Machtkampf in Moskau – Gefahr oder Hoffnung?

Fakten-Box | 29. Juni 2023

• Aufstand gegen Moskau

  

  Am vergangenen Wochenende eskalierte die Lage in Russland mit einem bewaffneten Aufstand der Söldner-Armee „Wagner“ gegen russische Militäreinrichtungen sowie einem Vorrücken Richtung Moskau. So schnell wie die Bedrohung für den russischen Staatsapparat begann, endete sie mit einem Abbruch 200 Kilometer vor Moskau.
  
  Der Kreml war am Montag bemüht, den Anschein der Normalität wiederherzustellen. Präsident Wladimir Putin dankte den Wagner-Söldnern dafür, dass sie die Situation nicht zu einem „Blutvergießen“ haben ausarten lassen. Es seien alle notwendigen Maßnahmen ergriffen worden, um das Land und die Bevölkerung vor einer Rebellion zu schützten, sagte Putin. Er machte „Russlands Feinde“ für die Vorgänge verantwortlich.
  
  Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin hatte zuvor erklärt, er habe nicht putschen, sondern die Zerstörung seiner privaten Militärfirma verhindern wollen. Die Rebellion sei eine Reaktion auf einen Angriff auf seine Truppe gewesen, bei dem Dutzende Kämpfer getötet worden seien.
  
  Am späten Freitag hatte Prigoschin einen „Marsch der Gerechtigkeit“ ausgerufen, um Verteidigungsminister Sergej Schoigu sowie Generalstabschef Waleri Gerassimov zu entmachten. In seiner Erklärung spottete Prigoschin darüber, wie das russische Militär versäumt habe, das eigene Land zu schützen, indem es seinen Söldnern ermöglicht habe, 780 Kilometer weit zu marschieren, ohne auf Widerstand zu treffen.
  
  Mehrere Medien berichteten, dass Militärhubschrauber und ein russisches Kommunikationsflugzeug von Wagner-Truppen abgeschossen worden seien, wobei mindestens 15 Menschen getötet worden seien. Prigoschin drückte Bedauern darüber aus, erklärte aber, seine Soldaten seien bombardiert worden.
  
  Den USA lagen Geheimdiensterkenntnisse vor, die darauf hindeuteten, dass der Aufstand geplant war. Demnach hatte Prigoschin seine Einheiten in der Ukraine in Grenznähe zu Russland zuvor aufgestockt. Eine Verwicklung des Westens in die Revolte der Söldnertruppe hat US-Präsident Joe Biden bestritten. „Das war Teil eines Kampfes innerhalb des russischen Systems“, erklärte Biden am Montag im Weißen Haus.
  
  Putin dankte seinen Landsleuten für ihre „Ausdauer, Einheit und ihren Patriotismus“ während der Ereignisse vom Wochenende. Ohne ihn namentlich zu nennen, beschuldigte Putin Wagner-Chef Prigoschin, er habe „sein Land und sein Volk verraten“. Putin bot den Mitgliedern der Wagner-Truppe an, einen Vertrag mit der regulären russischen Armee zu unterzeichnen und „zu ihren Familien und Angehörigen zurückzukehren“ oder „nach Belarus zu gehen“. Der mit Putin verbündete belarussische Staatschef Alexander Lukaschenko soll den Abbruch des Aufstands vermittelt haben.
  
  Quellen:  Red. / dpa / reuters / afp / ap / epd / kna

  Bildquelle: ZDF

• Lukaschenko als Vermittler

  

  Der belarussische Staatschef Alexander Lukaschenko hat nach eigenen Angaben in dem kurzzeitigen Aufstand der Wagner-Söldner zwischen Russlands Präsident Wladimir Putin und Jewgeni Prigoschin vermittelt und letzteren zum Aufgeben überredet. Im Gegenzug sicherte der Kreml dem Wagner-Chef Straffreiheit zu.
  
  Nach Darstellung Lukaschenkos soll Putin zunächst auf eine gewaltsame Lösung gesetzt haben. Putin habe ihn am Samstagvormittag angerufen und ihm die Lage geschildert, sagte Lukaschenko der staatlichen belarussischen Nachrichtenagentur Belta. Er habe verstanden, dass im Kreml bereits die harte Entscheidung getroffen worden sei, die Wagner-Leute „kaltzumachen“, so Lukaschenko.
  
