Wann Alkohol zur Sucht geworden ist - und wie man raus kommt

    Vier Phasen der Abhängigkeit:Wann der Alkohol zur Sucht geworden ist

    von Olaf Schwabe
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    In Deutschland sind schätzungsweise 1,6 Millionen Menschen an Alkoholsucht erkrankt. Viele Betroffene merken das erst, wenn es schon zu spät ist. Was dann zu tun ist.

    Stationärer Alkoholentzug
    Uwe Schnoor brauchte insgesamt fünf stationäre Krankenhausaufenthalte, bis er endlich "trocken" war. Er hat die Reißleine gerade noch früh genug gezogen, bevor bei ihm irreversible Schäden aufgetreten sind.25.07.2023 | 5:53 min
    Bei der Alkoholsucht handelt es sich um eine schwere Erkrankung, die den Körper und die Psyche betrifft. Während organische Folgeschäden oft erst nach jahrelangem Alkoholmissbrauch auftreten, zeigen sich psychische Auffälligkeiten schon früher.

    Woran man Alkoholsucht erkennt

    Peter Heepe, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, weiß genau, woran alkoholisches Suchtverhalten zu erkennen ist:

    Dazu gehört: ich habe keine Kontrolle mehr. Ich trinke, obwohl ich weiß, dass es mir schadet. Ich kann nicht an einem bestimmten Punkt aufhören.

    Dr. Peter Heepe, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie

    Sucht, wenn fehlender Konsum unangenehm wird

    Wenn man trotzdem versuche aufzuhören, komme es zu schweren körperlichen Entzugssymptomen. "Immer mehr Aspekte des Lebens gehen verloren oder werden dem Alkohol untergeordnet", so Heepe.
    Alkoholsüchtig ist man, wenn fehlender Alkoholkonsum zu unangenehmen Gefühlen körperlicher oder psychischer Art führt. Unterschieden werden vier Phasen, die auf dem Weg in die Alkoholabhängigkeit auftreten können:

    Vier Phasen der Alkoholsucht





    Warum Alkohol so verführerisch ist

    Alkohol hat, wenn er in Maßen getrunken wird, eine entspannende Wirkung und hilft bei negativem Stress. Auch positive Erlebnisse mit Alkohol, wie z.B. das gemeinsame Trinken mit Freunden, wie in Werbespots, können zum Alkoholkonsum verleiten. Bei "trockenen" Alkoholikern kann das sogar einen Rückfall provozieren.
    Weinglas mit roten Weintrauben und Titelgrafik "Wein"
    1,6 Mio. Menschen sind in Deutschland alkoholabhängig. Verantwortungsvoller Genuss - ist der überhaupt möglich, wenn Alkohol wie Wein und Bier jederzeit fast überall erhältlich ist?04.07.2023 | 35:15 min
    Wein: Gefährliche Droge oder stilvolles Kulturgut?
    "Ich höre das Geräusch, wie Bier eingegossen wird, ich sehe die Schaumkrone, das Licht, das sich im Bierglas bricht", so Heepe.

    Das sind alles Dinge, die beim Alkoholkranken das Belohnungszentrum im Gehirn, das mesolimbische System, triggern. Und dann entsteht ein sehr starkes und kaum zu bewältigendes Trinkverlangen.

    Dr. Peter Heepe, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum Nürnberg.

    Das mesolymbische System, auch als "Belohnungssystem" bezeichnet, ist die Region im Gehirn, die für die Bereiche Freude, Lust und Motivation verantwortlich ist. Hier werden positive Konsequenzen bestimmter Erlebnisse abgespeichert. Zum Beispiel von bestimmtem Verhalten, wie Nahrungsaufnahme, Sex, aber auch Drogenkonsum. In der Folge beeinflussen diese abgespeicherten Einstellungen auch das zukünftige Trinkverhalten.

    Frau mit braunen, langem lockigem Haar schaut in die Kamera.
    Vlada war in der Sucht gefangen. Sie hat es geschafft, sich zu befreien. Heute lebt sie nüchtern und macht Betroffenen Mut.01.07.2023 | 16:54 min
    Nie wieder Alkohol: Vlada lebt nüchtern - und inspiriert andere, mit dem problematischen Konsum aufzuhören:

    Neun Millionen Menschen mit kritischem Alkoholkonsum

    Laut dem Bundesministerium für Gesundheit herrscht in unserer Gesellschaft eine weit verbreitete unkritisch positive Einstellung zum Alkohol vor. Etwa neun Millionen Menschen sind demzufolge von einem kritischen Alkoholkonsum betroffen.

    Durchschnittlich werden pro Kopf der Bevölkerung jährlich rund zehn Liter reinen Alkohols konsumiert. Was einen volkswirtschaftlichen Schaden von 57 Milliarden Euro pro Jahr ausmacht.

