Feministische Stadtplanung: Wie wollen wir leben?

    Feministische Stadtplanung:Eine Stadt für alle: Wie wollen wir leben?

    von Helmi Krappitz und Henriette de Maizière
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    Wie eine Stadt gestaltet ist, hängt von den Menschen in der Planung ab - meist Männer. Dabei werden unter anderem Bedürfnisse von Frauen oft übersehen. Wie kann man das ändern?

    Eine Straßenbahn fährt über die Augusustbrücke in Dresden.
    Gut beleuchtete Straßen (hier in Dresden) sind nur ein Aspekt feministischer Stadtplanung.
    Quelle: picture alliance/dpa

    Was würden Frauen tun, wenn es 24 Stunden lang keine Männer auf der Welt gäbe? Das Ergebnis ist erschreckend: sie würden - so die häufigste Antwort auf ein virales TikTok-Video - nachts in der Stadt spazieren gehen.
    Es ist nur ein Beispiel für männliche Privilegien. Dahinter steckt unter anderem das Stadtbild, das überwiegend von Männern geplant wird. Für Männer. Feministische Stadtplanung will ein Zuhause für alle schaffen.

    Männerdominierte Planung übersieht Bedürfnisse von Frauen

    Insbesondere junge Frauen fühlen sich oft nicht mit ihren Bedürfnissen ernst genommen. Die Stadtforscherin Mary Dellenbaugh-Losse beobachtet, dass ihr Unsicherheitsempfinden, beispielsweise im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), belächelt werde - wenn sie belästigt werden, heiße es oft, es sei bestimmt nicht so schlimm gewesen.
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    Da geht es auch um Gleichberechtigung - diese Bagatellisierung von Bedürfnissen junger Frauen zeigt mir, dass es eine Machtungleichheit bei der Entscheidung gibt: 'Was ist wichtig?'

    Mary Dellenbaugh-Losse, Stadtforscherin

    Das spiegele sich auch im Stadtbild wider. Schlecht beleuchtete Straßen, verwinkelte Unterführungen und hohe Hecken haben einen Einfluss auf das Sicherheitsgefühl vieler Frauen.
    Das wirkt sich auf das Verhalten aus - laut einer BKA-Studie aus dem Jahr 2020 meiden über die Hälfte der befragten Frauen nachts bestimmte Orte und den ÖPNV.
    Die feministische Stadtplanung will Angsträume aufbrechen und allen Bewohnerinnen und Bewohnern ein Gefühl von Sicherheit vermitteln. Mehr Beleuchtung, ein offener Städtebau und mehr Sicherheitspersonal im ÖPNV können dazu beitragen.
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    Mobilität: Unterschiedliche Bewegungsmuster fordern neue Verkehrsplanung

    Ein weiterer Aspekt: Mobilitätsmuster. Diese unterscheiden sich zwischen Frauen und Männern deutlich. Männer sind häufiger mit dem Auto unterwegs - Frauen legen mehr Strecken zu Fuß und mit dem ÖPNV zurück.
    Andere Bedürfnisse haben besonders Menschen, die Care-Arbeit leisten. Dabei handelt es sich meist um unbezahlte Tätigkeiten des Sorgens wie etwa Hausarbeit und Kinderbetreuung:

    Männer, die Vollzeit arbeiten, sind lang und linear unterwegs - egal, mit welchem Fortbewegungsmittel. Und Frauen sind viel häufiger in kleinen kettenartigen Wegen durch Nachbarschaften in Wohnortsnähe unterwegs.

    Mary Dellenbaugh-Losse, Stadtforscherin

    Frauen legen also am Tag mehr Wege zurück, und Fußgänger benötigen etwa breitere Gehwege und mehr abgesenkte Bordsteine. Die Stadtplanung sollte Wohnviertel auch an eine soziale Infrastruktur knüpfen - Kindergarten, Supermarkt und Arztpraxen sollten bestenfalls fußläufig erreichbar sein.



    Antirassismus und Feminismus: Grundlage für eine Stadt für Alle

    Die feministische Stadtplanung dürfe nicht bei breiten Gehwegen enden, sondern müsse weitergedacht werden, erklärt Franca Alero Kuyatsemi. Die 24-Jährige studiert Stadt- und Regionalplanung in Berlin.
    Neue Konzepte sollten intersektional betrachtet werden. Denn neben dem Geschlecht gehören viele Frauen weiteren marginalisierten Gruppen an. Antirassismus und Feminismus "müssen bei der Stadtplanung zusammenlaufen - wenn es nicht zusammenläuft, dann haben wir wieder nicht alle ins Boot geholt", erklärt sie.

    Intersektionaler Feminismus denkt den ursprünglichen Feminismus-Begriff weiter. Im Fokus stehen marginalisierte Personen und Gruppen, die mehrfach benachteiligt und ausgegrenzt werden - anhand sozialer Kategorien wie:
    • Geschlecht
    • Hautfarbe bzw. Ethnizität
    • Alter
    • Klasse
    • Behinderung

    Diese Identitäten können sich überschneiden und so Diskriminierung verstärken. Geprägt wurde der Begriff der Intersektionalität von der US-amerikanischen Rechtsprofessorin Kimberlé Crenshaw Ende der 1980er Jahre. Ursprünglich sollten so die Interessen von Women of Color in den USA repräsentiert werden. Heute greift Intersektionaler Feminismus die Bedürfnisse aller Menschen auf. Ziel des Ansatzes ist, dass sich auch privilegiertere Bevölkerungsgruppen für die Rechte marginalisierter Personen einsetzen. 

    Frühe Beteiligung bei Stadtplanung fördert Inklusion

    Als Woman of Color liege Kuyatsemi besonders am Herzen, dass betroffene Gruppen bereits im Planungsprozess miteinbezogen werden. Der soziale Aspekt sei essenziell - denn Stadtplanung könne Inklusion fördern:

    Ich finde wichtig, dass man Gruppen mischt und ein Austausch entsteht. Früh übt sich: Dass wir verschiedene Gesellschaftsgruppen in einem Quartier zusammenbringen, das neu geplant wird.

    Franca Alero Kuyatsemi, Studentin

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    Der intersektionale Ansatz könne Bedürfnisse marginalisierter Gruppen repräsentieren. Dabei gehe es nicht darum Männer auszuschließen, sondern neue Perspektiven miteinzubeziehen. Ziel sei eine Stadt, von der alle profitieren.
    In den letzten Jahren habe sich auch schon einiges getan; immer mehr Frauen würden Stadtplanung studieren, so Kuyatsemi. Das könne in Zukunft den entscheidenden Unterschied machen - für eine inklusive Stadt.

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