Zugunglück in Ohio: Expertin befürchtet langfristige Folgen
Interview
Nach Zugunglück mit Gas in Ohio:Expertin befürchtet langfristige Folgen
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Nach dem Zugunglück in Ohio mit Gasaustritt hat die US-Regierung Entwarnung gegeben. Expertin Juliane Beier befürchtet aber, dass noch Vinylchlorid im Grundwasser ist.
Ein Kesselwagen des verunglückten Zuges in Ohio.
Quelle: dpa
Die Bewohner in der Region um den verunglückten Giftstoffzug in East Palestine, Ohio, kehren zurück nach Hause. Die US-Regierung hat Entwarnung gegeben, es seien keine gefährlichen Stoffe mehr in der Luft. Dr. Juliane Beier, Assistenzprofessorin der University of Pittsburgh, forscht zu den gesundheitlichen Auswirkungen von Vinylchlorid. Sie befürchtet langfristige Folgen.
ZDFheute: Wie schätzen Sie die aktuelle Lage in East Palestine ein?
Juliane Beier: Die unmittelbar stark toxischen Konzentrationen von Vinylchlorid sind vorüber. Wind verdünnt die Konzentration des Gases in der Luft und Sonnenlicht zerstört Vinylchlorid. Das Problem ist, dass wir im Labor festgestellt haben, dass auch geringere Konzentrationen von Vinylchlorid Erkrankung verstärken oder sogar hervorrufen können, besonders in Kombination mit anderen Risikofaktoren.
Unsere Experimente mit Mäusen haben gezeigt, dass Vinylchlorid die Bildung von Tumoren fördert.
Zum jetzigen Zeitpunkt wissen wir einfach noch nicht genau, wie ernst es ist, dafür gibt es nicht genug Daten.
ZDFheute: Gouverneur Mike DeWine sagt, die Luftproben in der Region seien unproblematisch und daher die Menschen in ihre Häuser zurückgekehrt. Ist das die richtige Entscheidung?
Juliane Beier: Das Problem sind fehlende Langzeitstudien, die zeigen, wie gering die Konzentration sein muss, um langfristig keine Probleme hervorzurufen. Bodenkontaminierung ist bei Vinylchlorid kein so großes Problem, aber Kontaminierung des Grundwassers ist eins.
Vinylchlorid ist ein farbloses, brennbares Gas und riecht leicht süßlich.
Es wird genutzt, um den Kunststoff PVC herzustellen.
Sind Menschen einer hohen Konzentration des Gases ausgesetzt, kann das schwere Folgen für die Gesundheit haben, so Expertin Juliane Beier.
Es kann dann zu Krebs führen und sofort Symptome wie Schwindel, Hautausschlag, gereizte Augen und Husten auslösen. Quelle: ZDF, Umweltbundesamt
ZDFheute: Welches Problem gibt es mit dem Grundwasser?
Juliane Beier: Im Wasser unter der Erde verflüchtigt sich Vinylchlorid nicht. Der Grundwasserspiegel in der Region ist relativ hoch und viele Menschen haben private Brunnen, sie nutzen also das Grundwasser. Man kann das Vinylchlorid oral aufnehmen, wenn man das Wasser trinkt.
Was aber besonders gefährlich ist: Vinylchlorid kommt beim Erwärmen aus dem Wasser wieder heraus, es verdampft in die Luft und ist dann im Haus.
Das passiert schon bei Raumtemperatur und besonders beim warmen Duschen oder Kochen. Durch die vielen Klimaanlagen wird die Luft in den Häusern oft rezirkuliert und das Gas verteilt sich dementsprechend im ganzen Gebäude. Viele Amerikaner öffnen auch die Fenster nicht häufig, sodass sich das Gas innen ansammeln kann.
ZDFheute: Es wird viel über die kurzfristigen Symptome vom Kontakt mit Vinylchlorid gesprochen. Sie forschen zu den langfristigen Auswirkungen. Was können die langfristigen Auswirkungen sein?
Juliane Beier: Bei hohen Konzentrationen haben wir gezeigt, dass Vinylchlorid chronische und akute Lebererkrankungen hervorruft. Außerdem können schon vorhandene Erkrankungen verstärkt werden. Das erforschen wir gerade auch bei geringeren Konzentrationen, und bisher sieht es ähnlich aus.
Besonders hier in Amerika, aber generell in der westlichen Welt, ist die weit verbreitete Adiposität - pathologische Fettleibigkeit - ein großes Problem, da sie oft mit einer Lebererkrankung einhergeht. Betroffene Personen sind dementsprechend besonders gefährdet. Die Leber ist das Hauptziel der Toxizität von Vinylchlorid, aber es wird auch über die Lungen aufgenommen und über das Blut transportiert. Es kann im Prinzip überall zu Problemen führen.
Wie schlimm sind die Auswirkungen des Unglücks mit dem Giftstoff-Zug im US-Bundesstaat Ohio wirklich? Die Behörden beschwichtigen. Doch Anwohner werden krank - und haben Angst.
Ramon Mebrahtu, Washington D.C.
ZDFheute: Sie sind eine der ganz wenigen Expertinnen auf der Welt, die sich mit dem Thema beschäftigen. Haben irgendwelche offiziellen Stellen nach dem Unfall mit Ihnen Kontakt aufgenommen?
Juliane Beier: Nein, nur die Presse bisher. Was wir selbst versuchen ist, Gelder vom Staat zu bekommen, um in der Region Proben sammeln zu können, um die ganze Situation zu untersuchen.
... Assistenzprofessorin an der University of Pittsburgh. Sie forscht seit Jahren zu den gesundheitlichen Auswirkungen von Vinylchlorid. Sie ist eine der wenigen Expertinnen weltweit. Quelle: ZDF
ZDFheute: Was müsste aus Ihrer Sicht momentan in der Region passieren?
Juliane Beier: Kurzgesagt: Tests. In vielen Häuser wurden einmalige Luftuntersuchungen gemacht, es braucht aber regelmäßige Tests.
Die Luft innerhalb der Häuser müsste getestet werden, das Grundwasser müsste getestet werden und auch regelmäßige Bluttests bei den Menschen in der Region sind wichtig.
Wir wissen einfach zu wenig, daher muss untersucht werden. Die Regierung sollte Leute finden, die sich dessen annehmen können. Ein bisschen was wird aktuell getan, aber die Informationen darüber sind sehr gering.
Ich denke, eine Biodatenbank müsste angelegt werden von Proben und auf lange Zeit gesehen muss festgestellt werden, ob den Menschen wirklich nichts passiert. Weil wir eben nicht abschließend wissen, ob sehr geringe Konzentrationen über einen längeren Zeitraum problematisch sein können.
ZDFheute: Wenn so ein Unglück passiert: Worauf muss man achten?
Juliane Beier: Wenn ein solcher Unfall passiert, ist die beste Entscheidung, einfach sofort so weit weg wie möglich zu kommen.
Das Interview führten Johannes Hano und Sina Behrend, sie arbeiten beide im ZDF-Studio New York