    Bundesministerium für Gesundheit

    Alkohol ist ein Zellgift, das Körperzellen zerstört und zu Entzugserscheinungen führt, wenn man es übermäßig konsumiert. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat kritische Werte für einen "riskanten Konsum" von Alkohol mit schädlichen Folgen für die Gesundheit festgelegt:

    • Für Frauen gilt eine tägliche Menge von mehr als 12 Gramm Alkohol als kritischer Wert. Das entspricht etwa einem Glas Sekt.
    • Bei Männern liegt der Grenzwert für einen riskanten Konsum bei mehr als 24 Gramm Alkohol täglich. Das entspricht etwa einem halben Liter Bier.

    Schild in einem Laden der alkoholfreie Getränke verkauft.
    Auf Alkohol zu verzichten ist im Januar besonders beliebt. In der Berliner Bar-Szene ist dieser Trend ebenfalls angekommen.25.01.2023 | 1:39 min
    Es geht auch ohne: Eine Kneipe in Berlin verzichtet ganz auf Alkohol:

    Warum der Ausstieg aus der Alkoholsucht so schwer ist

    Beim Alkoholentzug gibt es vier Phasen. Hierzu gehören:
    • die Motivation,
    • die Entgiftung,
    • die Alkoholentwöhnung und
    • die Nachsorge.
    Beim Alkoholentzug kommt es zu psychischen und körperlichen Entzugssymptomen. Hierzu gehören u.a. Schweißausbrüche, Schüttelfrost, Erbrechen oder Zittern. Besonders gefürchtet sind krampfartige Anfälle sowie das Delirium tremens. Hierbei kann es zu Halluzinationen, Zittern, Verwirrtheits- und Angstzuständen kommen.
    Auch wenn der Wille zum Alkoholausstieg vorhanden ist, reicht dieser allein oft nicht aus, um mit dem Trinken aufzuhören.

    Der Ausstieg aus der Alkoholsucht ist aus verschiedenen Gründen schwierig:

    • Körper und Psyche reagieren mit unerträglichen Entzugserscheinungen.
    • Das mesolymbische System im Gehirn hat die positive Einstellung zum Alkoholkonsum als "Belohnung" gelernt und fest abgespeichert.
    • Es komm zum "Craving", was eine kaum zu unterdrückende Gier nach Alkohol beschreibt.
    • Betroffene werden tagtäglich mit Alkohol und Alkoholkonsum im sozialen Umfeld, in der Werbung sowie in den Medien konfrontiert, so dass Alkoholkonsum ständig getriggert wird.

    Wie der Ausstieg mit qualifiziertem Alkoholentzug gelingen kann

    Ein bewährtes Modell zum Alkoholentzug ist der so genannte "qualifizierte Entzug". Dabei werden die Patienten medizinisch und psychotherapeutisch begleitet. Der Entzug kann stationär oder ambulant erfolgen, wird aber meistens in spezialisierten Entzugskliniken durchgeführt.
    Ein Glas Wein wird eingeschänkt (Symbolbild)
    Jede vierte Frau trinkt Alkohol in der Schwangerschaft und sei es nur das Gläschen Sekt. Doch es gibt keinen Zeitpunkt und keine Menge, die ungefährlich wäre für das Kind.15.03.2022 | 28:20 min

    Wie läuft der qualifizierte Entzug ab?

    Der qualifizierte Entzug beginnt mit der Entgiftung. Die Patienten dürfen keinen Alkohol mehr trinken. Statt dessen bekommen sie beruhigende, angstlösende Medikamente sowie Arzneien, die vorbeugend gegen Krampfanfälle und das Delirium tremens wirken.
    Schon während der Entgiftungsphase erhalten die Patienten Informationen über die Erkrankung Alkoholismus und können an Einzel- und Gruppengesprächen mit Suchttherapeuten teilnehmen. Zudem erhalten Sie Informationen über Sucht- und Tageskliniken in denen sie im Anschluss an den Entzug Entwöhnungsprogramme durchlaufen können.

    Psychische Abhängigkeit als größte Hürde

    Der schwierigste Teil beim Weg in ein alkoholfreies Leben ist die Bewältigung der psychischen Abhängigkeit: Die Betroffenen haben sich über Jahre an den Alkohol gewöhnt und dabei bestimmte Verhaltensmuster verinnerlicht. Entscheidend für den Erfolg ist es, neue Verhaltensmuster zu erlernen und z.B. Sport als einen positiven Ersatz für den Alkoholkonsum im Alltag zu verankern.
    Die Rückfallprävention ist der zentrale Bestandteil der Nachsorge. Hier lernen die Betroffenen Strategien, mit denen sie verinnerlichte Verhaltensmuster durchbrechen und die Abstinenz erhalten können. Im Zentrum steht dabei der Aufbau eines gesunden Selbstbewusstseins sowie das Erlernen neuer Denkstrukturen.

    Trinkerin wird Sucht-Bekämpferin
    :Alkohol - die oft unterschätzte Gefahr

    Bei alkoholischen Getränken ist Deutschland Hochkonsumland. Jeder Deutsche ab 15 Jahren trinkt im Schnitt über 100 Liter im Jahr. Oft wird vergessen, dass es eine Droge ist.
    von Linda Vierecke
    Der Konsum von Alkohol ist in Deutschland nach wie vor groß.
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