Ex-Nato-Chef: So könnte eine Ukraine-Strategie aussehen

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    Ex-Nato-Chef im Interview :Ukraine: Warum die Nato einen Plan braucht

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    Die Ukraine braucht eine langfristige Strategie, um sich zu verteidigen - mit der Nato. Step-by-Step-Ansätze funktionieren nicht, so Ex-Nato-Chef Rasmussen. Das sind seine Pläne.

    Ukrainische Soldaten begeben sich am 9. 02. 2023, an die Front in der Nähe von Bachmut, Donezk, Ukraine
    Die ukrainische Armee braucht noch viel mehr Waffen, um sich gegen Russland zu wehren, sagt Ex-Nato-Chef Rasmussen.
    Quelle: AP

    Der ehemalige Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen hat mit Andrij Yermak, dem Leiter des ukrainischen Präsidialamts, eine Strategie entworfen, wie sich das Land langfristig russischen Angriffen widersetzen kann. Derzeit führt er Gespräche in Berlin, Brüssel, in den USA, auch auf der Münchner Sicherheitskonferenz wird er den Plan vorstellen. Im Interview mit ZDFheute erklärt er seine Strategie.
    ZDFheute: Sie schlagen einen Sicherheitspakt für die Ukraine vor - den "Kiew Sicherheitspakt" - der Sicherheitsgarantien beinhaltet. Wozu würden sich die Staaten, die mitmachen, verpflichten?
    Anders Fogh Rasmussen: Wir müssen der Ukraine helfen, ihre Fähigkeit sich selbst zu verteidigen zu verbessern. Zu diesem Zweck müssen wir ein starkes Militär aufbauen, damit sie in Zukunft jedem Angriff standhalten kann. Wir müssen die nachrichtendienstliche Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und ihren Verbündeten verbessern.

    Wir müssen gemeinsame Trainings und Übungen mit den Ukrainern durchführen und schließlich müssen wir ihnen helfen, eine starke Verteidigungsindustrie aufzubauen, damit sie selbst Waffen produzieren können.

    Einen Einsatz von Truppen auf ukrainischem Boden haben wir nicht vorgesehen. Wir erwarten allerdings von einer Gruppe von Staaten wie den USA, aber auch von Deutschland, dem Vereinigten Königreich, Frankreich und Polen, vielleicht auch von der Türkei, dass sie sich verpflichten, der Ukraine beim Aufbau dieser Fähigkeiten zu helfen, ohne jedoch Truppen vor Ort zu stationieren. Es geht also darum, den Ukrainern zu helfen, sich selbst zu verteidigen.
    [Russland verstärkt Offensive: Ukraine meldet massive Raketenangriffe]
    ZDFheute: Kämen diese Sicherheitsgarantien dem Nato-Artikel 5 [der sogenannte Bündnisfall, Anmerkung der Red.] nahe, ohne dass die Ukraine Nato-Mitglied ist?
    Rasmussen: Natürlich gibt es einen klaren Unterschied zwischen Mitgliedschaft und Nicht-Mitgliedschaft in der Nato. Ein solcher Sicherheitspakt kann eine Nato-Mitgliedschaft nicht ersetzen. Auch schließt er eine Mitgliedschaft für die Zukunft nicht aus. Doch da bis zu einer möglichen Mitgliedschaft der Ukraine in der Nato noch einige Zeit vergehen wird, benötigt die Ukraine Sicherheitsgarantien. Und hier sehe ich den Pakt als eine Möglichkeit, die Zeit zwischen heute und dem Zeitpunkt, an dem die Ukraine der Nato beitritt, zu überbrücken.
    ZDFheute: Was hätten die westlichen europäischen Partner von einem solchen Sicherheitspakt, konkret, inwiefern würde Berlin profitieren?
    Anders Fogh Rasmussen spricht im Kanzleramt. Archivbild
    Anders Fogh Rasmussen war von 2009 bis 2014 Generalsekretär der Nato.
    Quelle: picture alliance / dpa

