Haushaltssperre: Ökonom sieht Gefahr einer Staatskrise

    Interview

    Hüther zur Haushaltssperre:Ökonom sieht Gefahr einer Staatskrise

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    Das Karlsruher Urteil zum Haushalt hat die Regierung erschüttert. Milliarden fehlen. Der Ökonom Michael Hüther spricht im ZDF-Interview sogar von der Gefahr einer Staatskrise.

    Sarah Tacke im Gespräch mit Professor Michael Hüther vom Institut der Deutschen Wirtschaft
    Auch im ZDF spezial äußerte sich IW-Chef Hüther zur Haushaltssperre.21.11.2023 | 3:46 min
    Weder mit Steuererhöhungen noch durch Ausgabenkürzungen seien die Löcher im Haushalt zu stopfen, die das Bundesverfassungsgerichtsurteil zum Klima- und Transformationsfonds gerissen hat.
    Diese Auffassung vertritt der Ökonom Michael Hüther, Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft im ZDFheute-Interview. Er fordert die Weiterentwicklung der Schuldenbremse und erklärt, warum der Staat bei Klimaschutz-Investitionen in Vorleistung gehen muss.
    ZDFheute: Was bedeutet die Haushaltssperre des Finanzministeriums?
    Michael Hüther: Die Haushaltssperre hat eher einen symbolhaften Charakter. Das Bundesfinanzministerium will allen in der Regierung klarmachen, dass andere Zeiten angebrochen sind mit dem Verfassungsgerichtsurteil. Es geht um die Verpflichtungsermächtigungen, also noch nicht zugesagte Zahlungen. Das wird in den Schlusswochen des Jahres nicht allzu viel sein. Es gibt bei uns nie einen Shutdown wie in den USA.
    Berlin: Der Schriftzug "Bundesministerium der Finanzen" ist außen am Gebäude des Bundesfinanzministeriums zu lesen.
    Nach der Haushaltssperre stellen sich viele Fragen.21.11.2023 | 2:06 min
    ZDFheute: Aber geht die Haushaltssperre nicht über das rein Symbolhafte hinaus?
    Hüther: Die Haushaltssperre löst ja keine Probleme. Sie schafft kurzfristig einfach mal Raum, weil nichts ausgegeben wird, was noch nicht verplant ist. Aber wir stehen ja vor Summen, die ein Vielfaches dessen ausmachen: 60 Milliarden sind zu annullieren für den Klima- und Transformationsfonds. Die einfach mal im laufenden Verfahren aus dem Haushalt herbeizuwirtschaften, scheint mir relativ unwahrscheinlich. Ich glaube nicht, dass das gelingt.
    Es geht aber noch um sehr viel mehr: Die Verschuldungsgrenze wird in diesem Jahr noch deutlich stärker erhöht, weil auch die Zuführungen an andere kreditfinanzierte Haushalte nun als Schulden gebucht werden.
    Das heißt: Wir sind bei über 100 Milliarden, 150 Milliarden, wenn man die Zahlen des Rechnungshofes nimmt. Daraus ergeben sich enorme Ratlosigkeiten. Einige sagen: Wir müssten die Notlage erklären. Wir haben aber nicht wirklich eine Notlage. Wir haben nur ein Verfassungsgerichtsurteil. Insofern ist unklar, wie die Lösung gefunden wird.
    ZDFheute: Was bedeutet das Urteil für den Wirtschaftsstandort Deutschland?
    Hüther: Zunächst bedeutet dieses Urteil, Verunsicherung der Investoren, denn viele Themen stehen jetzt in Zweifel, beispielsweise der Kompromiss zur Stromsteuer, zur Entlastung der Energieintensiven. Das ist alles zweifelhaft geworden, auch die Fortführung der Strom- und Gaspreisbremsen bis Ende April nächsten Jahres. Der Standort, der ohnehin von Investoren mit gemischten Gefühlen betrachtet wird - wir haben schwache Wachstumsaussichten - der wird jedenfalls kurzfristig durch die Verunsicherung noch mal weiter geschwächt.
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    ZDFheute: Was muss die Regierung ihrer Ansicht nach tun?
    Hüther: An den Anfang gehört ein ehrlicher Befund, wie die Regierung in diese Situation hineingeraten konnte - nämlich: die Weigerung, eine Reformdiskussion über die Schuldenbremse zu führen. Die Schuldenbremse ist gut und richtig. Aber sie kann immer noch besser werden. Man kann sie weiterentwickeln. Denn wir haben heute andere Investitions-Herausforderungen für die Klimaneutralität als 2009.
    Politik muss erstmal fragen: Was will sie eigentlich gestalten. Und dann wird man schon schauen müssen, dass man einen mehrjährigen Fonds braucht, den Klima- und Transformationsfonds, auch mit höherer Dotierung, um all diese Investitionen zu tätigen. Ein Ausweg im Rahmen der Verfassung wäre: etwas Ähnliches wie das Bundeswehr-Sondervermögen.

    Das setzt aber voraus, dass Opposition und Regierung zusammenarbeiten. Das halte ich übrigens auch für geboten. Ansonsten kommen wir bis an eine Staatskrise heran.

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    ZDFheute: Was sollte die Regierung am besten nicht tun?
    Hüther: Es gibt keine Schnellschüsse, die helfen. Es gibt weder die großen Einsparpotenziale, es gibt aber auch nicht die Steuererhöhungspotenziale. Wir haben Steuersätze für Unternehmen, die im oberen Feld liegen, und wir sind da nicht mehr wirklich wettbewerbsfähig. Das so einfach mal durch schnelle Steuererhöhungen oder Ausgabensenkungen hinzubekommen, wird nicht gehen. Denn die Beschlüsse waren ja nicht alle falsch, die man getroffen hat.

    Und das Verfassungsgericht hat auch nicht die Inhalte des Klima- und Transformationsfonds in Zweifel gezogen, sondern den Teil seiner Finanzierung.

    ZDFheute: Die FDP will die Transformation jetzt mit privaten Investitionen stemmen. Ist das zu schaffen?
    Hüther: Wir brauchen in hohem Maße private Investitionen. Nur der Weg in die Klimaneutralität setzt eine gute, verlässliche, leistungsfähige Infrastruktur voraus. Da muss nicht viel gesagt werden, dass die nicht gegeben ist. Der Wandel der Energieproduktion zu Erneuerbaren hin braucht enorme öffentliche Investitionen, beispielsweise in die Netzinfrastruktur.
    Das heißt, da sind große Vorleistungen des Staates zu erbringen. Denn wir wollen Klimaneutralität nicht irgendwann, sondern zur Mitte des Jahrhunderts. So steht es jedenfalls im Klimaschutzgesetz. Wer jetzt so tut, dass das alles von selbst kommt, der muss sich fragen, was er eigentlich vorher in den Gesetzgebungsverfahren mitgeteilt hat.
    Das Interview führte Ines Trams, Korrespondentin im ZDF-Hauptstadtstudio

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