Analyse
Debatte zur Haushaltsmisere:Scholz im Bundestag: Eine Rede ohne Reue
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Lange hatte Kanzler Scholz zum Haushaltsurteil geschwiegen. Wer auf seine Regierungserklärung gehofft hatte, wurde enttäuscht: Fehler? Eher nicht. Plan für 2024? Eher auch nicht.
Die Latte hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) selbst hoch gehängt: "Meine Damen und Herren, ich möchte hier im Deutschen Bundestag heute erklären, wie die Regierung mit den Folgen des jüngsten Urteils des Bundesverfassungsgerichts umgeht." So begann der Kanzler seine Regierungserklärung im Bundestag.
Geliefert hat er nicht. Und damit Flanken geöffnet.
Scholz: Nichts Konkretes zu 2024
Seit Wochen diskutieren die Parteien, wie es nach dem Karlsruher Urteil weiter gehen soll. Was kann wie noch finanziert werden? Auf was muss verzichtet, für was vielleicht mehr Steuern bezahlt werden? Welche Ideen haben der Kanzler und seine Ampel-Regierung für das nächste Jahr - das hätte man wirklich gerne gewusst.
Scholz kümmerte sich am Dienstag vor allem um den Haushalt 2023. Für diesen hatte sein Kabinett diese Woche nachträglich die Notlage erklärt und einen Nachtragshaushalt über mehr als 40 Milliarden Euro beschlossen, um eine höhere Verschuldung trotz Schuldenbremse zu ermöglichen.
Warum diese Notlage erst mit elf Monaten Verspätung ausgerufen wird, darum ging es Scholz. Diese erklärte er im Bundestag ausführlich. Die Energiekrise seit dem Ausbruch des Krieges gegen die Ukraine, die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie, der lange Wiederaufbau nach der Flutkatastrophe im Ahrtal: All diese Krisen wirkten bis ins Jahr 2023 hinein.
Dafür wollte die Ampel eigentlich ungenutzte Kredite aus den Vorjahren verwenden und so die Schuldbremse einhalten. Doch genau dieses Verfahren hat das Bundesverfassungsgericht verboten. Kredite müssen im selben Jahr verwendet werden, in dem sie aufgenommen werden. Scholz sagt, das habe man so nicht absehen können.
Mit dem Wissen um die aktuelle Entscheidung hätten wir im Winter 2021 andere Wege beschritten.
Olaf Scholz (SPD), Bundeskanzler
Haushalt 2024 liegt auf Eis
Schlimmer sind die Auswirkungen für das kommende Jahr. Der Haushalt 2024 liegt auf Eis. Scholz sagt nur: Weder an Subventionen für klimafreundliche Energien in der Wirtschaft soll gespart werden. Auch nicht in Zukunftsinvestitionen und in der Unterstützung der Ukraine. "Zu allen Projekten stehe ich", sagte Scholz.
Wie sie finanziert werden sollen, sagte er nicht. Auch nicht, ob der neue Haushalt noch dieses Jahr fertig wird. Nur so viel: "Mit der nötigen Ruhe und in der Verantwortung für unser Land" gehe man in die Verhandlungen.
Das Einräumen von Fehlern, das Einstimmen auf das, was kommt, überließ Scholz anderen. Und die waren deutlicher.
Fehler einräumen müssen andere
Zum Beispiel Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge:
Wir haben das als Regierung gemeinsam falsch eingeschätzt. Und das bedauern wir.
Katharina Dröge (Grüne)
Die Falscheinschätzung sei für niemanden gut, so Dröge. Das räume man nun gemeinsam auf. Wie? "Da liegt in der Koalition noch ein Stück Arbeit vor uns", so Dröge.
Auch ihre Koalitionskollegen hatten Worte des Bedauerns. FDP-Fraktionschef Christian Dürr sagte, die Investitionsfonds mit alten Krediten zu füttern, "war im Nachhinein ein Fehler". SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sprach von einem "herben Rückschlag", auch wenn er das Urteil auch kritisierte: "Manche Argumentation erschließt sich mir nicht."
Merz: "Sie können es nicht!"
Die Scholz-Rede ohne Reue provozierte offensichtlich die Opposition. "Sie können es nicht", rief Unions-Fraktionschef Friedrich Merz (CDU) ihm zu:
Die Schuhe, in denen Sie als Bundeskanzler stehen, sind ihnen mindestens zwei Schuhnummern zu groß.
Friedrich Merz (CDU), Unions-Fraktionschef
Mit keinem seiner Vorgänger, so Merz, könne Scholz mithalten: weder mit Willy Brandt, Helmut Schmidt noch mit Gerhard Schröder. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt (CSU) warf Scholz "Arroganz" und "Respektlosigkeit" vor.
Ähnlich harsche Töne von AfD-Fraktionschef Alice Weidel. Die Ampel habe das Land "an den Rand der Zahlunfähigkeit gebracht". Wirtschaftsminister Robert Habeck? Ein "ökonomischer Analphabet", so Weidel. Außenministerin Annalena Baerbock? Gebe hauptsächlich Geld fürs Styling aus, behauptet die AfD-Politikerin. Finanzminister Christian Lindner? Ist laut Weidel der Erfinder des verfassungswidrigen Haushalts.
Union und AfD wollen Neuwahlen
Und noch eine Flanke eröffnet Scholz durch seine Rede: Weil er keinen Plan vorlegen konnte, fiel immer wieder das Wort Neuwahl. Merz machte ihm das Angebot durch die Blume: "Wir können gegebenenfalls über alles reden." Weidel war direkter: Sie erwarte von Scholz keine Regierungs-, sondern eine Rücktrittserklärung. "Öffnen Sie den Weg für Neuwahlen."
Dabei dürfte beiden klar sein: So einfach ist das natürlich nicht. Scholz selbst müsste die Vertrauensfrage im Bundestag stellen. Schert eine der drei Ampel-Parteien aus der Regierung aus und unterstützt ihn nicht mehr, würde Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vermutlich die Parteien auffordern, eine neue Regierung zu bilden.
Eine Regierung könnten nach den Mehrheitsverhältnissen im Bundestag auch Union und Grüne bilden zum Beispiel. Oder Union und SPD - doch dann unter einem Unions-Kanzler? Durch die momentane Schwäche der Regierungsparteien sind Neuwahlen wohl kaum in ihrem Interesse.
Macht Merz Rechnung ohne CDU Länder?
Aber eine Flanke hat die Union auch selbst geöffnet. Seit Tagen machen sich CDU-Ministerpräsidenten dafür stark, die Schuldenbremse zu reformieren. Ihnen brechen durch das Karlsruher Urteil jetzt selbst Finanzierungsmodelle weg. "Versuchen Sie es erst gar nicht", hatte Merz der Ampel noch geraten, "einen Keil in die Union zu treiben." Die Entscheidung zur Schuldenbremse falle im Bundestag - und nicht in den Ländern.
Sprach's, während die Länder schon längst selbst versuchen, aus der Misere zu kommen. Nach Schleswig-Holstein erklärte am Dienstag auch Merz' Parteifreund Reiner Haseloff in Sachsen-Anhalt eine Notlage für 2023 - und 2024. Sucht Scholz diesen Ausweg im Bund, hat ihm die Union allerdings schon mit einer neuen Verfassungsklage gedroht.
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