  Daraufhin habe er sich telefonisch mit Prigoschin verbinden lassen. „Die erste Runde haben wir 30 Minuten lang nur mit Schimpfwörtern miteinander geredet“, so Lukaschenko weiter. Prigoschin sei „euphorisch“ gewesen. Er habe ein Gespräch mit Putin sowie die Herausgabe von Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Oberbefehlshaber Waleri Gerassimow verlangt und mit dem Marsch auf Moskau gedroht. Lukaschenkos Antwort sei daraufhin gewesen: „Auf halbem Weg dorthin werden sie dich zerquetschen wie eine Wanze.“
  
  Erst nach mehreren weiteren Gesprächsrunden habe Prigoschin am Samstagnachmittag signalisiert, dass er seinen Aufstand abbrechen werde, wenn man ihm und seinen Leuten Sicherheitsgarantien gäbe, so Lukaschenkos Darstellung. Daraufhin habe er Prigoschin angeboten, ihn und die Wagner-Kämpfer in seinem Land aufzunehmen. Inzwischen hat Lukaschenko bestätigt, dass sich Prigoschin in Belarus aufhalte.
  
  Der belarussische Machthaber bezeichnete den Aufstand als Gefahr für Russland. „Wenn Russland zusammenbricht, werden wir unter den Trümmern zurückbleiben, wir werden alle sterben“, sagte Lukaschenko, der als enger Verbündeter Putins gilt. Alle Beteiligten hätten die Gefahr der Eskalation des Konflikts anfangs falsch eingeschätzt und geglaubt, dass sich die Situation so lösen lasse. Zwei Menschen seien „aufeinandergeprallt“, sagte er bezogen auf Putin und Prigoschin. „In diesem Fall gibt es keine Helden“, fügte Lukaschenko hinzu und kritisierte damit auch Putin.
  
  Astrid Sahm, Belarus-Expertin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), erklärte gegenüber der Agentur Reuters: "Lukaschenko ist innenpolitisch durch die Entwicklung am Wochenende auf jeden Fall gestärkt worden. Putin schuldet ihm jetzt einen Gefallen." Lukaschenko könne darauf verweisen, dass er entscheidend mitgeholfen habe, einen Bürgerkrieg beim großen Bruder Russland zu verhindern.
  
  Gwendolyn Sasse, Direktorin des Zentrums für Osteuropa- und international Studien (Zois), sieht in Lukaschenko vor allem einen Überlebenskünstler. Sie sei nicht sicher, wie groß der Verhandlungsanteil wirklich gewesen sei oder ob Putin ihm nicht alle Bedingungen diktiert habe, sagt sie. "Aber es ist bezeichnend, wie Lukaschenko sofort versucht, in der Außenwahrnehmung politischen Spielraum zurückzuholen."
  
  Quellen:  Red. / dpa / reuters / afp / ap / epd / kna

  Bildquelle: dpa

• Risse im System Putin

  

  Die westlichen Unterstützerstaaten der Ukraine werteten den Aufstand gegen Moskau als Zeichen einer Schwächung von Präsident Wladimir Putin. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte am Mittwochabend in der ARD: „Auf alle Fälle wird das langfristig auch Auswirkungen haben in Russland. Ich glaube schon, dass er (Putin) geschwächt ist.“ Der Aufstand zeige, „dass die autokratischen Strukturen, die Machtstrukturen, Risse haben“ und Putin keineswegs so fest im Sattel sitze, wie er immer wieder behaupte. Scholz sagte, er denke nicht darüber nach, ob ein erfolgreicher Aufstand gut oder schlecht gewesen wäre. Niemand wisse, was nach Putin komme. Es habe sich um eine gefährliche Lage gehandelt.
  
  Er habe sich am Samstag nicht nur mit US-Präsident Joe Biden, Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron und dem britischen Premierminister Rishi Sunak beraten, sondern auch mit dem polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki telefoniert. "Wir haben uns sehr schnell verständigt, dass wir sehr ruhig bleiben. Wir haben nichts zu tun mit der Auseinandersetzung in Russland", sagte Scholz. "Das Ziel unserer Unterstützung in der Ukraine ist nicht ein 'regime change' in Russland."
  
