Justizreform: "Revolution, die Israel erschüttern wird"

    Ex-Botschafter über Justizreform:"Revolution, die Israel erschüttern wird"

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    Die Justizreform in Israel sorgt beim Netanjahu-Besuch in Berlin für Kritik. Ex-Botschafter Shimon Stein zeigt sich im ZDF "sehr besorgt" - und spricht von einem "Regime-Coup".

    Bei seinem Deutschland-Besuch ist der israelische Premier Benjamin Netanjahu mit deutlicher Kritik an der von seiner Regierung geplanten Justizreform konfrontiert worden. Bei seinem Treffen mit Netanjahu in Berlin äußerte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Donnerstag "große Sorge" hinsichtlich der Pläne. Netanjahu bezeichnete die Kritik daran hingegen als "absurd" und "lächerlich".
    Mit ihren umstrittenen Gesetzesplänen zum Umbau des Justizsystems spaltet die seit Dezember amtierende rechts-religiöse Regierung unter Netanjahu die Gesellschaft in Israel. Die Pläne zielen darauf ab, die Befugnisse der Justiz drastisch einzuschränken. Kritiker protestieren seit Wochen dagegen. Sie fürchten eine Aufhebung der Gewaltenteilung und damit eine Aushöhlung der Demokratie.
    Shimon Stein war sieben Jahre lang israelischer Botschafter in Deutschland. Im heute journal spricht er über die Kritik von Kanzler Scholz, die Frage ob Netanjahu überhaupt hätte empfangen werden dürfen und über die Warnung vor einem Bürgerkrieg in dem Land.

    Archiv: Shimon Stein am 17.07.2007
    Quelle: Imago

    Shimon Stein ist ein ehemaliger israelischer Diplomat. Vom 2001 bis zum 2007 war Stein Botschafter Israels in der Bundesrepublik Deutschland. Seit seinem Abschied aus dem Amt des höchsten Vertreters des Staates Israel in der Bundesrepublik betätigt sich Stein als Berater für amerikanische, deutsche und israelische Unternehmen.

    Das sagt Shimon Stein über ...

    … die Frage, ob man Netanjahu überhaupt hätte empfangen sollen:

    "Wir leben von den bilateralen Beziehungen, von bilateralen gegenseitigen Besuchen. Insofern bietet jeder Besuch eine Gelegenheit, eine Agenda zu besprechen, auch wenn es unangenehm ist, auch wenn es manchmal schwierig ist. Das scheint mir als Diplomat ganz wichtig zu sein. Und so freue ich mich, dass Netanjahu trotz allem heute Deutschland besucht hat."

    … die Frage, ob sich Kanzler Scholz gegenüber Netanjahu deutlich genug geäußert hat:

    "Für die Verhältnisse des Bundeskanzlers hat er sich klar und unmissverständlich geäußert. Er hat sich sogar positioniert, was mich etwas überrascht hat, als er Netanjahu gebeten hat, sich den Plan des Staatspräsidenten zu eigen zu machen. Das hätte ich für Scholz‘ Verhältnisse nicht getan, aber Tatsache, er hat es getan. Er hat auch seine Sorge zum Ausdruck gebracht."

    Insofern glaube ich, zum großen Teil hat er [Olaf Scholz] meine Erwartungen erfüllt.

    Shimon Stein, Botschafter Israels in Deutschland a.D.

    … die Warnung von Staatspräsident Herzog vor einem Bürgerkrieg:

    "Wenn der Staatspräsident [Herzog] das sagt (…), dann müssen bereits die Alarmglocken schlagen. Wenn es so weit ist, dann stecken wir in einer wirklich tiefen Krise, in der wir in der Tat auch stecken."
    Den zahlreichen Demonstranten in Israel werfe Netanjahu vor, dass sie "nicht verstehen, worum es sich handelt", so Stein. Dann jedoch sei die große Frage, warum es Netanjahu mit seiner Justizreform so eilig habe: "Wenn die Menschen es wirklich nicht verstehen (…), hätte er sich die Zeit genommen, eine Kampagne zu starten, runde Tische zu organisieren" um zu erklären, dass es sich um die angebliche Wiederherstellung der Gewaltenteilung handle "die für seine Begriffe außer Kontrolle war". Das "hätten die Menschen auch verstanden", so Stein.

    … seine Sorge um Rechtsstaatlichkeit in Israel:

    "Ich bin sehr besorgt, genau so wie alle meine Freunde. Und Sie haben mit Recht gesagt: Es geht ja nicht um links und rechts. Das ist ja eine tiefgreifende Problematik. Und ich werde nicht die Terminologie von Netanjahu verwenden, 'Reform'.

    Das ist keine Reform, das ist ein Regime-Coup oder eine Revolution, die Israel erschüttern wird. Und insofern bin ich sehr besorgt.

    Shimon Stein, Botschafter Israels in Deutschland a.D.

    "Die Kämpfe der beiden Lager sind in ihren Positionen verhärtet und ich wüsste nicht, wie sie aufeinander zukommen sollten. Alle empfehlen, dass der Regierungschef zumindest das Gesetzverfahren stoppt, um Zeit zu geben, mit beiden Seiten zu sprechen, um sich auf einen Kompromiss zu einigen."
    Netanjahu habe den "Plan des Staatspräsidenten abgelehnt", so Stein. "Insofern wüsste ich auch nicht, wie wir aus dieser Sackgasse herauskommen sollen."

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