Fürchtet Euch! Was Angst mit uns macht

Ob über Fernsehen, Kino oder Videos – Millionen Deutsche konsumieren zum Zeitvertreib Angst. Die Lust am Gruseln hat einen Grund: Angst, die uns nicht unmittelbar betrifft, Angst, die ganz sicher vorübergeht, Angst, die nur gespielt ist – die macht uns glücklich: Im ersten Schrecken flutet Adrenalin den Körper. Dann dämpfen Endorphine und Dopamin den Adrenalin-Alarm. Beides  körpereigene Rauschdrogen. Sie sorgen für einen kurzen, glücklichen Kick. Die Erkenntnis, in Wahrheit nicht wirklich beteiligt zu sein, schafft auf diesem Weg Glücksgefühle. Weil sie selbst nicht bedroht sind, können Betrachter Horrorvideos genießen. Es wirkt paradox, aber die Angst hilft gegen die Angst! Ein Cocktail aus Glückshormonen übertüncht jede Sorge.  Gruseln ist sozusagen eine unbewusste Eigentherapie.

Angst ist überlebenswichtig. Bei Gefahr müssen wir augenblicklich reagieren. Die Information über eine kritische Situation gelangt direkt ins limbische System des Gehirns - über den Thalamus zur Amygdala. Blitzschnell wird hier bewertet – Achtung, Gefahr! Innerhalb von Millisekunden werden Stresshormone – Adrenalin und Noradrenalin - freigesetzt. Der Puls steigt, ebenso Blutdruck und Atemfrequenz. Die Muskulatur wird besser durchblutet. Die mobilisierte Energie wappnet uns für Flucht oder Kampf. Das Problem: Dieser sehr schnelle Prozess ist fehleranfällig und braucht eine übergeordnete prüfende Instanz: Der Verstand und auch das Gedächtnis werden eingeschaltet. Die Situation wird bewertet – und wird sie als harmlos eingestuft - veranlasst der Verstand Entwarnung. Er wirkt hemmend auf die Amygdala. Die Angst schwindet daraufhin.

Angst ist ein wichtiger Schutzmechanismus, aber wenn die Angst übermächtig wird und allmählich den Alltag bestimmt, kann sie zu einer Angststörung werden. Eine Form von „Überangst“ sind auch Phobien. Bei Menschen mit einer Phobie – wie beispielsweise der Spinnenphobie - funktioniert die Angstbremse oft nicht ausreichend: die Neuronen der Amygdala feuern bei einer Panikattacke besonders stark, der präfrontale Kortex – der Verstand – dämpft offenbar nicht genügend, sodass das Angstgefühl übermächtig wird und lange anhält. Um einer Panikattacke aus dem Weg zu gehen, versuchen Betroffene bestimmte Situationen unbedingt zu vermeiden. Bei einer Spinnenphobie wird dann immer wieder die Umgebung inspiziert – auch Zuhause, Zimmer für Zimmer. Es ist so kaum mehr möglich, ein normales Leben zu führen. Doch im Allgemeinen lassen sich Phobien gut behandeln. Konfrontationstherapien sind bei solchen  Angststörungen meist sehr erfolgreich.

Nach extrem belastenden Ereignissen können Betroffene zeitverzögert  unterschiedlichste psychische Symptome zeigen und an einem posttraumatischen Belastungssyndrom erkranken. Gelingt die Verarbeitung des Traumas nicht, können quälenden Erinnerungen und Albträume  den Patienten sehr belasten. Vor allem sogenannte Flashbacks machen den Alltag zur Qual. Augenblicklich wird man in vergangene Ereignisse hineingezogen. Die Gefühle der Angst und , die damit verbundenen Sinneswahrnehmungen werden immer wieder auf’s Neue durchlebt.
Forscher wollen dem Ursprung wiederkehrender Ängste erforschen, um Betroffenen zu helfen. Wie werden emotionale Ereignisse im Gehirn verarbeitet? Eine Schlüsselrolle beim Abspeichern von Erlebnissen kommen Amygdala und Hippocampus zu. Sie bewerten und ordnen Fakten sowie die damit verbundenen Emotionen und werden schließlich vom Hippocampus ins Langzeitgedächtnis als „Erinnerung“ abgelegt. Doch was hält eine einmal empfundene Angst für immer wach? Forscher vermuten, dass durch Traumata die Verbindung von Amygdala und Hippocampus gestört wird. Das Erlebte kann nur teilweise als „Erinnerung“ im Langzeitgedächtnis abgelegt werden. Der stark emotionale Teil bleibt in der Amygdala quasi „hängen“. Eintreffende Sinnesreize, die mit dem Trauma verknüpft sind, können diese Angstgefühle reaktivieren. So wird die Angst immer wieder aufs Neue durchlebt. Es gelingt oft nicht, diese Spirale der Angst alleine zu durchbrechen.

Nach den Terroranschlägen in Paris 2015/16 starten Wissenschaftler eine Studie mit Hunderten Überlebenden, die an einem posttraumatischen Belastungssyndrom erkrankt sind. Grundlage sind  Erkenntnisse der Gedächtnisforschung. Das gezielte Wiederaufrufen einer Situation kann Erinnerungen in einen „labilen“ Zustand versetzen. Ohne weitere therapeutische Hilfe  würde sich Angst (mithilfe von Botenstoffen) wieder im Gehirn festsetzen. Doch In diesem kurzen Moment besteht auch die Möglichkeit, Erinnerungen umzuformen. In der Studie setzen Wissenschaftler auf eine Kombination aus Konfrontation mit dem Trauma und Medikament. Die Patienten nehmen an sechs wöchentlichen Sitzungen teil, die  einem exakten Zeitplan folgen: Eine Stunde vor Beginn erhalten sie ein Medikament – einen gewöhnlichen Blutdrucksenker. Dann sollen sie ihre Erinnerungen und Gefühle detailreich niederschreiben,  anschließend laut vorlesen. Die Konfrontation mit dem Trauma soll ihre Erinnerungen hervorholen, in den sogenannten „labilen“ Zustand versetzen. Die Betroffenen spüren nun wieder ihre Angst. Normalerweise würde sie sich mithilfe von Botenstoffen  wieder fest im Gehirn eingravieren. Doch der Blutdrucksenker wirkt auch im Gehirn und  verhindert das. Er blockiert im Angstzentrum Rezeptoren für den Botenstoff Noradrenalin. Das Abspeichern der negativen Gefühle wird somit gestört, die Angst gemildert. Das Erlebte ist jedoch nicht gelöscht, es bleibt weiterhin im Gedächtnis. Wer die Konfrontation über Wochen erträgt, kann aber auf Linderung seiner Ängste hoffen. Für Viele Teilnehmer eine Erleichterung: Bei über der Hälfte war die Therapie erfolgreich, sie können ihren Alltag wieder meistern.