Hoffnung bei Zöliakie:Medikament gegen Glutenunverträglichkeit
von Gunnar Fischer
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Wissenschaftler haben das erste wirksame Medikament für die Behandlung von Zöliakie entwickelt. Es hemmt die Entzündung im Dünndarm und soll schwere Folgeschäden verhindern.
Viele Betroffene mit Zöliakie haben trotz strenger glutenfreier Ernährung Beschwerden. Wie ein neues Präparat ihnen helfen kann.16.05.2024 | 5:25 min
Wer an Zöliakie leidet, muss lebenslang glutenhaltige Lebensmittel meiden. Nur so lässt sich die Erkrankung einigermaßen unter Kontrolle halten. Allerdings ist eine strikte glutenfreie Diät für Betroffene in der Realität kaum einzuhalten, weiß Detlef Schuppan, Leiter der Zöliakie-Ambulanz an der Universitätsmedizin Mainz, denn Gluten sei ein verbreiteter Zusatzstoff.
Schon Spuren von Gluten lösen Beschwerden aus
Bei der Zöliakie handelt es sich um eine entzündliche Erkrankung des Dünndarms, die etwa ein Prozent der Bevölkerung betrifft. Die Autoimmunerkrankung wird durch den Verzehr von Gluten ausgelöst. Das Kleber-Eiweiß ist in verschiedenen Getreidesorten wie Weizen, Roggen und Gerste enthalten. Ein Drittel aller Zöliakie-Patienten reagiert so empfindlich darauf, dass schon winzige Mengen Symptome wie Bauchschmerzen und Durchfall hervorrufen.
Das Hauptproblem sei nicht etwa, keine Pizza oder keine Nudeln essen zu können. Problematisch für Betroffene seien die Verunreinigungen, die in vielen Lebensmitteln stecken, erklärt der Experte.
Wer Zöliakie hat, muss sich streng glutenfrei ernähren. Hört sich kompliziert an, ist aber mittlerweile gut umsetzbar. Worauf es ankommt und was zu beachten ist.
von Christina-Maria Pfersdorf
FAQ
Medikament verhindert Entzündung im Dünndarm
Hoffnung macht derzeit ein Wirkstoff zur Behandlung der Glutenunverträglichkeit. Das von Schuppan mitentwickelte Medikament basiert auf der Entdeckung von Transglutaminase. Es handelt sich um ein körpereigenes Enzym, das auch im ganzen Darm vorkommt. Betroffene bilden Antikörper dagegen.
Mit dem Enzymhemmer wird die Transglutaminase in ihrer Aktivität ausgebremst. Das beugt einer glutenbedingten Entzündungsreaktion im Dünndarm vor. Das Problem: Hält die Entzündung länger an, werden die Ausstülpungen der Dünndarmschleimhaut, die sogenannten Zotten, zerstört. Dies wiederum kann zu Nährstoffmangel sowie zu weiteren schwerwiegenden Komplikationen führen.
Dass das Medikament eine stark schützende Wirkung auf die Dünndarmschleimhaut hat, konnte bereits in ersten Studien nachgewiesen werden.
Studienlage und bisherige Ergebnisse
Das Forschungsteam um Prof. Detlef Schuppan konnte bereits vor drei Jahren gemeinsam mit internationalen Kollegen in einer klinischen Phase 2a-Studie die Wirksamkeit des Medikaments aufzeigen. Europaweit nahmen insgesamt 160 Patienten über sechs Wochen an der Studie teil. Alle Probanden sollten pro Tag einen glutenhaltigen Keks essen.
Die Teilnehmer wurden in vier Gruppen aufgeteilt, wobei drei Gruppen das Medikament in unterschiedlich starken Dosierungen bekamen. Die übrigen Probanden erhielten ein Scheinpräparat. Untersuchungen innerhalb der Studie zeigten: Das Medikament hemmt die Entzündung und verhindert eine Schädigung der Darmzotten.
Derzeit läuft eine Folgestudie über zwölf Wochen mit besonders belasteten Patienten, die trotz strikter glutenfreier Diät erhebliche Beschwerden und entzündliche Veränderungen im Darm haben. Diese Phase 2b-Studie wird nach dem gleichen Schema wie in Phase 2a durchgeführt, jedoch ohne die Gluten-Provokation. Die Auswertung der Studie erfolgt Ende des Jahres. Anschließend muss eine Phase 3-Studie durchgeführt werden, um das Medikament zuzulassen.
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Zulassung in zwei Jahren erwartet
Der Experte rechnet damit, dass das Medikament in zwei Jahren auf den Markt kommen könnte. Es ist vor allem für besonders stark betroffene Patienten, bei denen es trotz strenger glutenfreier Diät zu Entzündungen kommt, als Dauermedikation gedacht. Aber auch alle anderen Betroffenen sollen von dem Wirkstoff profitieren. Sie können das Medikament als Tablette bei Bedarf prophylaktisch einnehmen, um auch außerhalb der eigenen Küche zu essen, ohne Spuren von Gluten fürchten zu müssen.
Bei einer normalen Ernährung seien das 15 Gramm Gluten pro Tag. Drei Gramm könnten durch das Medikament toleriert werden, erklärt der Experte.
Medikament soll glutenfreie Ernährung unterstützen
Schuppan betont jedoch, dass das Ziel der Medikamentenentwicklung nicht darin bestünde, dass sich Betroffene mit dem Transglutaminase-Hemmer komplett glutenhaltig ernähren könnten. Vielmehr solle das Medikament unterstützend zu einer glutenfreien Ernährung mehr Sicherheit und damit ein Gewinn an Lebensqualität bieten.
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