Durch den Krieg sind 200.000 ukrainische Schulkinder hierher gekommen. Sie brauchen Förderung und psychosoziale Hilfe - das deutsche Schulsystem ist dafür unzureichend aufgestellt.
"Die Banane ist gelb." Das ist der erste Satz, den Maxim heute sagt. Der 10-Jährige sitzt in der Deutschförderstunde der Overbergschule Selm und traut sich das, was ihm im normalen Unterricht noch schwer fällt: einfach mal losreden.
Im März ist Maxim mit seiner Mutter und dem jüngeren Bruder aus dem ukrainischen Dnipro geflohen - und hier im Ruhrgebiet gelandet. An seiner Schule wird er bis auf die Deutschstunden in die normale Klasse B integriert, kann mit etwas Hilfe viele Aufgaben lösen. Er fühlt sich wohl und doch:
Viele ukrainischen Kinder sind vor dem Krieg geflüchtet. Nun kommt es darauf an, dass die ukrainischen Kinder Kitas und Schulen besuchen können.
Keine Unterstützung für die Schulen
Viele der 20 ukrainischen Kinder hier seien belastet, einige traumatisiert, sagt Schulleiterin Christine Jücker. Doch extra Sozialarbeitsstunden habe sie vom Land nicht bekommen, klagt sie: "Ich fühle mich allein gelassen und habe das Gefühl, dass ich den Kindern nicht gerecht werden kann."
So oder ähnlich schlage der Mangel an Lehrkräften und Sozialarbeit gerade an vielen Schulen durch, sagt Lisa Höckel, Expertin für Migration und Bildung am RWI Essen. Die Erkenntnis: "Das System hier kann diesen Kindern nicht den emotionalen Fokus geben, den sie eigentlich bräuchten."
Aktuell fehlen in Deutschland zehntausende Lehrkräfte. Es drohen Überforderung und Bildungsdefizite.
Probleme bei der Anerkennung von ukrainischen Fachkräften
Für die 200.000 Schulkinder aus der Ukraine bundesweit wären allein 14.000 zusätzliche Lehrkräfte nötig, schätzt der Lehrerverband. Auf Umfrage des ZDF melden die Bundesländer etwas weniger als 10.000 neue Kräfte, dafür hätten sie pensionierte oder in Teilzeit Beschäftigte akquiriert - und geflüchtete ukrainische Pädagog*innen.
Besonders bei Letzteren sehen Fachleute aber noch Potenzial: Denn viele warten auf die Anerkennung ihrer Abschlüsse, um hier als vollwertige Lehrkraft einsteigen zu können. "Da wäre es hilfreich, wenn einige Voraussetzungen berufsbegleitend nachgeholt werden könnten", sagt Bildungsexpertin Höckel. So müssten die Lehrkräfte ein fachkundiges Sprachniveau C1 und zudem Studienabschlüsse in zwei Fächern vorweisen.
Hunderte flüchtende Ukrainer kommen täglich in Deutschland an. Die Not ist groß. Die Hilfsbereitschaft ist riesig.
Ukrainische Lehrkräfte studieren anders
In der Ukraine aber studieren Lehrkräfte regulär oft nur ein Fach, sodass sie hier erst ein Studium nachholen müssten. "Diese Aufwände sind im internationalen Vergleich sehr hoch und wenig attraktiv, sodass sich viele Lehrkräfte andere Jobs suchen", sagt Höckel.
Die Kultusministerien entgegnen, dass für befristete oder Assistenzstellen erleichterte Bedingungen gelten und sie etwa bei verloren gegangenen Bildungsnachweisen kulant seien. Die übrigen Standards verteidigen sie aber als Qualitätssicherung.
Herausforderung Sprache
Debattiert wird auch, wie die geflüchteten Kinder beschult werden. Die meisten Bundesländer setzen wie Berlin, Hessen oder Bayern verstärkt auf separate Klassen. Dort sollen die Kinder zunächst vor allem Deutsch lernen, oft altersübergreifend.
Laut Bildungsministerin Stark-Watzinger wurden seit Kriegsbeginn rund 146.000 Kinder an deutschen Schulen aufgenommen. Die Integration ist nicht leicht.
Deutschlehrerin Petra Walter betreut so eine Klasse für 11-17-Jährige im bayerischen Simbach und sagt:
Nachteile bei separaten Klassen für ukrainische Kinder
Walter ärgert sich, dass die Schulpolitik nicht wenigstens jetzt, zum Schulhalbjahr, umorganisiert hat, um die einzelnen Jugendlichen besser zu fördern. Tatsächlich zeigen Studien, dass die separierte Form zumindest für jüngere Geflüchtete eher Nachteile bringt:
Wie geht es den Kindern der Ukraine nach einem Jahr Krieg? Die First Lady der Ukraine, Olena Selenska, erzählt, wie der Krieg das Leben der Kinder verändert.
Heimweh und Vorfreude
"Offenbar profitieren sie stark von der Interaktion mit Gleichaltrigen.", sagt aber Bildungsexpertin Höckel. Der Sprung ins kalte Wasser könnte sich für Maxim, der an seiner Schule im Ruhrgebiet direkt in die normale Klasse gesetzt wurde, also auszahlen. Zu Hause nach der Schule erzählt uns seine Mutter Irina, dass sie mindestens für die Kriegsdauer hier bleiben will: "Auch wenn es für uns alle schwer ist und wir Heimweh haben."
Sie besucht einen Deutschkurs, auch die Söhne sollen sich jetzt auf ihr Leben hier konzentrieren. Im Sommer kommt Maxim auf die weiterführende Schule. "Darauf freue ich mich schon", sagt er.
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