EM-Halbfinale gegen England: Holland mit Deutschland-Faible

Niederländische Städte wie Arnheim und Enschede, Nimwegen und Maastricht sind es längst gewohnt, dass am Wochenende die Deutschen kommen. Schöne Innenstädte, charmante Wochenmärkte und am Sonntag geöffnete Geschäfte üben insbesondere für Bewohner im Ruhrgebiet großen Reiz aus.

Nun rollt allerdings die Reisewelle in die andere Richtung. Direkt nach Dortmund, wo zum EM-Halbfinale zwischen Niederlande und England (Mittwoch, 21 Uhr) von Seiten der Polizei inzwischen mit 80.000 holländischen Fußballfans gerechnet wird.

Viele haben noch Tickets ergattert, die insbesondere deutsche und türkischstämmige Inhaber die vergangenen Tage angeboten hatten. Der "Oranje"-Fanwalk über die Ruhrallee zur Heimstätte von Borussia Dortmund könnte einer der stimmungsvollsten des Turniers werden. Solche Bilder dringen natürlich auch zu den Protagonisten vor.

Außer dem Triumph ihrer Frauen bei der Heim-EM 2017 hatte die Heimat diesbezüglich fast nichts zu feiern. Die Männer fehlten bei der EM 2016 und WM 2018 ganz. Aber nun flammt die Fußball-Liebe wieder auf.

Was insofern erstaunlich ist, weil der "Elftal" die großen Namen von früher fehlen. Im bislang letzten EM-Halbfinale spielten die Holländer 2004 mit Stars wie Edwin van de Sar, Edgar Davids, Clarence Seedorf, Arjen Robben oder Ruud van Nistelrooy. Nun können Bart Verbruggen, Jerdy Schouten, Xavi Simons, Memphis Depay und Cody Gakpo sogar mehr erreichen.

Weniger schillernd, aber erfolgreicher? Individuell nicht mehr so herausragend, aber schlagkräftiger als Kollektiv? Darin steckt die Chance der aktuellen Generation, aus der vier Stammelf-Spieler in der Premier League beschäftigt sind.

Insbesondere auf die Abwehrstützen Virgil van Dijk (FC Liverpool) und Nathan Aké (Manchester City) könnte es gegen die "Three Lions" ankommen. Sollte es tatsächlich mit dem Finale klappen, dann würde unweigerlich die Klammer noch größer gespannt - nämlich bis zur EM 1988 in Deutschland.

Da belohnte sich ein Ensemble um die Koryphäen Frank Rijkaard, Ruud Gullit und Marco van Basten als spielstärkste Mannschaft mit dem bislang einzigen großen Titel für die Niederlande. Und befreite sich mit dem Finalsieg in München gegen Deutschland nebenbei ein bisschen vom Trauma des WM-Finals 1974.

Natürlich wird im Land der Grachten und Windmühlen erwähnt, ob denn Turniere in Deutschland nicht generell ein gutes Omen seien. Es wäre ja das dritte Mal, dass die Niederlande hier ein Endspiel bestreiten würden. Nur 2006 hat es im Nachbarland (Achtelfinal-Aus in Nürnberg gegen Portugal) nicht ganz hingehauen.

Insbesondere Nationaltrainer Ronald Koeman, beim Triumph 1988 der Abwehrchef, findet die Vergleiche mit der Vergangenheit weniger hilfreich. Zufrieden wirkte der 61-Jährige zuletzt schon, aber keinesfalls euphorisch. So lautete sein in Berlin vorgetragenes Mantra: nur eine kleine Nation, die stolz sein könne, mit den Großen aus Spanien, Frankreich und England mitzuspielen.

Bei dieser EM so weit zu kommen, war insbesondere nach einer blassen Gruppenphase - mit dem 2:3 gegen Österreich als Tiefpunkt - nicht zu erwarten. Aber die spielerische Befreiung gegen Rumänien (3:0) und der kämpferische Akt gegen die Türkei (2:1) berechtigen zur Hoffnung, dass "Oranje" sich das Beste für die Schlusswoche aufgehoben hat.

Am vergangenen Samstag hatte nach dem Viertelfinalsieg gegen die Türkei die ganze Kurve "naar links, naar rechts" getanzt - im Berliner Olympiastadion, dem Schauplatz des EM-Endspiels. Wieder ein gutes Omen?