TikTok als "Einfallstor" :Warum der IS wieder Angst verbreiten kann
von Jan Schneider
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Wie hoch ist die Anschlagsgefahr durch islamistischen Terror in Deutschland? Und wieso erreicht der IS aktuell so viele Sympathisanten, um sie für Terrortaten zu rekrutieren?
Der mutmaßliche Anschlag in München war der jüngste, bei dem eine religiöse Radikalisierung des Täters vermutet wird.
Bezogen auf Anschläge sprach der Terrorismusexperte Peter Neumann vom Londoner King's College Ende August noch von "Einschlägen", die näher kommen, mittlerweile sieht er gar eine "Welle" des Terrorismus anrollen.
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Wie hoch ist die Terrorgefahr in Deutschland?
"Grundsätzlich ist die Terrorgefahr in Deutschland sehr hoch", meint der Experte für Extremismus- und Terrorismusbekämpfung Felix Neumann von der Konrad-Adenauer-Stiftung. Das beziehe sich auf den Bereich Islamismus, aber auch im Rechtsextremismus und Linksextremismus sei die Gefahr von Anschlägen präsent. Ausländische Terrororganisationen wie der sogenannte Islamische Staat versuchten dezidiert, Menschen zu rekrutieren und zu Anschlägen anzuleiten.
In den vergangenen zehn Monaten gab es 21 versuchte Anschläge in Westeuropa, sieben wurden tatsächlich durchgeführt. Das entspricht einer Erhöhung um das Vierfache gegenüber dem Jahr 2022.
Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch das Bundeskriminalamt: Deutschland befinde sich aktuell und befand sich in den vergangenen Jahren "durchgängig im Zielspektrum des dschihadistischen Terrorismus", teilte ein Sprecher auf Anfrage von ZDFheute mit:
Es besteht eine abstrakt hohe Gefahr für islamistisch motivierte Anschläge. Seit etwa zwei Jahren ist jedoch eine Zunahme an relevanten Gefährdungshinweisen zu erkennen.
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Einschätzung des Bundeskriminalamts
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Wie werben Terrororganisationen Attentäter an?
Laut dem BKA ist eine zunehmende Online-Radikalisierung zu beobachten. Terrororganisationen stellen auf unterschiedlichsten Social-Media-Kanälen und Plattformen Propaganda ein, die sich gezielt auch an junge Menschen richtet. Das erschwere die Erkennbarkeit der Radikalisierung für die Ermittlungsbehörden.
Für Extremismusforscher Neumann erfolgt die Radikalisierung oft in zwei Schritten: Öffentliche Plattformen wie TikTok und X seien "das Einfallstor für islamistische Propaganda", dort würden Menschen erreicht und für die Themen der Terroristen empfänglich gemacht. Die Kontaktaufnahme und mögliche Anwerbeversuche für Anschläge passiere dann in Messenger-Diensten, die für die Sicherheitsbehörden schwerer zu überwachen sind.
Bei den Tatbegehungen, so das BKA, sei zu beobachten, dass Anschläge häufig mit einfach zu beschaffenden und einzusetzenden Tatmitteln wie zum Beispiel Messern begangen werden. Auch das erschwert die Erkennbarkeit eines Anschlagsvorhabens für Sicherheitsbehörden, da keine aufwändigen Planungen und Vorbereitungen im Vorfeld der Tat notwendig sind.
Mannheim, Solingen, jetzt der vereitelte Anschlag in München: Extremismusexperte Schindler erklärt, wie sich Islamistengruppen auf die Motivation von Tätern in Europa verlagern. 06.09.2024 | 22:37 min
Warum steigt die Zahl der Anschläge aktuell?
Es gibt mehrere Gründe, warum islamistische Gruppierungen aktuell mehr Erfolg beim Anwerben von Attentätern haben. Der sogenannte IS zum Beispiel war viele Jahre militärisch stark unter Druck. Nach dem Abzug westlicher Truppen aus Afghanistan oder Syrien konnten sich die Terroristen wieder konsolidieren, aufbauen, und neue Strategien entwickeln, erklärt Neumann.
Ein zweiter Faktor ist der Gaza-Krieg zwischen Israel und der Hamas. Islamistische Gruppierungen nutzen und befördern die Emotionalisierung, die mit dem Nahost-Konflikt und der humanitären Lage vor Ort einhergeht für propagandistische Zwecke. So wird die Lage in Gaza auch dafür genutzt, zur Begehung von Anschlägen aufzurufen.
Dieser Konflikt kann für Personen aus der dschihadistischen Szene somit und auch zur moralischen Rechtfertigung für die Begehung von Straftaten in Deutschland dienen.
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Einschätzung des Bundeskriminalamts
Deutschland wird dabei von Islamisten als Vertreter von Werten wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie als Verbündeter der USA und Israels angesehen und bietet daher ein Ziel für die Terrororganisation.
Wie schützt sich Deutschland vor Anschlägen?
"Wenn wir von größeren Anschlägen sprechen, dann sind unsere Sicherheitsbehörden sehr gut aufgestellt", meint Neumann. Sobald mehrere Personen über einen Anschlagsplan kommunizieren oder Materialien dafür organisieren, hätten die Sicherheitsbehörden viele Möglichkeiten, die Taten zu verhindern. Das zeige zum Beispiel die letzte Fußball-Europameisterschaft, bei der es keine Anschläge gegeben hat, obwohl der IS Taten angekündigt hatte. Eine große Rolle spielt dabei das gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ), das 2004 gegründet wurde und in dem sich Sicherheitsbehörden weltweit austauschen und Warnungen an andere Länder weitergeben.
Umso schwerer sei es, sogenannte "Einzeltäter" vor der Tat zu erkennen und zu überwachen. Die Radikalisierung passiere "teilweise in Lichtgeschwindigkeit", so Neumann:
Da sprechen wir manchmal von wenigen Wochen. Und wenn dieses Individuum dann einfach sagt: Ich kauf mir ein Messer und verletze Menschen. Dann ist es extrem schwer bis nahezu unmöglich für die Sicherheitsbehörden, das nachzuverfolgen und zu verhindern.
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Felix Neumann, Konrad-Adenauer-Stiftung
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Welche Strategie verfolgt der IS und andere Gruppen mit Anschlägen dieser Art?
"Terroranschläge zielen darauf ab, Angst und größtmögliche Verunsicherung in den als feindlich wahrgenommenen Gesellschaften hervorzurufen sowie (mediale) Aufmerksamkeit für die eigenen Ziele zu erzeugen", beschreibt das BKA die Motivation der Terroristen. Der sogenannte IS sei eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich zum Ziel gesetzt hat, einen umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden "Gottesstaat" unter Geltung der Scharia zu errichten. Vor dem Hintergrund dieses grundsätzlichen Ziels führt der IS einen selbsterklärten Kampf gegen alle "Ungläubigen" weltweit.
Außerdem seien Attacken dieser Art auch eine gewisse Machtdemonstration gegenüber anderen islamistischen Organisationen, die teilweise untereinander verfeindet sind, ergänzt Neumann. Es gebe demzufolge ein großes Konkurrenzdenken innerhalb dieser Gruppierungen.
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