  Der Kanzler räumte ein, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) von dem Aufstand in Russland überrascht wurde. Die Dienste in Deutschland „haben das natürlich nicht vorher gewusst, aber sie haben uns dann auch immer weiter berichtet, was zu beobachten ist.“ Scholz kündigte an, den Informationsfluss mit den Verbündeten besprechen zu wollen.
  
  Auch Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) erkennt in den Ereignissen des Wochenendes Hinweise auf den Zustand des Machtapparats um Kremlchef Putin. „Ich glaube, da muss man kein Russland-Experte sein, um zu erkennen, dass eine Situation, die so weit gedeihen kann in so kurzer Zeit, dass die ein eindeutiges Signal dafür ist, (...) dass dort einiges in Schieflage geraten ist und dass es Risse gibt“, sagte Pistorius bei seinem Besuch in Washington. Er fügte hinzu, wie tief diese Risse seien und welche Folgen sie für Russland, für die innere Stabilität des Landes und für Putin hätten, ließe sich noch nicht abschätzen. Es gebe „kein klares gefestigtes Lagebild.“
  
  Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sprach von einem „innenpolitischen Machtkampf in Russland“. Die Vorgänge machten erneut deutlich, „dass Putin mit diesem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auch die Sicherheit in seinem eigenen Land gefährdet“. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sagte, Putin habe in Prigoschin ein Monster erschaffen, das sich gegen seinen Schöpfer gewandt habe. Die militärische Macht in Russland habe Risse bekommen. „Es ist jetzt der Moment, die Ukraine zu unterstützen, mehr denn je.“
  
  Quellen:  Red. / dpa / reuters / afp / ap / epd / kna

  Bildquelle: dpa

• Prigoschin und seine Wagner-Gruppe

  

  Die US-Regierung schätzt die Zahl der Wagner-Söldner auf rund 50.000. Ihr Chef Jewgeni Prigoschin hat die Gruppe 2014 gegründet. Sie ist weltweit im Einsatz und dient russischen Interessen unter anderem in Syrien, Mali und der Zentralafrikanischen Republik.
  
  
  Für die Kampfeinsätze in der Ukraine hat die russische Regierung Prigoschin erlaubt, Strafgefangene zu rekrutieren – Straffreiheit gegen Kriegseinsatz. „Es gibt jetzt Zehntausende von Angehörigen getöteter Kämpfer. Es werden wahrscheinlich hunderttausende werden. Das kann man nicht verheimlichen“, bekannte Prigoschin offen während eines wochenlangen, verlustreichen Stellungskampfes um die ostukrainische Stadt Bachmut.
  
  Prigoschin, 62, ist ein russischer Geschäftsmann, der lange das Vertrauen von Präsident Wladimir Putin genoss. Als Gastronom baute Prigoschin sein St. Petersburger Restaurant zu einem Imperium aus: Er besitzt ein riesiges Catering-Unternehmen, das staatliche Einrichtungen versorgt, sowie Trollfabriken und Medien.
  
  In den vergangenen Monaten präsentierte sich Prigoschin öffentlich als scharfer Kritiker von Verteidigungsminister Sergej Schoigu. Mehrfach warf er der militärischen Führung in Moskau vor, seine Söldner nicht mit ausreichend Munition zu unterstützen. In seinen Videos inszenierte er sich als der neue starke Mann Russlands, als der einzige wahre, glühende Patriot.
  
  Putin hatte in der Vergangenheit mehrfach erklärt, die Wagner-Gruppe vertrete nicht den russischen Staat. Nach dem gescheiterten Aufstand vom Wochenende räumte der Kremlchef nun erstmals ein, dass Prigoschins Armee, die sich offiziell als privates Militärunternehmen bezeichnet, „komplett vom Staat finanziert“ wurde. Nach Darstellung Putins erhielt die Gruppe von Mai 2022 bis Mai 2023 insgesamt 86,26 Milliarden Rubel (rund 930 Millionen Euro) aus dem Staatshaushalt. Putin kündigte eine Untersuchung der Geldströme bei Wagners Muttergesellschaft Concord-Holding an, die zugleich 80 Milliarden Rubel verdient habe.
  
  Die Zentrale der Wagner-Truppe in St. Petersburg versicherte unterdessen, sie arbeite „auf normale Art und Weise“ weiter. Laut der Nachrichtenagentur Tass nahm die Gruppe auch ihre Rekrutierung in einigen Regionen Russlands wieder auf. Nach Angaben des russischen Außenministers Sergej Lawrow sollen auch die Auslandseinsätze der Söldner in Mali und der Zentralafrikanischen Republik fortgeführt werden.
  
