Munitionsnot der Ukraine: Wie Tschechien für Nachschub sorgt

    Kiews Überraschungshelfer:Munitionsmangel: Wie Prag für Nachschub sorgt

    Britta Hilpert
    von Britta Hilpert, Wien
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    Die Ukraine braucht dringend Munition, um die Front zu stabilisieren. Die Lager sind fast leer. Wieso kommt jetzt Hilfe ausgerechnet aus Tschechien?

    Ukrainische Soldaten bedienen ein Artilleriegeschütz nahe Bachmut in der Ostukraine (Archivbild)
    Das ukrainische Militär braucht dringend Munition. Auf Initiative Tschechiens werden jetzt weltweit Munition und Ausrüstung gekauft, um sie der Ukraine zur Verfügung zu stellen.28.02.2024 | 1:33 min
    Am Wenzelsplatz in Prag, am Nationalmuseum, hängt eine riesige ukrainische Flagge. Das Brückengeländer vor der russischen Botschaft ist blau-gelb bemalt. Und manche Tram in Prags Altstadt rollt nun laut klingelnd in Blau-gelb vorbei. Tschechien war von Kriegsbeginn an einer der stärksten Unterstützer der Ukraine.
    Denn Tschechien sorgt für eine massive Munitionslieferung, 800.000 Schuss für die Ukraine - so etwas hat die EU bisher nur versprochen, aber nie geliefert. Eine Million Schuss Artilleriemunition bis März waren Kiew in Aussicht gestellt worden - davon sind nach Angaben Kiews bislang aber nur 30 Prozent eingetroffen.

    Lieferung der Munition "ein Überlebensinstinkt"

    Die meisten Tschechen, die wir ansprechen, sind stolz darauf, was ihr Land organisiert.

    Es geht ja auch um uns in der Ukraine, nicht wahr?

    Vladimíra

    "Wir wissen, dass wir hier noch die Erfahrung der Besatzung haben. Wir wissen, wer die Russen sind, also ist diese Lieferung eher ein Überlebensinstinkt", erzählt sie weiter und bezieht sich damit auf den Prager Frühling, der 1968 von der Sowjetarmee blutig niedergeschlagen wurde.
    Auch Jiří und Bohunka finden es richtig, dass Tschechien die Munition liefert: "Wir haben die Erfahrung von 1968, wir haben sie noch. Das ist in uns geblieben."
    Taurus KEPD 350, eines schwedisch-deutschen luftgestützten Marschflugkörpers, der von Taurus Systems hergestellt und von Deutschland, Spanien und Südkorea eingesetzt wird.
    Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern, könnte Deutschland zur Kriegspartei machen, fürchtet Bundeskanzler Scholz. Was sagt das Völkerrecht zu dieser Aussage?28.02.2024 | 2:03 min

    Tschechiens Präsident ist Ex-Nato-General

    Aber nach zwei Jahren Ukraine-Krieg gibt es auch in Tschechien eine wachsende Zahl von Kriegsmüden: Elena zum Beispiel findet die Munitionslieferung nicht richtig. "Ich finde es von Natur aus völlig widerwärtig, einen Krieg mit Waffen zu unterstützen. Ich würde also lieber versuchen, die Sache auf diplomatische Weise zu regeln." Und warum Tschechien sich jetzt so engagiert? "Ich glaube, es gibt hier immer noch die Tendenz, sich jemandem aus dem Westen anzupassen, wahrscheinlich Amerika oder ich weiß nicht wem." Doch diese Meinung ist in der Minderheit. Noch, zumindest.
    Der Präsident in der Prager Burg, Petr Pavel, war früher Nato-General und ist populär. Seine Expertise spielte wohl auch eine Rolle dabei, dass er kürzlich seinem Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj die Munitionslieferung zusagen konnte. Meist sind es die Kaliber im Nato-Standard, aber auch 300.000 der alten sowjetischen 122 mm Kaliber können in der Ukraine gebraucht werden.

    Unser Verteidigungsministerium und -unternehmen haben durch ihre Kontakte einen Überblick darüber, wo diese Ausrüstung und Munition verfügbar ist.

    Präsident Petr Pavel im tschechischen Fernsehen

    In Zusammenarbeit mit Partnern, vor allem Dänemark, Niederlande und Kanada, beschaffe man nun die finanziellen Mittel für die "Transaktion".

    Militärexperte: Etwa 1,5 Milliarden US-Dollar nötig

    Tschechien ist traditionell ein bedeutender Produzent von Munition - den Tschechen war trotzdem früh klar, dass die eigene Produktion nicht reichen kann, Kiews Bedarf zu decken. So begannen sie schon vor eineinhalb Jahren, sich anderswo Munition zu sichern, so der Militärexperte František Mičánek vom CEVRO-Institut:

    Tatsächlich wird ein großer Teil der Munition aus anderen Ländern als Europa stammen.

    František Mičánek, CEVRO-Institut

    Gegen außer-europäische Lieferanten hatte sich bisher Frankreich gewehrt - Emmanuel Macron wollte die eigene Rüstungsindustrie fördern. Aber nun will er wohl mitmachen, bis zu 15 Länder wollen Geld geben. Auch Deutschland, wie ein Sprecher des Verteidigungsministeriums dem ZDF sagte, strebe an, "einen erheblichen Anteil dieser so wichtigen Munitionslieferungen zu finanzieren".
    "Wir brauchen etwa 1,5 Milliarden US-Dollar", so Militärexperte Mičánek, der früher selbst General war. "Und sobald dieses Geld auf dem Konto ist, könnte die Munition innerhalb weniger Wochen in der Ukraine eingelagert werden."
    Militärexperte Oberst a.D. Wolfgang Richter bei ZDFheute live 
    Westliche Bodentruppen in die Ukraine zu schicken, sei enorm gefährlich, so Oberst a.D. Richter. Dann drohe ein ausgewachsener Nuklearkrieg zwischen Russland und der Nato.27.02.2024 | 23:50 min

    Nicht alle Munitionslieferanten wollen sich outen

    Wer die Munition liefert - darüber gibt es keine verlässlichen Informationen. Der niederländische Premier Mark Rutte erklärte:

    Es ist ein strenges Geheimnis, denn nicht jedes Land will wissen lassen, dass es die Munition liefert.

    Mark Rutte, Premierminister der Niederlande

    Es sind Länder, die sich öffentlich auf keine Seite stellen, Länder wie vielleicht die Türkei, die zwischen Ost und West steht und auch eine Vermittlerrolle anstrebt.
    Wenn es gelingt, das Geld schnell zu sammeln, dann kann die Ukraine ihren Rückzug stoppen. Vorerst zumindest. Denn auch 800.000 Schuss Munition sind endlich. Während der Gegenoffensive verschossen die Ukrainer vier bis 7.000 Granaten - pro Tag.
    Aktuelle Meldungen zu Russlands Angriff auf die Ukraine finden Sie jederzeit in unserem Liveblog:

    Russland greift die Ukraine an
    :Aktuelles zum Krieg in der Ukraine

    Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.
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