Am Tag nach dem
Putschversuch durch Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin und seine Kämpfer sieht man in der Hauptstadt Moskau nicht mehr viel von der hohen Nervosität, die hier am Samstag herrschte. Keine Straßensperren mehr, die Menschen sitzen in der Sonne in den Parks, trinken Kaffee, gehen spazieren.
Aber es hat den Moskauern doch einen Schock versetzt, dass es die Wagner-Söldner bis in die Hauptstadt schaffen und dort auf
Wladimir Putins Sicherheitsapparat oder Kämpfer der Privatarmee von Tschetschenenführer Ramsan Kadyrow treffen könnten. Das war bis Samstagabend ein realistisches, blutiges Szenario.
Bis
Jewgeni Prigoschin den Marsch auf Moskau und sein Vorhaben stoppte. Und alle fragen sich: Was war das denn jetzt? Die Theorien reichen von abgebrochenem Putsch bis hin zu einer ausgefuchsten Inszenierung.
Vieles liegt noch im Dunkeln
Dass ausgerechnet die berüchtigte Wagner-Truppe - bekannt für ihre blutrünstigen Kämpfer und die für Putin schon einige schmutzige Jobs auf der ganzen Welt erledigt hat - sich plötzlich gegen Putin selbst wendet, das hatte niemand auf dem Zettel. Vieles bleibt auch heute noch rätselhaft und es gibt mehr Fragen als Antworten.
Prigoschins Kernforderung, dass Verteidigungsminister Sergej Schoigu abgesägt wird und es große Veränderungen im russischen Verteidigungsministerium gibt, hat sich bislang nicht erfüllt. Unklar also, warum Prigoschin von seinem Plan, Richtung Moskau zu marschieren, abließ.
Lücken in Putins Sicherheitssystem
Doch klar ist:
Putins Machtposition ist jetzt deutlich geschwächt. Vielleicht war es zum Schluss genau das, was Jewgeni Prigoschin, einst Putins enger Vertrauter, mit dieser Aktion erreichen wollte. Dass die Wagner-Gruppe fast ohne Gegenwehr Richtung Moskau marschieren konnte, offenbart große Lücken in Putins Sicherheitssystem.
Russlands Präsident wollte Entschlossenheit demonstrieren und drohte den "Verrätern", wie er die Aufständischen nannte, mit "harten Strafen". Doch am Samstagabend war schon klar, dass Prigoschin und seine Kämpfer straffrei davonkommen werden.
Wagner-Chef Prigoschin hat Russland mit seinem Aufstand gegen die Führung in Moskau rund 24 Stunden in Atem gehalten. Eine Chronologie der wichtigsten Ereignisse.
Putin hasst Verräter noch mehr als seine Feinde
Das schwächt Putins Autorität, doch ob sich die am Putschversuch Beteiligten in Zukunft wirklich sicher fühlen dürfen, ist fraglich. Noch mehr als seine Feinde hasst Putin nämlich Verräter.
Und Sorgen dürften Putin auch die Bilder aus Rostow am Don machen, auf denen zu sehen ist, wie die Bevölkerung die Wagner-Soldaten feiert. Da wird auf einmal wieder sichtbar, dass nicht alle mit Putins Kurs einverstanden sind. Das kommt aber immer seltener zum Vorschein, weil jegliche Solidaritätsbekundungen mit der Ukraine oder der Opposition unterbunden werden und Anti-Kriegs-Proteste verboten sind.
Die große Frage ist jetzt also, wie Putin aus der Defensive heraus auf diese Gemengelage reagieren wird. Es wäre keine Überraschung, wenn Putins Gegner jetzt mit weiteren Repressionen rechnen müssen.
Den Machtkampf mit Wagner-Chef Prigoschin hat Russlands Präsident Putin vorerst überstanden. Doch die Meuterei zeigt klare Risse in seinem Machtsystem. So geschwächt ist Putin.
von Nils Metzger