Russlands "Sehnsucht nach Anerkennung durch den Westen"

    Interview

    USA, Russland und China:"Sehnsucht nach Anerkennung durch den Westen"

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    Russlands Krieg gegen die Ukraine hat Moskau wieder relevant für die USA gemacht, sagt Professor Radchenko. Das hat Auswirkungen auf die Beziehungen zu China.

    Links im Bild Chinas Staatschef Xi Jinping, rechts der russische Präsident Wladimir Putin. Sie stoßen mit Weingläsern an.
    Die Beziehungen zwischen China und Russland beeinflussen das Verhältnis zu den USA
    Quelle: dpa

    ZDFheute: Laut Putin kämpft Russland nicht gegen die Ukraine, sondern gegen die Nato. Inwiefern ist der Krieg ein Konflikt zwischen dem Westen und Russland?
    Sergey Radchenko: Um seine Macht zu legitimieren, präsentiert Putin den Krieg, der für Russland nicht gut verläuft, als Kampf gegen die Nato. Damit will er das russische Volk überzeugen, dass er der Mann ist, der Russland vor der Zerstörung durch den Westen bewahrt. Zum Teil ist es also nur Propaganda Putins. Anderseits liefert die Nato Waffen an die Ukraine. Daher ist der Krieg, auch wenn die Nato nicht direkt involviert ist, teilweise ein größerer Konflikt.

    Sergey Radchenko
    Quelle: Johns Hopkins SAIS (LV)

    ...forscht an der Johns-Hopkins-Universität zum Kalten Krieg, Russland und China.

    ZDFheute: Wie stehen die USA zu diesem Narrativ?
    Radchenko: Vor Kriegsbeginn konzentrierten sich die USA auf ihren strategischen Konkurrenten: China. Der Krieg macht Russland wieder zu einem wichtigen Punkt auf der US-Agenda. Was das mit Chinas Rolle für die USA macht, bleibt rätselhaft. Zum einen ist der Krieg eine Ablenkung von der Rivalität mit China, zum anderen können die USA aber auch ein Zeichen setzen, dass sich eine Invasion mit Blick auf Taiwan nicht auszahlt.
    Xi Jinping und Wladimir Putin
    Die Allianz zwischen Putin und Xi ist seit dem russischen Angriff auf die Ukraine noch enger geworden. Der Handel zwischen den Nachbarländern wächst, und mit ihm Chinas Einfluss in Russland.23.03.2023 | 12:09 min
    ZDFheute: Wie sieht China den Krieg?
    Radchenko: Der Krieg hat China in eine unangenehme Position gebracht, weil eine Niederlage Russlands - Chinas wichtigster Partner - schlecht für Peking wäre. China hat aber auch Angst vor einer Eskalation und vor möglichen wirtschaftlichen Auswirkungen durch sekundäre Sanktionen. Die wirtschaftlichen Interessen Chinas liegen in Europa, und die ist Xi nicht bereit zu opfern.
    ZDFheute: Wie dauerhaft sind die Beziehungen zwischen China und Russland?
    Radchenko: Um Churchill umzuformulieren, die chinesisch-russischen Beziehungen sind nie so gut, wie wir befürchten, und nie so schlecht, wie wir hoffen. Das Verschwinden des Begriffs "grenzenlose Partnerschaft" aus der gemeinsamen Erklärung während Xi Jinpings Besuch in Moskau vergangene Woche ist - in Sowjet-Sprech - kein Zufall und könnte auf sich abzeichnende Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Ländern hinweisen, insbesondere über den Krieg in der Ukraine.
    Die Beziehungen sind aber auch mehr als eine Zweckgemeinschaft - entgegen der Tendenz im Westen, die eigene Rolle in den chinesisch-russischen Beziehungen zu überschätzen. Obwohl ihre lange Geschichte von Misstrauen geprägt ist, haben sie seit den 1980ern eine unterstützende Beziehung entwickelt.
    Sie teilen ein Interesse an Stabilität und wirtschaftlicher Zusammenarbeit und die Wahrnehmung, dass der Westen eine Gefahr für sie darstellt. Ihre Beziehung ist zwar nicht unzerstörbar, aber sie steht auf einem soliden Fundament, das über den aktuellen geopolitischen Kontext und die Beziehung von Xi und Putin hinausgeht.
    ZDFheute: Was bedeutet Chinas Friedensplan, beziehungsweise Positionspapier, für den Kriegsverlauf?
    Radchenko: Mit dem so genannten Friedensplan möchte China vor allem vor seinen europäischen Partnern vernünftig erscheinen. China ist bereits in Konfrontation mit den USA, sieht aber noch Potenzial, die USA von seinen europäischen Verbündeten zu spalten, vor allem Deutschland. Indem Peking zu dem Konflikt Stellung bezieht, will es globale Verantwortung und Chinas moralische Überlegenheit demonstrieren.
    ZDFheute: Sie haben geschrieben, dass sich China für Russland fremd und weit weg anfühlt, während der Westen sehr nah und persönlich ist. Wie beeinflusst das die Interaktionen?
    Radchenko: Es gibt eine Sehnsucht nach Anerkennung durch den Westen. Die Russen mögen den Westen hassen, aber der Hass kommt daher, dass sie sich missachtet und abgelehnt fühlen. Andererseits zeigt die Tendenz Europas, an Russland höhere Maßstäbe anzulegen als an eine beliebige Diktatur im globalen Süden, dass Europa trotz der Verbrechen Putins die Hoffnung in das Land noch nicht verloren hat.
    Das Interview führte Marilen Martin.

    Umstrittenes Positionspapier Xis
    :Putin lobt Chinas "Friedensplan"

    Kremlchef Putin sieht in Chinas sogenanntem Friedensplan eine "Grundlage für eine friedliche Lösung" des Ukraine-Krieges. Außenministerin Baerbock bezweifelt das.
    Russland, Moskau: Russlands Präsident Wladimir Putin und Chinas Präsident Xi Jinping.

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