  Quellen:  Red. / dpa / reuters / afp / ap / epd / kna

  Bildquelle: dpa

• Russische Privatarmeen

  Prigoschins Wagner-Truppe ist die bekannteste, aber nicht die einzige russische Privatarmee, schreibt Ulf Mauder in einem Hintergrundbericht für die Deutsche Presse-Agentur: Zwar hat Wagner mit Abstand die größten Ressourcen mit zehntausenden Kämpfern, Panzern, Flugzeugen und schwerer Artillerie. Aber Prigoschin selbst bestätigte, dass seine Söldner nicht alleine kämpften in der Ukraine. Auch der staatliche Energieriese Gazprom ist aktiv mit eigenen Militärfirmen wie Potok und Fakel.
  
  Es gibt eine Vielzahl anderer Organisationen, die nicht nur die Rolle der regulären russischen Armee infrage stellen. Offen diskutiert wird inzwischen schon, ob Kremlchef Wladimir Putin damit nicht das Gewaltmonopol des Staates entgleitet. Westliche Geheimdienste sprechen bereits von einer „Paramilitarisierung“ in Russland.
  
  Die Privatarmeen heißen Patriot, Storm, Redut und Jenot und werden nach Experten-Einschätzung von Oligarchen und großen Rohstoffkonzernen finanziert. Offiziell treten sie oft als Wachfirmen für strategisch wichtige Objekte in Erscheinung, obwohl dafür staatliche Sicherheitsbehörden zuständig wären. „Die privaten Militärfirmen sind ein staatliches Outsourcing – eine neue Technologie im Bereich der Kriegsführung“, sagt der Analyst Sergej Jermakow vom Russischen Institut für strategische Forschungen.
  
  Kremlgegner sehen die Privatarmeen als mafiöse Strukturen, die Putin in der Ukraine zum Sieg verhelfen oder ihm und seinen Leuten im Fall einer Niederlage mindestens Sicherheit und bestenfalls die Macht sichern sollen. Die Kritiker beklagen, dass diese Firmen nicht staatlichen Interessen dienen, sondern einzelnen Oligarchen, Gruppierungen und Konzernen, die sie bezahlen.
  
  Die Wagner-Truppe des 62-jährigen Geschäftsmannes Jewgeni Prigoschin macht längst Schule. Ramsan Kadyrow, der Chef der russischen Teilrepublik Tschetschenien im Nordkaukasus, hat mit seiner Privatarmee „Achmat“ nach eigenen Angaben in den vergangenen 15 Monaten zehntausende Freiwillige vorbereitet und in die Ukraine geschickt. So spielten die Truppen bei der Einnahme der südukrainischen Hafenstadt Mariupol vor einem Jahr eine große Rolle. Jetzt stemmen sie sich gegen die ukrainische Gegenoffensive in der ostukrainischen Oblast Donezk.
  
  Das russische Verteidigungsministerium versucht, diese paramilitärischen Einheiten unter seine Kontrolle zu bekommen. Dazu sollen sie zum 1. Juli einen entsprechenden Eingliederungsvertrag unterzeichnen, und im Gegenzug sollen ihre Kämpfer die gleichen Vorteile und Schutzmaßnahmen wie die regulären Soldaten erhalten. Prigoschin hat das abgelehnt, Kadyrow dagegen stimmte zu.
  
  Quellen:  Red. / dpa / reuters / afp / ap / epd / kna

• Bundeswehr an die Nato-Ostflanke

  

  Diesen Montag reiste Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg zur Vorbereitung des Nato-Gipfels im Juli in die litauische Hauptstadt Vilnius. Dort kündigte Pistorius an, Deutschland würde eine 4000 Soldaten starke Kampftruppe dauerhaft in Litauen stationieren, um die Ostflanke der Nato zu stärken. Voraussetzungen seien „die entsprechende Infrastruktur“ vor Ort sowie die „Kompatibilität mit den Nato-Plänen“, betonte der Verteidigungsminister.
  
