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Wie sich Städte neu erfinden

Als Ende 2019 das Corona-Virus auftauchte, konnte niemand ahnen, wie sehr es unser Leben beeinträchtigen würde.

Der Lockdown brachte den Stillstand, und Innenstädte wurden zu Geisterstädten. Mit den Lockerungen folgten Pop-up Radwege, das öffentliche Leben verlagerte sich nach draußen, in die Parks. Grünflächen wurden für Städter*innen zu Sehnsuchtsorten. Ausgerechnet die Pandemie führt uns vor Augen, wie sehr sich die Stadt von unseren eigentlichen Bedürfnissen entfernt hatte.

Ich selber wohne heute in Berlin, einen Steinwurf vom Alexanderplatz entfernt. Mein Kollegin Eva Münstermann ist in Hamburg zuhause. Der urbane Raum ist unser beider Lebensmittelpunkt.

Paris ist allerdings die Metropole, die mich bislang am meisten geprägt hat. Denn in meiner Jugend musste ich aus Deutschland kommend von der Gare de l'Est zu Gare Saint-Lazare wechseln, um den Regionalzug zu meiner Oma zu nehmen. Züge, Bürgersteige, Straßen; überall waren Autos und Menschen, alles war vollgestopft, viele Pariser nur noch gestresst und genervt. Sicherlich hat uns nicht erst die Corona-Krise bewusst gemacht, dass es so nicht weitergehen konnte, doch sie hat Entwicklungen beschleunigt. Und unsere Wahrnehmung wurde sensibilisiert: Denn bislang galten Innenstädte dann als attraktiv, wenn sie gut mit dem Auto zu erreichen waren, und uns ein tolles Einkaufserlebnis bescherten. Aber wieviel hat das tatsächlich mit Lebensqualität zu tun? Als das Leben plötzlich stillstand, haben wir auf einmal mit neuen Augen das „Aus-dem-Haus-Gehen“ gesehen. Und damit begann für uns die Recherche zu diesem Film.

Dass ich wenige Wochen später Dreharbeiten in Paris komplett per Fahrrad durchführen würde, und auch Tonmann, Kameramann, inklusive all unserer Technik sich auf diese Weise fortbewegen könnten, hätte ich mir da noch nicht träumen lassen. Aber tatsächlich hat Paris mit der Verkehrswende, beschleunigt durch die Pandemie, eine erstaunliche Wandlung durchgemacht. Die Straßen sind kaum wiederzuerkennen. Den öffentlichen Raum teilen sich an vielen Orten der Stadt die Menschen nun gleichberechtigt, egal ob sie nun zu Fuß, dem Rad oder mit dem Auto unterwegs sind. Die Hauptachse in Ost-West-Richtung, die bekannte „Rue Rivoli“, ist streckenweise allein für diejenigen zugelassen, die in die Pedale treten und eine bis dahin nie gekannte Freiheit erleben. Stolz zählt die Stadt in Höhe des Rathauses sogar jedes vorbeifahrende Fahrrad.

„Métro, boulot, dodo“ – was so viel heißt wie „U-Bahn, Arbeit, Schlaf“, diktierte lange Zeit den Pariser Lebensrhythmus. Abgase, zu enge und überfüllte Straßen führten jedem vor Augen, dass die Fahrradalternative nicht für den Alltag taugte und die Begeisterung für dieses Gefährt allein der „Tour de France“ vorbehalten war - nicht dem Stadtverkehr.

Dabei ist Paris mit einem Durchmesser von 15 km flächenmäßig eine sehr kleine Metropole. Die kurzen Wege sind für die Fortbewegung mit dem Fahrrad nahezu ideal. Und kurze Wege stehen auch im Zentrum der neuen Leitlinie für die Stadtentwicklung: die Stadt der Viertelstunde.

Ausgedacht hat sich dieses Konzept der weltweit agierende Netzwerk- und Stadtforscher Carlos Moreno. Er hat nach den Bedürfnissen der Städter*innen geforscht. Heraus gekommen sind Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, Gesundheitsversorgung, Ausbildung und Freizeit. Und er ist zu dem Schluss gekommen: Für eine lebenswerte Stadt sollten all diese Dinge in nur 15 Minuten zu erreichen sein, zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Denn die Stadt der Viertelstunde sieht sich als nachhaltige Stadtentwicklung: ökologisch, realisierbar, erträglich und fair. Und deswegen sind es oft schon die kleinen Lösungen, die viel Veränderung bringen: Umnutzung statt Neubau, die wenigen Freiräume und Plätze vielschichtiger nutzen, wo morgens der Markt ist, wird abends getanzt.

Paris geht in großen Schritten voran, aber auch hierzulande tut sich was. Unsere Recherche führte uns nach Bremen, wo eine Hauptzufahrtsstraße im Zentrum in ein Stadtlabor umgewandelt wurde. Den öffentlichen Raum nicht länger den Autofahrern überlassen, sondern ihn besser nutzen – das ist hier die Zielsetzung. Im Gespräch mit Architekt Robin Lang, der Möbel im Stadtraum aufstellt, wurde mir bewusst, wie sehr wir uns an das Bild parkender Autos gewöhnt haben. Parkplätze sind kostbarer öffentlicher Raum, der eigentlich allen gehört. In Bremen laden in der Martinistraße jetzt grüne Inseln und Stadtmöbel zum Verweilen ein. Die temporäre Umnutzung gibt den Bremer*innen die Möglichkeit auszuprobieren, wie sich diese Art von Stadt anfühlen kann.

Die deutlich kleinere Touristenstadt Hameln geht einen anderen Weg. Ein Wirtschaftsförderungsprogramm soll die leerstehenden Ladenlokale mit neuen innovativen Geschäftsideen füllen, um so mehr Leben in die Innenstadt zu bringen. Der Plan: statt bloßem Konsum in austauschbaren Ladenketten mehr Erlebnis in Inhabergeführten Geschäften. Anja Hassoun ist mit ihrer Kochschule die erste, die von der Förderung profitiert. In ihrer Erlebnisküche kann man nicht nur regionale, selbstgemachte Produkte genießen und kaufen, sondern auch gleich lernen, wie man sie zubereitet. Und so kommt wieder Leben und ein wenig Großstadtfeeling in eine bislang leerstehende Immobilie im Herzen der Altstadt zurück.

In unserem Film sollte es aber auch um Stadtentwicklung in Bürgerhand gehen. Dass sich Engagement lohnt, beweist die Bottom-Up-Initiative ALTE MU in Kiel: Künstler*innen, Kreative und Start-Ups haben die verlassene Muthesius-Kunsthochschule, eine leerstehende Immobilie in allerbester City-Lage, in einen urbanen Ort verwandelt, an dem sich Menschen begegnen, voneinander lernen und miteinander teilen können. Jetzt geht die ALTE MU den nächsten Schritt: Auf den Dächern des Kreativ-Zentrums ist Wohnraum geplant – zu sozialverträglichen Preisen.

Unsere Reise durch große und kleine Städte hat uns gezeigt: Die Transformation ist in vollem Gange. Wenn im Stadtzentrum nicht mehr Autos und Kommerz dominieren, sondern Wohnen, Arbeiten, Leben, Grün, Versorgung und Kultur ihren Raum finden, dann können unsere Städte um vieles lebendiger werden als in den letzten Jahrzehnten. Dazu braucht es keine Wunder, sondern nur ein paar mutige Entscheidungen.

Von Frédérique Veith & Eva Münstermann

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