Amnesty: Zahl der Hinrichtungen weltweit auf Höchststand

    Interview

    Amnesty-Bericht:Warum die Zahl an Hinrichtungen gestiegen ist

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    Die Zahl der Hinrichtungen ist auf den höchsten Stand seit 2017 gestiegen. Vor allem Iran und Saudi-Arabien seien für die Zunahme verantwortlich, sagt Julia Duchrow von Amnesty.

    Amnesty International
    Die "Verdreifachung der Hinrichtungen im letzten Jahr durch Saudi-Arabien" müsse von der Außenministerin angesprochen werden, fordert Julia Duchrow von Amnesty International.16.05.2023 | 5:17 min
    Dem aktuellen Bericht von Amnesty International zufolge sind im vergangenen Jahr mindestens 883 Todesurteile in 20 Ländern vollstreckt worden. Das sei die höchste Anzahl gerichtlicher Hinrichtungen seit 2017, heißt es in dem Bericht.
    Julia Duchrow, stellvertretende Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, erklärt im ZDFheute-Interview, woran das liegt:
    ZDFheute: Warum wurden 2022 so viele Todesstrafen vollstreckt?
    Julia Duchrow: Der enorme Anstieg ergibt sich aus den vermehrten Hinrichtungen im Nahen Osten und Nordafrika. Staaten aus dieser Region sind für 90 Prozent der Hinrichtungen in 2022 verantwortlich, vor allem Iran und Saudi-Arabien.
    ZDFheute: In Iran haben sich die Zahlen von 2021 auf 2022 nahezu verdoppelt - von 314 auf 576. Wie kommt das?
    Duchrow: Die Islamische Republik Iran setzt die Todesstrafe zunehmend als Repression gegen die Bevölkerung ein. Auch die Zahl an Hinrichtung wegen Drogendelikten ist mit 255 sehr hoch. Sehr auffällig ist auch die Zahl in Saudi-Arabien.
    ZDFheute: Inwiefern?
    Duchrow: Hier ist 2022 die höchste Zahl seit 30 Jahren zu verzeichnen, Hinrichtungen haben sich verdreifacht.
    ZDFheute: Woran liegt das?
    Duchrow: Eine Ursache könnte sein, dass Saudi-Arabien mittlerweile auch Drogendelikte mit der Todesstrafe ahndet. Das sehen wir als besonders problematisch an. Wir sind gegen die Todesstrafe und setzen uns dafür ein, dass sie abgeschafft wird.

    Völkerrechtlich ist sie legal, aber darf nur bei schwersten Verbrechen, das heißt die beispielsweise eine vorsätzliche Tötung beinhalten, verhängt werden.

    Portraitaufnahem von Julia Duchrow
    Quelle: Amnesty International

    ... ist stellvertretende Generalsekretärin und Mitglied der Geschäftsleitung von Amnesty International in Deutschland.

    ZDFheute: Sie fordern in Hinblick auf Iran, dass die internationale Staatengemeinschaft den Druck gegen die Regierung erhöht, damit die Zahl der Todesstrafen wieder zurückgeht.
    Duchrow: Wir glauben, alle Staaten haben ein Interesse gut dazustehen. Auf den Iran Druck auszuüben hat Wirkung, vor allem lauter Druck. Es ist auch sichtbar geworden, dass dieser Druck effektiv sein kann. Die Bundesregierung hat in den vergangenen Monaten erreicht, dass eine internationale Gruppe Untersuchungen zu den Menschenrechtsverletzungen in Iran und den gewaltsamen Demonstrations-Niederschlagungen durchführt und das ist nicht im Sinne des Irans.

    Deshalb glaube ich, der Druck darf nicht nachlassen.

    ZDFheute: Wir haben ja auch den Fall des deutschen Staatsbürgers, dem die Todesstrafe droht.
    Duchrow: Jamshid Sharmahds Todesurteil wurde Ende April durch ein Gericht bestätigt, und wir befürchten, dass die Hinrichtung sehr schnell folgen wird. Das ist auch bei anderen Verfahren so gewesen.

    Bei den Staaten, die wir angesprochen haben, gibt es keine fairen Verfahren.

    Die Urteile und Vollstreckungen basieren auf unfairen Verfahren und daran allein kann man die Unrechtmäßigkeit bereits erkennen, die in der Todesstrafe steckt.
    ZDFheute: Warum gibt es in solchen Ländern die Todesstrafe noch immer?
    Duchrow: Sie dient teilweise der Abschreckung und der Staat möchte sich als "hart" präsentieren. Gerade bei Drogen-Delikten wird sie hierfür im Iran, in Vietnam und Saudi-Arabien genutzt. Insgesamt nimmt die Zahl der Staaten, die die Todesstrafe einsetzen, ab.
    ZDFheute: Und China?
    Duchrow: Hier gibt es keine offiziellen Zahlen. Deshalb haben wir uns 2019 entschieden, China nicht mehr im Detail darzustellen, sondern nur eine Schätzung zu veröffentlichen - und diese liegt in den Tausenden.
    ZDFheute: Liberia und Ghana haben rechtliche Schritte zur Abschaffung der Todesstrafe eingeleitet. Kann man sagen, dass grundsätzlich die Länder Abstand von der Todesstrafe nehmen?
    Duchrow: Es ist eine kleine Minderheit von Staaten, die die Todesstrafe noch anwenden.

    2022 konnten wir den Trend feststellen, dass die Todesstrafe rückläufig ist.

    Vier Staaten haben sich dazu entschieden, für alle Delikte die Todesstrafe abzuschaffen und zwei für bestimmte Strafen. Das ist ein sehr gutes Zeichen. Es ist dramatisch, dass bei wenigen Staaten die Hinrichtungszahlen zunehmen.
    ZDFheute: Wie sieht die Prognose für 2023 aus?
    Duchrow: Wir veröffentlichen die Zahlen immer rückwirkend, aber die UN hat bereits erste Zahlen zu 2023. Sie gehen davon aus, dass allein im Iran schon mindestens 209 Todesurteile vollstreckt wurden und davon ausgegangen wird, dass weitere folgen. Der sehr restriktive Umgang mit den Protesten lässt diesen Schluss zu.
    Das Interview führte Florence-Anne Kälble.

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