Bundeswehr-Veteran: War der Afghanistan-Einsatz "umsonst"?

    Interview

    Afghanistan-Mission:Veteran: "War mein Einsatz umsonst?"

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    "Strategisch gescheitert", so das Urteil der Enquete-Kommission des Bundestags zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. Wie bewertet ein Afghanistan-Veteran dieses Urteil?

    trams veteranen hoffnung
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    ZDFheute: Der Zwischenbericht der Kommission spricht von einem "strategischen Scheitern" des Afghanistan-Einsatzes. Was macht das mit Ihnen?
    Robert Müller: Das enttäuscht mich, das macht mich traurig und wütend. Denn ich hab' ja meinen Auftrag gemacht, und darauf vertraut, dass die Politik uns in einen Einsatz schickt und genau weiß, was sie dort macht.

    Und wenn dann am Ende das Rad zurückgedreht wird, die Taliban wieder an der Macht sind, Frauen keine Rechte mehr haben und Menschen verfolgt werden, dann macht das wütend.

    Robert Müller, Afghanistan-Veteran

    Die Frage an die Politik ist: Habt Ihr daraus gelernt? Oder ging es nur um einen Bericht, und der wird jetzt weggelegt und wir machen weiter wie bisher?

    ... ist 1977 in Rostock geboren, war als speziell trainierter Elitesoldat, als Fallschirmjäger und Hundeführer im Afghanistan-Einsatz. 2002 überlebt er dort bei dem Versuch, eine russische Rakete zu entschärfen, nur knapp eine Explosion. Fünf seiner Kameraden kommen dabei ums Leben. Bis heute leidet er unter einer schweren Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS).

    ZDFheute: Haben Sie während des Einsatzes ein Ziel vermittelt bekommen?
    Müller: Für uns Soldaten war der Auftrag, nach Afghanistan zu gehen und dort für Sicherheit und Stabilität zu sorgen. Ein vernünftiger Ansatz. Das können wir leisten. Aber wenn die politischen Ziele fehlen, dann entstehen Fragen. Und wir Soldaten sind eine Parlamentsarmee und natürlich haben wir Fragen. Und die haben wir auch im Einsatz schon gestellt. Aber die sind uns nie beantwortet worden.
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    ZDFheute: Was für einen Sinn geben Sie persönlich Ihrem Einsatz in Afghanistan?
    Müller: Ich hab' an das Große geglaubt, an das Politische. Dass das, was wir in Afghanistan machen, nachhaltig ist, das Land nach vorne bringt und der Welt Sicherheit gibt. Aber heute müssen die Menschen, die wir in Afghanistan beschützt haben - Minderheiten, Frauen - wieder um ihr Leben fürchten. Es ist einfach nichts übrig geblieben. Und die Frage nach Berlin ist, an die Politik:

    War mein Einsatz, mein persönlicher Einsatz, mein Leben, meine Gesundheit, die ich dort verloren habe - ich bin heute schwerbehindert - war das umsonst?

    Robert Müller, Afghanistan-Veteran

    Das hat ja auch Auswirkungen auf mich. Denn mein Afghanistan-Einsatz, der geht immer weiter. Ein Leben lang. Der hört nicht auf, weil das Mandat zu Ende ist.

    Nach dem Terrorangriff vom 11. September 2001 entsandten Nato-Mitglieder und Partnerländer Streitkräfte nach Afghanistan. Im Rahmen eines Mandats des UN-Sicherheitsrates beteiligte sich auch Deutschland an der Mission.

    Selbsterklärtes Ziel war die Unterbindung von Terrorismus aus dem Land heraus. Dies sollte durch Stärkung der afghanischen Regierung und Sicherheitskräfte sowie Ausbildung und Beratung afghanischer Institutionen zur Terrorismusbekämpfung gelingen. Im August 2021 wurden die Nato-Streitkräfte aus dem Land abgezogen und kurz darauf die Mission beendet. Während des Afghanistan-Einsatzes kamen 59 deutsche Soldaten ums Leben.

    Nach dem Abzug, der nachfolgend als ungeplant und überstürzt kritisiert wurde, riss die Terrorgruppe der Taliban die Macht im Land an sich. Die 20-jährige Einsatzzeit endete für die afghanische Zivilbevölkerung und viele zurückgelassene Ortskräfte in Chaos und Unterdrückung.

    Die eingerichtete Enquete-Kommission des Bundestages veröffentlichte Mitte Februar 2024 einen ersten Zwischenbericht zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. Darin heißt es: Mit dem überstürzten Abzug und der Machtübernahme der Taliban 2021 sei die internationale Koalition "strategisch gescheitert, Ergebnisse und gesteckte Ziele dauerhaft abzusichern".

    Quellen: AFP, Nato, Bundeswehr

    ZDFheute: Welche Fehler wurden aus Ihrer Sicht gemacht?
    Müller: Dass man uns einfach losgeschickt hat - Rucksack auf und Attacke! Dabei hatten wir gar keinen wirklichen Auftrag. Natürlich den Auftrag, Patrouillen zu laufen und so. Aber das große Ganze, was machen wir eigentlich dort? Man hat uns ja auch zuerst nur mit einem Mandat für sechs Monate ausgestattet und dann ist es immer so Stück für Stück weitergegangen. Aber keiner wusste ganz genau, wofür, was machen wir dort?

    Was man beispielsweise total unterschätzt hat, war die Korruption.

    Robert Müller, Afghanistan-Veteran

    Dass viele afghanische Sicherheitskräfte einfach Analphabeten sind, die nie gelernt haben, nach einem Demokratieverständnis zu leben. Das kannten sie gar nicht. Und wir sind einfach sehr blauäugig in diese Mission gegangen. Es prallten zwei unterschiedliche Welten aufeinander. Die kulturellen Unterschiede wurden einfach vergessen.
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    ZDFheute: Marine-Mission im Roten Meer, Landes- und Bündnisverteidigung an der Ostflanke - was denken Sie, wenn Sie an die Kameraden von heute denken, die in diese scharfen Einsätze geschickt werden?
    Müller: Was uns jetzt bevorsteht, macht mir Sorgen. Was diese Welt gerade erlebt, ist ein furchtbares Szenario. Es macht mir auch Angst. Wenn ich an die Fregatte Hessen denke, die nun im Roten Meer im scharfen Einsatz ist. Ich weiß, was das bedeutet. Ich kenne die Angst und die Sorgen von Angehörigen und auch Vorgesetzten, die eine Fürsorgepflicht haben.
    Natürlich ist es auch wichtig, den Angreifern zu zeigen, wir sind stark, wir wehren uns und beschützen, was uns wichtig ist. Das ist der Job der Soldaten. Aber die Eskalationsspirale nach oben, die macht mir Sorgen.
    ZDFheute: Was sind die Lehren, die man nach Afghanistan für die aktuellen Einsätze ziehen sollte?
    Müller: Ich wünsche mir, dass den Soldaten von Anfang an vermittelt wird, was macht ihr da, was ist euer Auftrag. Das ist in Afghanistan zu Beginn überhaupt nicht passiert. Das war sehr blauäugig. Und das muss heute besser werden.

    Wenn der Soldat weiß, warum er in dem Einsatz ist, was der politische Wille ist, dann ist ein Einsatz transparenter für den Soldaten und auch für die Gesellschaft. Und dann steht man auch ganz anders zu diesem Einsatz.

    Robert Müller, Afghanistan-Veteran

    Das Interview führte Ines Trams, Korrespondentin im ZDF-Hauptstadtstudio

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