Fairtrade-Geschäft: "Bereicherung auf Rücken von Kindern"

    Interview

    Fairtrade-Geschäft:"Bereicherung auf Rücken von Kindern"

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    Der Menschenrechtsaktivist Fernando Morales-de la Cruz beklagt "neokoloniale Geschäftsmodelle" und "Betrug am Verbraucher" durch Fairtrade. Fairer Handel sehe ganz anders aus.

    Indische Familie mit Kindern bei der Feldarbeit
    Wie "fair" ist das Fairtraide-System?
    Quelle: epa

    Der Menschenrechtsaktivist und Journalist Fernando Morales-de la Cruz setzt sich seit Jahren für Kinderrechte ein. Das Fairtrade-System kritisiert er scharf.
    ZDFheute: Sie kritisieren das Fairtrade-System vehement als "großen Betrug". Warum?
    Fernando Morales-de la Cruz: Die deutsche Organisation Fairtrade International verspricht, Armut zu tilgen,aber das passiert nicht. Die Preise, die Fairtrade zum Beispiel für Kaffee oder Kakao zahlt, reichen den Bauern bei Weitem nicht, um aus ihrer großen Armut herauszukommen. Die Prämien sind so gering, dass die Familien in einer Form von "Armut light" verharren. Das ist grausam - und das ist Betrug an den Konsumenten.

    Fernando Morales de la Cruz
    Quelle: ZDF/Marcel Burkhardt

    ... ist Menschenrechtsaktivist, Journalist und Gründer mehrerer Initiativen, die sich für Kinderrechte einsetzen. Zuvor war der Exil-Guatemalteke, der heute in Frankreich lebt, als politischer Berater für mehrere Staatsregierungen tätig.

    Lesen Sie hier, wie das Faitrade-System funktioniert und das, was das Unternehmen zu Kritik sagt:

    Kinderarbeit trotz Gütesiegel
    :Fairtrade: "Armut light" oder echte Hilfe?

    "Größter Betrug des Jahrhunderts" oder doch ein Mittel, Handel gerechter zu machen und Kinderarbeit zu verhindern? Siegel wie "Fairtrade" geraten zunehmend in die Kritik.
    von Marcel Burkhardt (Text) und Michaela Waldow (Grafiken)
    Fairtrade-Weihnachtsmann
    Grafiken
    ZDFheute: Der Fairtrade-Mindestpreis soll die Kosten der Bauern abdecken, um nachhaltig produzieren zu können. Hinzu kommen Gemeinschaftsprämien. In Pilotprojekten gibt es laut Fairtrade zudem einen Aufschlag, der die Lücke zum existenzsichernden Einkommen schließen soll.
    Morales-de la Cruz: Fakt ist: Der Tageslohn von Hunderten Millionen Landarbeitern liegt unter dem Preis einer Tasse Kaffee in Berlin, München oder Hamburg. Mehr als 90 Prozent des in Deutschland und Europa konsumierten Kaffees, Tees und Kakaos tragen zu Armut und Kinderarbeit bei, weil die Bauern nur 25 bis 30 Prozent des realen Wertes ihrer Produkte erhalten. Arme Bauern im globalen Süden subventionieren Konzerne im Norden.
    Entwicklung des Kaffeepreises
    ZDFheute Infografik
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    ZDFheute: Fairtrade ist nur stark, wenn Industrie und Handel mitmachen. Im Jahr 2019 hat Fairtrade den Kakao-Mindestpreis um 20 Prozent erhöht. Laut Fairtrade gab es „sensible“ Reaktionen; die Kakaoabsätze mit dem Siegel gingen zurück …
    Morales-de la Cruz: ... Ein weiteres Argument dafür, den Unternehmen dieses Feigenblatt zu entreißen. Schluss mit diesem faulen System, das es Industrie und Handel ermöglicht, sich Jahr für Jahr weiter auf Kosten der Rohstoffproduzenten zu bereichern. Auch auf dem Rücken unschuldiger Kinder. Viele sind bei der Schufterei tagtäglich Gefahren ausgesetzt. Sie verlieren ihre Lebensperspektiven, nur damit Konzernbosse ihren Aktionären möglichst hohe Dividenden ausschütten können. 
    Preiszusammensetzung pro Kilo Schokolade
    ZDFheute Infografik
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    ZDFheute: Das sind schwere Vorwürfe. Womit belegen Sie das?
    Morales-de la Cruz: In vielen Rohstoffpreisen sind die tatsächlichen Produktionskosten nicht einberechnet. Mächtige Industrie- und Handelskonzerne diktieren die Preise und damit letztlich auch die Produktionsbedingungen. Ein Bauer, der keinen existenzsichernden Preis für seine Feldfrüchte erhält, kann sich keinen erwachsenen Helfer leisten. Ein Kinderarbeiter kostet ein Zehntel eines Erwachsenen.
    Die Folgen des Kolonialismus haben sich manifestiert in massiven strukturellen Ungleichgewichten in der internationalen Handelspolitik und Wirtschaft: Auf der einen Seite Multi-Milliarden-Konzerne aus reichen Nationen, auf der anderen eine Heerschar von mittellosen Kleinbauern im globalen Süden, deren Knechtschaft auch unter dem Deckmantel von Fairtrade fortbesteht.
    Tagespreis für Kakaobohnen
    ZDFheute Infografik
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    ZDFheute: Was schlagen Sie vor, um mehr Fairness zu etablieren?
    Morales-de la Cruz: Wir brauchen ein transparentes shared-value-System im Welthandel, das Rohstoffproduzenten fair an den Gewinnen beteiligt, die mit einem Endprodukt erzielt werden. Ein Beispiel: Bekämen die Bauern und Landarbeiter zehn Cent pro Tasse Kaffee, Tee oder Kakao, könnte das diesen Menschen wirklich ein Existenzminimum, fließendes Wasser, Bildung, eine angemessene Gesundheitsversorgung und Sozialversicherung bieten. Ein Teilen von 10 Cent pro Tasse Kaffee, das wäre mehr als das 30-fache dessen, was manche als Fairtrade-Prämie zu bezeichnen wagen.

    Neue wissenschaftliche Erkenntnisse legen nahe, dass das Ausmaß der globalen Kinderausbeutung womöglich noch größer ist als bislang bekannt. Was sind die Ursachen? Wer trägt wirtschaftlich und politisch Verantwortung? Welche Macht haben internationale Finanzinvestoren? Und helfen neue Lieferkettengesetze, Kinderrechte künftig besser zu schützen?

    ZDFheute geht diesen Fragen in einer siebenteiligen Serie nach. Bisher erschienen:

    ZDFheute: Es gibt Unternehmen, die solche Direktzahlungen an Rohstoffproduzenten betreiben. Es ist doch aber eine Staatsaufgabe, für das Bildungs- und Sozialwesen zu sorgen, nicht wahr?
    Morales-de la Cruz: In vielen Staaten, die geprägt sind von Kolonialismus und Neo-Kolonialismus, sind staatliche Strukturen nur schwach. Dort braucht es viele Keimzellen, um Entwicklung in der Breite voranzubringen. Deshalb muss das Geld direkt an die Menschen und Gemeinden fließen, die etwas leisten und genau wissen, was sie noch brauchen, um sich und der nächsten Generation ein besseres Leben ermöglichen zu können.
    Das Interview führte Marcel Burkhardt.

    Wie Fairtrade International auf die Kritik reagiert




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