Stadt ohne Autos: Berechtigter Widerstand? | Terra-X-Kolumne

    Kolumne

    Terra X - die Wissens-Kolumne:Widerstand gegen Stadt ohne Autos - zu Recht?

    von Jens Foell
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    Die Meinungen zur Verkehrswende in den Städten gehen auseinander. Liegt das nur an ein paar uneinsichtigen Boomern oder gehen die ambitionierten Stadtpläne an der Realität vorbei?

    Terra X - Die Wissens-Kolumne: Jens Foell

    Es klingt paradiesisch: Beim Einkaufen Ruhe statt Motorenlärm, beim Flanieren frische Luft statt Abgase. Für eine autoarme Innenstadt spricht vieles. Die Städte sollen wieder zu dem werden, was sie einmal waren: Orte für Menschen und nicht für Autos. Für manche muss es ein Schock gewesen sein, als im Jahr 2020 eine Umfrage im Auftrag des "Tagesspiegels" zeigte: Die meisten Deutschen wollen das überhaupt nicht. 56 Prozent waren eher dagegen und nur 35 Prozent stimmten der Stadt ohne Auto eher zu.

    In der Terra-X-Kolumne auf ZDFheute beschäftigen sich ZDF-Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten wie Harald Lesch, Mirko Drotschmann und Jasmina Neudecker sowie Gastexpert*innen jeden Sonntag mit großen Fragen der Wissenschaft - und welche Antworten die Forschung auf die Herausforderungen unserer Zeit bietet.

    Klar, es gibt Einwände gegen die Verbannung der Autos, die ganz plausibel klingen: Die Angst der Pendler*innen aus dem Umland, die ohne besseren Anschluss durch den Nahverkehr aus der Stadt ausgeschlossen werden. Oder Familien, die sich Sorgen machen müssen, wie sie mit Kinderwagen oder Großeinkauf durch die Straßenbahn kommen sollen und nur deshalb mit dem Privatfahrzeug unterwegs sind. Aber an diesen Dingen lag es nicht: Es gab bei den Antworten in dieser Studie keinen Unterschied zwischen Stadt- und Landbevölkerung und Familien mit Kindern waren eher gegen das Auto eingestellt als dafür.
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    Autos ermöglichen Barrierefreiheit und persönliche Mobilität

    Nur eine Tendenz zeigte sich wie erwartet: Vor allem Menschen über 65 Jahren lehnten Autoverbote ab. Ist es also hauptsächlich die ältere Generation, die sich an ihr Auto klammert, weil sie in einer Welt ohne vernünftigen Nahverkehr und ohne spürbaren Klimawandel groß geworden ist? Naja, ganz so einfach ist es nicht. Es ist vermutlich kein Zufall, dass sich gerade die gegen ein Autoverbot stellen, bei denen das Gehen längerer Strecken zu einem zunehmenden körperlichen Problem werden kann und das Auto da eine Bequemlichkeit bietet, mit dem der öffentliche Nahverkehr einfach nicht mithalten kann.
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    Auch von Menschen mit eingeschränkter Mobilität weiß man: Das persönliche Fahrzeug kann Möglichkeiten bieten, die bei Bus und Bahn verwehrt bleiben. Dabei geht es um Rollstuhlgerechtigkeit, aber auch um das Vermeiden von schiefen Blicken und Diskriminierung.

    Gute Chancen für Gastronomie und Einzelhandel

    Eine weitere Quelle des Widerstands gegen die autoarme Innenstadt findet sich in den Aussagen mancher Einzelhändler*innen: Geschäfte und Betriebe könnten darauf angewiesen sein, auch innerhalb des Stadtgebiets schnell mit dem Auto erreichbar zu sein. Das ist erst einmal plausibel, aber wer sagt denn, dass die attraktivere Innenstadt nicht einfach neue Kundschaft anziehen wird? Dafür gibt es Anzeichen in den Daten einer amerikanischen App zur Bewertung von Restaurants: Zum einen werden Betriebe in verkehrsarmen Stadtbereichen positiver bewertet als andere.
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    Eine weitere Analyse derselben App bezieht sich zum anderen auf Auswirkungen der Covid-Pandemie: manche US-Städte haben bestimmte Autoverbote, die wegen der Pandemie eingeführt wurden, einfach hinterher nicht aufgehoben. Die Folge: In den dauerhaft autofreien Zonen kam das Business nach der Pandemie stärker zurück als im Rest der Stadt. Dazu muss man aber sagen, dass Restaurants bei weitem nicht die einzigen wirtschaftsrelevanten Betriebe in einer Stadt sind.

    Autos verschwinden nicht von alleine

    Warum hören wir bei diesem Thema so viel über persönliche Ansichten oder App-Daten und so wenig über harte Zahlen? Das liegt daran, dass die Forschung zum Thema bislang sehr vernachlässigt wurde. Eine schwedische Meta-Analyse aus 2022 hat sich knapp 800 Veröffentlichungen zum Thema angesehen - darunter waren nur zehn relevante Studien mit Peer Review. Da ist es kein Wunder, dass es Streit gibt, wenn man sich bei so einem wichtigen Thema nicht auf verlässliche Befunde berufen kann.
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    Was sich aber dennoch herauslesen ließ, war: Eine effektive Reduktion des Autoverkehrs in europäischen Städten passiert nicht nebenher. Die Autor*innen der Meta-Analyse empfehlen nicht nur klare Pläne für Budget und Qualitätskontrolle, sondern auch das Miteinbeziehen aller relevanten Interessensgruppen, darunter auch örtliche Geschäfte.

    Verkehrswende braucht Vertrauen

    Die Message ist klar: Wenn die Verkehrswende funktionieren soll, muss sie vernünftig umgesetzt werden. Für eine autoarme Innenstadt bedeutet das vor allem attraktive Alternativen zum Auto zu schaffen, damit man niemanden im Stich lässt - und das heißt weder Einzelhändler*innen noch Menschen mit Mobilitätseinschränkung. Wichtig ist, dass die geplanten Änderungen klar und respektvoll abgesprochen und an alle kommuniziert werden. Anders formuliert: Die Verkehrswende und Mobilität von morgen muss sich die Akzeptanz in der Bevölkerung durch sinnvolle Maßnahmen und überzeugende Lösungsansätze verdienen.
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    Freie Fahrt für Autofahrer heißt es häufig noch. Eva Schulz geht neuen Ansätze für jegliche Formen von Mobilität auf die Spur.22.10.2023 | 28:04 min

    ... ist promovierter Neuropsychologe, Bestsellerautor und Redakteur bei MAITHINK X. Seine Leidenschaft gilt der Vermittlung von Wissenschaft durch Forschende. Zu diesem Zweck gründete er den beliebten Twitter-Account "Real Scientists DE" und gibt regelmäßig Seminare und Vorträge zum Thema.

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