  Der Aufbau der Infrastruktur wurde von Litauen bereits versprochen: Bis spätestens 2026 will die dortige Regierung die Waffen- und Munitionsdepots, Übungsplätze sowie Unterkünfte für die Truppe und ihre Familien bauen. Dann wird das an Russland und Belarus grenzende Nato-Land zu dem nach jetzigem Stand größten Truppenstandort der Bundeswehr im Ausland.
  
  Bis zum Ende des Kalten Krieges habe Deutschland an der Ostflanke der Nato gelegen, sagte Pistorius in Vilnius. „Wir waren diejenigen, die sich stets darauf verlassen konnten, dass die Nato-Partner im Ernstfall uns zur Seite stehen würden und mit uns für unsere Freiheit und Sicherheit in Deutschland eintreten und kämpfen würden.“ Heute seien Polen und das Baltikum in besonderer Weise exponiert. „Und wir als Bundesrepublik Deutschland bekennen uns ausdrücklich zu unserer Verantwortung und zu unserer Verpflichtung, als Nato-Mitgliedsland, als größte Volkswirtschaft in Europa für den Schutz der Ostflanke einzutreten.“
  
  Stoltenberg begrüßte „die Führung Deutschlands“. Das Land zeige damit sein „Bekenntnis zu gemeinsamer Verteidigung und geteilter Sicherheit“. Aus Deutschland kam ebenfalls Lob für die Entscheidung der Bundesregierung. Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff und künftige Botschafter Deutschlands in Moskau erklärte, die dauerhafte Stationierung der Brigade in Litauen sei „ein starkes Signal, dass es Deutschland mit der Verteidigung der Nato-Ostflanke ernst ist“.
  
  Die Bundeswehr ist seit 2017 in Litauen vertreten, derzeit mit etwa 800 Soldaten. Als Reaktion auf die russische Invasion in der Ukraine hatte die Bundesregierung im Juni 2022 zugesagt, die Präsenz deutlich zu verstärken und eine komplette Kampftruppen-Brigade für die Verteidigung Litauens im Fall eines Angriffs bereitzuhalten. Bisher war aber strittig, ob die Soldaten dauerhaft in Litauen stationiert oder nur zeitweise für Übungen dorthin geschickt werden sollen.
  
  Der Vorsitzende des Bundeswehrverbands, André Wüstner, blickt skeptisch auf die Pläne einer dauerhaften Stationierung. Die seien zwar „grundsätzlich nachvollziehbar“, aber „zwischen Ankündigung und Realisierung liegen jetzt eine Menge Hausaufgaben, insbesondere für unser Verteidigungsministerium.“ Unter anderem stelle sich die Frage, ob in Litauen eine Liegenschaft errichtet werden solle – mit einer kompletten Unterkunftsinfrastruktur inklusive Schulen, Einkaufseinrichtungen und Sportanlagen. Wüstner betonte zudem, dass die Ankündigung einen höheren Finanzbedarf schon für den Verteidigungshaushalt 2024 nach sich ziehen werde.
  
  Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, warnte, man dürfe sich von dem in zwei Wochen anstehenden Nato-Gipfel „nicht zu erhöhten Versprechungen verleiten lassen“. In Litauen sei das Interesse an einer voll ausgestatteten Brigade nachvollziehbarerweise groß - „jedoch kann man nur Versprechen machen, die man halten kann“, mahnte die FDP-Politikerin.
  
  Auf dem Nato-Gipfel im Juli wird erwartet, dass es zwar noch keine Einladung an die Ukraine zur Mitgliedschaft im Bündnis gibt, aber dass die Beitrittsperspektive bekräftigt wird und Sicherheitsgarantien ausgesprochen werden. Der Büroleiter des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, Andreij Jermak, sagte mit Blick auf den Nato-Gipfel: „Russland ist nicht mehr in der Lage, irgendwelche Bedingungen zu diktieren. Putin ist nicht in der Lage, dies zu tun. Er hat den Beitritt Finnlands akzeptiert, er wird den Beitritt Schwedens akzeptieren – und er wird diesen Schritt für die Ukraine akzeptieren.“
  
  Quellen:  Red. / dpa / reuters / afp / ap / epd / kna

  Bildquelle: AP

• Friedensdiplomatie

  

  Für die Ausgestaltung einer Friedenslösung organisierte die Ukraine vergangenes Wochenende informelle Gespräche in Kopenhagen. Laut Andreij Jermak, dem Stabschef des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, erhoffe sich die Ukraine „sehr bald gute Informationen zu einer möglichen Friedenslösung“. Die Gespräche seien auf Basis der ukrainischen Friedensvorschläge geführt werden. Es sei klar, dass „es keine territorialen Kompromisse geben wird“, betonte Jermak.
  
