Ukraine-Krieg: Droht Russland nächste Mobilmachungswelle?

    Ein Jahr nach Teilmobilmachung:Droht Russland eine neue Mobilmachungswelle?

    Nina Niebergall, ZDF-Korrespondentin in Moskau
    von Nina Niebergall
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    Vor einem Jahr mobilisierte Wladimir Putin Hunderttausende Russen für den Krieg in der Ukraine. Ein Jahr später fehlen offenbar wieder Männer für die Front.

    Russland: Ein Jahr Teilmobilmachung
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    Dass Sergej Platonow sicher im georgischen Tiflis leben kann, ist nicht selbstverständlich. Er ist Russe, ausgewandert, geflohen, wie so viele andere. Statt im Krieg zu kämpfen, arbeitet er nun in einer Bar.
    Wenn er sich an den 21. September 2022 erinnert, dann vor allem daran, wie schnell damals alles gehen musste. Innerhalb eines Tages packte er sein Leben ins Auto und fuhr los Richtung Georgien. Der 34-Jährige will auf keinen Fall an die Front und für Russland in den Ukraine-Krieg ziehen.

    Alles musste schnell gehen

    Er spricht von einem Albtraum, von Horror, als Russlands Präsident Wladimir Putin die Teilmobilmachung verkündet.

    Wir hatten einen Tag zuvor schon begriffen, dass es das nun war. Dass wir die Sachen packen und losfahren müssen.

    Sergej Platonow, geflüchteter Russe

    Viel Zeit blieb damals nicht, denn in seiner Fernsehansprache verkündete Putin, dass die Mobilisierung sofort beginne. 300.000 Reservisten sollten gegen die Ukraine eingezogen werden.

    Flucht über die georgische Grenze

    Sergej und seine Frau hatten deswegen nur das Nötigste dabei. Zusammen mit ihrer Katze schaffen sie es über die Grenze nach Georgien und dort in die Hauptstadt Tiflis. Eine Woche wohnten sie im Auto, suchten nach einer Wohnung, um sich ein neues Leben aufzubauen.

    Es war schwierig mit einem russischen Pass eine Wohnung zu finden, da uns die Hälfte, oder ein Drittel der Wohnungen sofort abgesagt haben. Viele meinten einfach, als sie Russisch hörten: Auf Wiedersehen.

    Sergej Platonow, geflüchteter Russe

    Seit dem Kaukasus-Krieg 2008 ist Georgiens Verhältnis zu Russland belastet. Nach wie vor sind etwa 30 Prozent des Landes russisch besetzt. Trotzdem bleiben die Grenzen offen, als in den Tagen nach dem 21. September 2022 Zehntausende Russen nach Georgien wollen.
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    Mindestens 300.000 Reservisten betroffen

    Putin hatte zwar betont: "Nur die Bürger, die sich derzeit in der Reserve befinden, werden der Wehrpflicht unterliegen." Und Verteidigungsminister Sergej Schoigu versicherte, die 300.000 Reservisten, die eingezogen würden, seien nur etwa ein Prozent der Männer, die für eine Einberufung infrage kämen.
    Doch viele Russen trauten dem offenbar nicht, zumal es widersprüchliche Angaben gab und Einzelheiten offenblieben.
    Die Kritik an der chaotischen Teilmobilmachung kam von allen Seiten, auch von der kremltreuen Rechten. Zu lange hatte der Kreml von einer "militärischen Spezialoperation" gesprochen. Und plötzlich sollten Hunderttausende Söhne, Väter, Ehemänner in der Ukraine kämpfen?
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    Moskau wirbt um Freiwillige

    Seitdem hat die Führung in Moskau deshalb Gesetze für russische Männer verschärft. Und wirbt immer aktiver um Freiwillige. Auf Plakatwänden und mit groß angelegten Kampagnen. "Nach allem, was wir wissen, funktioniert das nicht sehr gut", sagt Jan Matwejew, russischer Militärexperte im Exil.

    All diese Zahlen, die Putin und das Verteidigungsministerium nennen, sind weit von der Realität entfernt. Daher wird er nicht ohne eine Generalmobilmachung oder eine zweite Welle der Mobilmachung auskommen.

    Jan Matwejew, Militärexperte

    Das Werben für die Front nimmt teils absurde Züge an. Wie in einem Video, verbreitet auf Social Media, in dem zwei russische Soldaten davon träumen, einmal nach der Eroberung Kiews dort zu leben.
    Sergej Platonow fühlt sich wohl in Tiflis, aber Russland ist seine Heimat. Er möchte irgendwann dorthin zurück. Aber wie - das weiß er im Moment nicht.

    Solange dort (in Russland) die Herrschenden so eine blutige Politik machen, eine brutale und menschenfressende, ist das einfach nicht möglich.

    Sergej Platonow, geflüchteter Russe

    Nina Niebergall berichtet als Korrespondentin über Russland, den Kaukasus und Zentralasien.
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