Proteste gegen Kernenergie: Deutschlands und die Atomkraft

    Geschichte der Protestbewegung:Deutschlands Widerstand gegen die Atomkraft

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    Deutschlands Abschied von der Atomkraft: das Ende einer Ära? Überzogen ist das nicht. Mit ihr haben die Deutschen alle Formen des bürgerlichen Widerstands einstudiert.

    Gereon Hermens, Anti-Atomkraft-Aktivist, sitzt in seinem Keller neben Kisten mit Schutzausrüstungen.
    Für den Ernstfall vorbereitet sein: Bauingenieur Gereon Hermens in seinem Keller.
    Quelle: dpa

    Schutzanzüge, Atemschutzmasken, Jodtabletten: Zwischen Martinslaternen und Schlafsäcken lagert im Keller von Familie Hermens in Aachen die Ausrüstung für den Super-Gau.
    Dass am 15. April die letzten drei deutschen Atomkraftwerke abgeschaltet werden, wird daran nichts ändern. Denn das weniger als 60 Kilometer von Aachen entfernte Kernkraftwerk Tihange in Belgien bleibt weiter in Betrieb - stillgelegt wurde lediglich Ende Juni der umstrittene Reaktor Tihange 2.

    Atomausstieg: Deutschland ist nicht allein

    "Wir sind keine Prepper-Familie", betont Bauingenieur Gereon Hermens - in Anspielung auf Leute, die ständig das Schlimmste befürchten und sich dementsprechend einbunkern.

    Aber wir haben uns eben gefragt: Was ist, wenn wirklich was passiert? Würden wir dann nicht sagen: 'Hätten wir uns doch mal rechtzeitig Schutzanzüge besorgt!'?

    Gereon Hermens, Aachen

    Gereon Hermens ist in gewisser Weise symptomatisch für den deutschen Atomausstieg, der sich auf die Formel bringen lässt: "Wir sind raus - aber wir sind auch die einzigen". Die Sache ist deshalb noch nicht ausgestanden.
    Die Spur: Bunker, Sirenen, Vorräte
    Die Angst vor Krieg und Krise ist zurück. Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine sind Lebensmittelknappheit oder Stromausfall zu realen Bedrohungsszenarien geworden.25.05.2022 | 29:45 min

    "Atomkraft? Nein danke!": Aufkleber einer Generation

    Können die Deutschen überhaupt jemals mit der Atomkraft abschließen? Seit Jahrzehnten hat sie die Geschichte der Bundesrepublik entscheidend geprägt.
    Vereinfacht könnte man sagen, dass die Deutschen mit der Atom-Kontroverse den bürgerlichen Protest einstudiert haben. Klar, große Demos gab es auch vorher schon, etwa gegen den Vietnamkrieg.
    Doch in der Anti-Atomkraft-Bewegung fanden erstmals breite Schichten der Bevölkerung zusammen. Das aus Dänemark importierte Logo "Atomkraft? Nein danke!" mit lachender roter Sonne wurde zum wohl bekanntesten Aufkleber einer ganzen Generation.
    Grafik: Harald Lesch zum Jahrestag von Fukoshima im Schutzanzug
    In Deutschland wurde nach dem Super-GAU in Fukushima der Atomausstieg bis 2022 beschlossen. War die Reaktion vielleicht übereilt, viel zu teuer und für das Klima fatal? 10.03.2021 | 13:43 min
    "Die Kontroverse über die Kernenergie war die größte öffentliche Kontroverse in der bisherigen Geschichte der Bundesrepublik", sagt der Umwelthistoriker Joachim Radkau, Autor des Standardwerks "Aufstieg und Krise der deutschen Atomwirtschaft" (1983).
    So brachte der geplante Bau eines Kernreaktors im badischen Wyhl Mitte der 70er Jahre sowohl linke Freiburger Studenten als auch konservativ eingestellte Winzer und Bauern auf die Beine.

    Atom-Kontroverse: Gegner mobilisieren

    Radkau hält auch nichts von der These, dass eine zur Hysterie neigende "German Angst" die deutsche Anti-Atomkraft-Bewegung befeuert habe.

    Gerade diejenigen, die sich auskannten, hatten ja Bedenken. Es gab zwar Schlagwörter wie 'Atom-Psychose' und 'Atom-Hysterie' - aber die standen gerade im Gegenteil für eine naive Kernkraft-Begeisterung.

    Umwelthistoriker Joachim Radkau

    Die Deutschen übten im Zuge der Atomkraft-Kontroverse nicht nur das Demonstrieren ein, sondern auch viele andere Mobilisierungsformen wie das Abhalten von Bürgerversammlungen und die Einflussnahme auf Verwaltungen über Eingaben sowie Klagen vor Gericht.

    Es wird heute zu wenig beachtet, dass Anti-AKW-Aktivisten frühzeitig Rückhalt bei Gerichten fanden.

    Umwelthistoriker Joachim Radkau

    Dabei verweist Radkau auf das Würgassen-Urteil, das schon 1972 Sicherheit über Wirtschaftlichkeit stellte.
    Grafik: Harald Lesch umgeben von Windrädern, E-Auto, Einstürzendem AKW und Solarzellen
    Der Atomausstieg ist überfällig. Sind wir vorbereitet? Wie können wir Wärme und Energie in Zukunft sichern? Der Ausstieg allerdings schafft auch Raum für Zukunftstechnologien.11.04.2023 | 27:47 min
    Kaum noch im öffentlichen Bewusstsein ist heute auch, dass an den Protesten von Anfang an auffallend viele Frauen beteiligt waren. Sie trieb oft die Sorge um die Gesundheit ihrer Kinder an.
    Berichte über die Folgen des radioaktiven Niederschlags amerikanischer Atombombentests hatten sich eingebrannt. Sie übertrugen das auf die zivile Nutzung der Kernenergie. Gegenpropaganda wie die Walt-Disney-Doku "Unser Freund das Atom" (1957) änderten daran nichts.

    Tschernobyl, Fukushima: Atomausstieg nach Unfällen

    Die Atomkatastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986 bestätigte die Befürchtungen der Atomkraftgegner auf dramatische Weise. Nach den Grünen schrieb sich nun auch die SPD den Atomausstieg auf die Fahnen.
    Das neue Stahldach für den havarierten Reaktor 4 des Atomkraftwerks Tschernobyl glänzt am 22.04.2016 in der Sonne. Im Vordergrund ein Denkmal für die bei der Explosion und den Aufräumarbeiten umgekommenen menschen.
    2018 macht der Autor sich auf den Weg in die Unglücksregion in Tschernobyl. Dort sind die Spuren der Atom-Katastrophe immer noch spür- und messbar.24.09.2020 | 43:37 min
    2002 beschloss die rotgrüne Bundesregierung ein Ende der Atomstromproduktion nach einer "Regellaufzeit" von 32 Jahren pro Kraftwerk. Neubauten waren nicht mehr erlaubt.
    Acht Jahre später verlängerte die CDU/CSU/FDP-Koalition die Laufzeiten wieder, doch nach der Atomkatastrophe von Fukushima 2011 drückte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gegen innerparteiliche Kritik den endgültigen Ausstieg durch. "Das war's", sagte sie damals laut "Spiegel" im Kreis von Vertrauten über die Zukunftsaussichten der Atomenergie.
    Für Gereon Hermens ist der Ausstieg überfällig. Die Schutzanzüge im Keller? "Davon hoffe ich, dass das die überflüssigste Investition meines Lebens gewesen ist."
    Quelle: Christoph Driessen, dpa

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