  Diese Forderung unterstützt auch die Bundesregierung, die nach Angaben von Regierungssprecher Steffen Hebestreit an den Gesprächen teilnahm. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte seinen außenpolitischen Berater nach Kopenhagen gesandt. Details wollte Hebestreit nicht nennen, er betonte jedoch die Relevanz der zwischen verschiedenen Staaten geführten Gespräche.
  
  Bei dem Treffen sollen auch mögliche Sicherheitsgarantien für die Zeit nach dem Krieg in der Ukraine besprochen worden sein. Aus Sicht Selenskyjs sei ein Beitritt in die Nato die beste Sicherheitsgarantie. So forderte er beim jüngsten Treffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft in Moldau, dass beim Nato-Gipfel in Litauen Mitte Juli der Ukraine eine „eindeutige Einladung“ zum Eintritt in die Nato gemacht werden solle.
  
  Bereits im vergangenen Sommer beauftragte der ukrainische Präsident den ehemaligen Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen und seinen Stabschef Andreij Jermak, ein Konzept für Sicherheitsgarantien auszuarbeiten. Der daraus entstandene Kiewer Sicherheitspakt („Kyiv Security Compact“) ist Grundlage der Diskussion beim Nato-Gipfel.
  
  Im Interview mit der Zeitung „Die Welt“ erklärte Rasmussen: „Bei den Sicherheitsgarantien geht es darum, wie wir die Ukraine in die Lage versetzen können, sich selbst zu verteidigen. Dafür braucht es vier Dinge: Wir müssen Kiew systematisch mit allen notwendigen Waffen beliefern, die es braucht, um ein starkes Militär aufzubauen. Es braucht einen regelmäßigen Austausch von Geheimdienstinformationen. Wir müssen ukrainisches Militär auf ukrainischem Boden ausbilden und eine ukrainische Verteidigungsindustrie aufbauen.“ Hierfür ist die Idee, „dass sich eine Gruppe Staaten unter der Führung der USA, Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens und Polens als Garantiemächte verpflichten, um dies zu leisten.“
  
  Diese Lösung ist jedoch innerhalb der Nato umstritten. Während die meisten Osteuropäischen Staaten, wie Polen oder Litauen, Kiew eine klare Perspektive für den Beitritt zur Allianz geben wollen, sind die großen Verbündeten wie Amerika oder Deutschland dagegen. Scholz bekräftigte vergangene Woche, dass ein Beitritt der Ukraine zu dem Bündnis vor einem Ende des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine nicht infrage komme. „Deshalb werbe ich dafür, dass wir uns in Vilnius auf das konzentrieren, was jetzt absolute Priorität hat: Nämlich die tatsächliche Kampfkraft der Ukraine zu stärken.“ Erwartet wird daher, dass es noch keine formelle Einladung an die Ukraine gibt, aber dass die Beitrittsperspektive bekräftigt wird und Sicherheitsgarantien ausgesprochen werden.
  
  Für die “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” analysierte Brüssel-Korrespondent Thomas Gutschker, der Westen müsse sich deshalb Gedanken machen, wie Sicherheitsgarantien unterhalb einer Nato-Mitgliedschaft aussehen könnten: Zwei Modelle scheiden dabei aus. Erstens das schwedisch-finnische: Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat mehrfach gesagt, dass die USA, das Vereinigte Königreich, Deutschland, Frankreich und weitere Staaten beiden Ländern Sicherheitsgarantien gegeben hätten, während ihre Ratifikationsverfahren zur Aufnahme ins Bündnis laufen. Es sei „unvorstellbar“, dass die Allianz nicht auf einen Angriff reagieren würde, sagte Stoltenberg – auch wenn er die Art der Antwort offenließ. Diese Zusagen gelten aber nur für „Eingeladene“. Zweitens könnte sich die Ukraine mittelfristig auch nicht auf die Beistandsklausel im EU-Vertrag berufen. Denn die gilt nur für Mitglieder, nicht für Beitrittskandidaten.
  
  Quellen:  Red. / dpa / reuters / afp / ap / epd / kna

  Bildquelle: dpa (Archiv)