    Rasmussen: Ein solcher Pakt würde dafür sorgen, dass Deutschland nicht alleine dasteht. Ich habe zur Kenntnis genommen, wie Kanzler Scholz dafür plädiert hat, dass die Amerikaner sich Deutschland bei der Lieferung von Panzern anschließen. Der "Kiew Sicherheitspakt" würde einen Rahmen für solch kollektives Handeln bieten und sicherstellen, dass kein Land allein handeln müsste.
    Außerdem war Scholz darüber frustriert, dass nach seinem Beschluss, Kampfpanzer an die Ukraine zu liefern, er sofort mit der nächsten Forderung nach Kampfjets konfrontiert wurde. Ich denke, dass dieser schrittweise step-by-step-Ansatz nicht funktioniert. Wir brauchen eine längerfristige Strategie, eine langfristige Vision, was zu tun ist, wie wir den Ukrainern helfen können. Und das ist genau das, was dieser Pakt bietet, er erfüllt vieles von dem, was sich die deutsche Regierung wünscht.
    ZDFheute: Sollte dieser Sicherheitspakt erst nach dem Krieg in Kraft treten, oder bereits während der Krieg noch anadauert?
    Rasmussen: Früher, bereits heute! Wenn wir ankündigen würden, dass der "Kiew Sicherheitspakt" erst nach einer Friedensregelung in Kraft treten würde, dann würden wir Putin ein weiteres Argument liefern, den Konflikt fortzusetzen, um diese Sicherheitsgarantien zu umgehen. Entsprechend bin ich der Meinung, dass die Sicherheitsgarantien so bald wie möglich unterzeichnet werden sollten.
    ZDFheute: Die sogenannte Panzer-Koalition, der Verbund von Staaten, der Leopard-Panzer an die Ukraine liefern wollte, kommt aktuell nur sehr stockend zustande. Was ist Ihre Botschaft an die westlichen Nationen?
    Infografik: Der Kampfpanzer Leopard

    Rasmussen: Meine Botschaft ist ganz klar: Dass wir nicht nachlassen sollten, sondern im Gegenteil, unsere Waffenlieferungen verstärken sollten. Und wir sollten nichts von vornherein ausschließen. Wenn wir dieses oder jenes ausschließen, verschafft das Putin nur mehr Spielraum, um den Krieg weiter zu eskalieren.

    Man kann einen Krieg nicht gewinnen, indem man Schritt für Schritt vorgeht. Man muss den Gegner überraschen, man muss ihn überwältigen.

    Das wäre mein Plädoyer. Die westlichen Länder sollten die Waffenlieferungen verstärken - auch Deutschland. Ich meine, 14 Leopard-Panzer, was ist das schon? Es ist besser als nichts. Und ich begrüße die Entscheidung der deutschen Regierung, zu liefern und anderen Ländern zu erlauben, Leopard zu exportieren. Aber wir brauchen mehr.
    Insgesamt benötigen wir 300 und in Europa haben wir insgesamt 2.000. Selbst wenn wir also 300 liefern, haben wir noch genug, um uns selbst zu verteidigen. Und vor allem sollten sie schneller als geplant geliefert werden. Ich sehe derzeit mehr und mehr Anzeichen dafür, dass die westlichen Länder erkennen, dass sie mehr schwere Waffen liefern müssen, um diesen Konflikt schnell zu beenden.

    Meine größte Sorge ist ein Konflikt, der sich in die Länge zieht und als schwelender oder eingefrorener Konflikt endet.

    Das wäre nicht im Interesse Europas. Wir sollten der Ukraine helfen, die russischen Truppen so schnell wie möglich von ukrainischem Boden zu vertreiben. Und zu diesem Zweck müssen wir den Ukrainern alle Waffen liefern, die sie fordern. Ihr Wille zum Kampf ist unsere Verpflichtung, ihnen die Mittel zum Kampf zu geben.
    Das Interview führten Ines Trams und Florian Neuhann.
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    Quelle: ZDF
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