Blick auf die Ukraine fällt den Europäern deshalb eine große Aufgabe zu - und eine Chance, erklärt der Politologe Josef Braml.

    Dorfbewohner räumen die Trümmer nach einem nächtlichen Raketenangriff auf Privathäuser in Solotschiw in der Ukraine auf am 09.03.2023
    Solotschiw, Ukraine: Dorfbewohner räumen die Trümmer nach einem nächtlichen Raketenangriff auf Privathäuser auf. (Archivbild).
    Quelle: dpa/Mykola Tys

    ZDFheute: Die USA haben bislang einen Großteil der militärischen Hilfe für die Ukraine getragen – nach eigenen Angaben mit inzwischen 35 Milliarden US-Dollar. Sie sehen die Weltmacht aber zusehends in der Schuldenfalle. Wie sehr wackelt Washington finanziell?
    Josef Braml: Die US-Amerikaner leben seit Jahrzehnten deutlich über ihre Verhältnisse. Sie haben inzwischen einen gigantischen Schuldenberg von etwa 31 Billionen US-Dollar aufgetürmt und in Krisenzeiten wackelt das Kartenhaus gewaltig.
    Der haushaltspolitische Spielraum der US-Regierung wird enger – und mit beginnendem Präsidentschaftswahlkampf wächst der Druck auf die Biden-Administration.

    Es wird nach Einsparmöglichkeiten gesucht. Am leichtesten fällt das bei der internationalen Hilfe – auch mit Blick auf die Ukraine.

    Politologe Josef Braml
    Quelle: Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik

    ...ist Politologe und Europa-Direktor der Trilateralen Kommission, einer Organisation für den Dialog zwischen Amerika, Europa und Asien. Das aktuelle Sachbuch des renommierten USA-Experten trägt den Titel "Die transatlantische Illusion. Die neue Weltordnung und wie wir uns darin behaupten können".

    ZDFheute: Was denken Sie, worauf muss sich die Ukraine deshalb einstellen?
    Braml: Die US-Regierung wird zunächst vor allem die verbündeten Westeuropäer ansprechen und sagen: Ihr habt euch bei den Waffenlieferungen zurückgehalten, der Wiederaufbau der Ukraine ist jetzt euer Job!
    Vor allem der Druck der Trump-Anhänger im US-Repräsentantenhaus ist enorm. Die Republikaner haben dort die Mehrheit und die Trumpisten unter ihnen, die einer weiteren Unterstützung der Ukraine in aller Regel ablehnend gegenüberstehen, machen Dampf. Auch Kevin McCarthy, Sprecher der Republikaner im Repräsentantenhaus, hat schon vor Monaten gesagt, dass es künftig keine Blankoschecks mehr für Kiew geben werde.
    ZDFheute: Welche Konsequenzen hat das für die Europäische Union und insbesondere für Deutschland als wirtschaftliches EU-Schwergewicht?
    Braml: Auf Europa kommen immense Kosten zu.

    Nach dem Ende von Putins Angriffskrieg auf die Ukraine braucht das geschundene Land ein internationales Aufbauprogramm und es zeichnet sich ab, dass die USA die Europäer in der Pflicht sehen, den Löwenanteil zu stemmen.

    Ob die von der EU-Kommission geschätzten 350 Milliarden Euro ausreichen werden, sei mal dahingestellt.
    Ein vom Krieg zerstörtes Gebäude in der Ukraine
    Das Dorf Staryj Saltiw nördlich von Charkiw wurde im Krieg heftig zerstört. Mit EU-Hilfen wird dort bereits mit dem Wiederaufbau begonnen.27.03.2023 | 2:01 min
    ZDFheute: Und in welcher Rolle sehen Sie Deutschland?
    Braml: Aufgrund der Unwägbarkeiten in der US-Innenpolitik und der amerikanischen Hinwendung nach Asien wird ein auch von Deutschland stärker forciertes Europa mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit und diplomatische Friedensbemühungen übernehmen müssen.
    Dabei sollte sich deutsche Politik nicht nur mit Gleichgesinnten, sondern auch mit Repräsentanten rivalisierender Systeme ins Benehmen setzen, um Schlimmeres, vor allem auch für die kriegsgeschundene Ukraine, zu verhindern.
    ZDFheute: Wer außer den Europäern könnte – und will zudem auch – substanzielle Summen für den Wiederaufbau der Ukraine bereitstellen?
    Braml: China stellt massive Kredithilfen in Aussicht. Zumindest lassen Aussagen chinesischer Spitzenpolitiker diesen Schluss zu.

    Man darf nicht vergessen: Die Chinesen haben ihre neue Seidenstraße im Blick und in der Ukraine sehr viele Interessen.

    Das bringt uns Europäer in eine neue Zwickmühle.
    ZDFheute: Was heißt das konkret?
    Braml: Die Amerikaner wollen sich nicht wesentlich beim Wiederaufbau der Ukraine engagieren. Die Europäer wollen auch nicht alle Lasten allein schultern. Da kommen ihnen die Chinesen gerade recht, aber so ein Engagement ist den Amerikanern wiederum nicht recht. Das heißt: Bessere europäisch-chinesische Beziehungen könnten zu größeren Spannungen im transatlantischen Verhältnis führen.

    Ich sähe da aber auch eine Chance für die Europäer, wenn die EU das aushalten und gleichzeitig endlich eine größere wirtschafts- und sicherheitspolitische Verantwortung für sich und ihre Nachbarn übernehmen würde.

    Das Interview führte Marcel Burkhardt.

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