Corona-Infektionen: Warum das Pandemie-Radar nur so lala ist

    Corona-Infektionen nehmen zu:Warum das Pandemie-Radar nur so lala ist

    Kristina Hofmann
    von Kristina Hofmann
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    Mit ihm soll die nächste Corona-Welle beherrschbarer werden: das Pandemie-Radar des Bundesgesundheitsministeriums. Doch die meisten Angaben sagen wenig bis nichts aus.

    Hier und da kleben sie noch: Die Schilder mit der Maskenpflicht aus der letzten Corona-Pandemie. Bundesweit steigen die Infektionszahlen wieder.
    Hier und da kleben sie noch: Die Schilder mit der Maskenpflicht aus der letzten Corona-Pandemie. Bundesweit steigen die Infektionszahlen wieder.
    Quelle: dpa

    Es häuft sich wieder. Der hat es, die auch. Auf ersten Stationen in Krankenhäusern gilt schon wieder die Maskenpflicht. Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat es und fehlt bei der Regierungsklausur in Meseberg: "Leider ist das Coronavirus immer noch da und hat mich ein zweites Mal erwischt."
    Nancy Faeser bei X (vormals Twitter)
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    Seit sechs Wochen steigen die Infektionszahlen wieder, sagt das Robert-Koch-Institut. Schlimm oder normal? So ganz genau weiß man das offenbar nicht. Dabei wollte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) genau das vermeiden.
    Bei der Covid-Pandemie ab 2021 war vor allem die Inzidenz pro 100.000 Einwohner ausschlaggebend, ob Einschränkungen greifen. "Das ist zu wenig", hatte Lauterbach hinterher gesagt. Und in seinem Ministerium das Pandemie-Radar entwickeln lassen. "Um passgenau auf Corona-Ausbrüche reagieren zu können, braucht es zuverlässige Daten", heißt es Mitte Juli in einem Artikel auf der Webseite der Bundesregierung. Doch diese "zuverlässigen Daten" sind nur zum Teil hilfreich, um die Infektionslage beurteilen zu können.
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    Inzidenz-Angabe ohne PCR-Tests

    Das Radar enthält vier Angaben, die über das aktuelle Ausmaß des Infektionsgeschehens Auskunft geben könnten:
    • die 7-Tage-Inzidenz,
    • der Anteil positiver PCR-Tests,
    • die Anzahl der Arztbesuche wegen einer Atemwegserkrankung,
    • die Viruslast im Abwasser.
    Zwei der vier Angaben basieren auf positiven PCR-Tests.

    Bei der Inzidenz rechnet man aus, wie viele von 100.000 Menschen in den vergangenen sieben Tagen positiv auf Corona getestet wurden. Kurz gesagt: Umso niedriger der Inzidenzwert ist, desto weniger Corona-Fälle gibt es. Niedrige Zahlen sind hier also besser – ähnlich wie bei den Schulnoten.

    Doch wer lässt sich noch testen? Zumal diese seit dem 1. März selbst bezahlt werden müssen. Es sei denn, Ärzte ordnen ihn nach einem positiven Antigen-Test an. Im Ministerium weiß man, dass die statistische Grundlage dünn ist:

    Wir gehen davon aus, dass nicht alle Fälle gemeldet werden.

    Sprecher Bundesgesundheitsministerium

    Das Radar bilde "nur die gemeldeten Fälle ab", sagte er am Montag.

    Abwasser-Monitoring nicht repräsentativ

    Ein weiterer Wert ist ebenfalls dünn: der Nachweis der Viruslast im Abwasser. Der liegt derzeit bei 62 Prozent. Das heißt: In 62 Prozent der Kläranlagen sind Covid-19-Viren nachweisbar. Tendenz sinkend. Also doch keine Zunahme der Covid-Infektionen?
    Derzeit melden laut Bundesgesundheitsministerium 40 von 10.000 Kläranlagen ihre Daten. Der Wert ist nicht repräsentativ und kann zum Beispiel durch Starkregen beeinflusst werden. "In Kürze", so das Ministerium, sollen es 170 Standorte sein, das sei dann wegen der unterschiedlichen Größen ausreichend.
    Drei weitere Angaben des Radars beschäftigen sich damit, wie schwer die bekannten Covid-19-Fälle sind. Also ob jemand ins Krankenhaus kommt und vielleicht sogar gestorben ist. Seit Beginn der Pandemie ist die Differenzierung schwer: Stirbt jemand mit oder an Corona? Darüber gibt auch das Radar keine Auskunft. Aber doch so viel: Derzeit sterben statistisch in acht Bundesländern 100 von 100.000 Menschen an oder mit Corona.

    181 Menschen derzeit auf der Intensivstation

    Dritter Radar-Bereich: Angaben zur Belegung in den Krankenhäusern. Während der Pandemie mit das größte Problem: fehlende Betten auf der Intensivstation, Personalnot überall. Derzeit sieht man: 181 Menschen liegen derzeit mit Corona auf der Intensivstation, die Betten auf den Normalstationen sind zu 77 Prozent ausgelastet.
    199 Minuten ist zurzeit die durchschnittliche Zeit, die Patientinnen und Patienten auf der Notfallstation verbringen. Fünf Minuten länger als noch vor der Pandemie. Was das über das aktuelle Infektionsgeschehen aussagt? Wenig bis nichts.
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    Karagiannidis: Drei Faktoren reichen

    Christian Karagiannidis gehört zum Vorstand der Deutschen interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, ist Leiter des ECMO-Zentrums der Lungenklinik in Köln-Merheim und war Mitglied des Expertenrates der Bundesregierung. In den Hochzeiten der Pandemie war er einer der wichtigsten Erklärer der neuen Krankheit.
    Heute, sagt Karagiannidis, braucht man eigentlich nur noch drei Angaben, um das Infektionsgeschehen zu beurteilen:
    • das Abwassermonitoring,
    • die Bettenbelegung in Realtime und
    • die Beurteilung von Atemwegserkrankungen durch das Robert-Koch-Institut.

    Wir brauchen mehr Monitoring.

    Christian Karagiannidis, Vorstand Divi

    Vom Prüfen des Abwassers hält er viel. In Köln habe man gute Erfahrungen damit gemacht. Schnell sei ersichtlich, ob eine Viruslast steil ansteigt oder in einem Tableau verharrt. "Mehr braucht man nicht zu wissen", sagt Karagiannidis. "Ein exzellentes Teilwarnsystem." Und: Es sei kostengünstig, was bei den aus dem Ruder laufenden Kosten im Gesundheitswesen nicht unwichtig sei. 40 bis 80 Messstationen, sagt er, brauche man. Mehr nicht.

    Karagiannidis fordert Realtime-Übersicht der Bettenbelegung

    Ebenfalls hilfreich: die Auswertung, welche Atemwegserkrankungen gerade kursieren. Und: die aktuelle Bettenbelegung in den Kliniken auf einen Klick. Allerdings werden die noch umständlich gemeldet und dann zusammengeführt. "Ein zäher Prozess", sagt Karagiannidis. Technisch sei das eigentlich kein Problem. Vor zwei Jahren hatte er die Realtime-Übersicht schon angeregt, in einem Jahr könnte es soweit sein. "Wenn wir das hätten, wären wir super aufgestellt", sagt Karagiannidis.
    Was Corona betrifft, ist Karagiannidis ohnehin entspannt. Mehr Sorgen macht ihm, welche Influenza-Variante in diesem Winter zu erwarten ist. Dann, sagt er, werde die Personalnot wieder ein Thema.

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