EU-Gipfel zu Nahost-Konflikt: Selbst Plural ist politisch

    Haltung zum Krieg Hamas-Israel:EU-Gipfel: Selbst der Plural ist politisch

    Gunnar Krüger
    von Gunnar Krüger
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    Sie sagen dasselbe, aber betonen es anders: Die EU-Staaten ringen mit der Nahost-Politik - und mit der Grammatik. Der Überblick vor dem Gipfel.

    EU-Minister der EU diskutieren auf dem EU-Krisengipfel in Brüssel.
    In Brüssel wird auf einem EU-Krisengipfel darüber diskutiert, wie man dazu beitragen kann, eine Eskalation im Nahen Osten zwischen Israel und der Hamas zu verhindern.26.10.2023 | 1:37 min
    Es ist die dritte Nachfrage, und die Antwort klingt fast ungehalten: Warum der Plural so ein Problem sei? "Das sollte ich Sie fragen!" Hohe EU-Diplomaten geben sich bis kurz vor dem EU-Gipfel, der Donnerstagnachmittag beginnt, alle Mühe, einen - angesichts der Lage in Nahost - peinlichen Streit kleinzureden. Es geht um "Fenster", um "Pausen", um Singular und Plural. Alles beginnt am Dienstag.
    Annalena Baerbock steht in einer New Yorker Straßenschlucht, hinter ihr der Sitz der Vereinten Nationen, vor ihr Mikrofone, Thema ist Gaza. Die deutsche Außenministerin prägt mit diesem Wort die Debatte:

    Damit wir die Menschen, die unschuldigen Frauen und Kinder, erreichen können, braucht es jetzt humanitäre Fenster.

    Annalena Baerbock, Außenministerin

    Das andere Wort setzt Stunden zuvor der EU-Außen-Beauftragte, als er eine "humanitäre Pause" fordert. "Eine Pause ist eine Pause", so Borrell. "Also die Unterbrechung von etwas, das danach weitergeht."
    Ulf Röller
    Die EU möchte sich auf eine gemeinsame Abschlusserklärung einigen. Wenn das gelingen sollte: Wie ist der Einfluss der EU im Nahost-Konflikt? Ulf Röller berichtet aus Brüssel.26.10.2023 | 0:59 min

    Recht Israels auf Selbstverteidigung

    Sie sei leichter zu vereinbaren als eine Waffenruhe, wie sie die UN fordern. Und doch ist die vermeintliche Wortklauberei eine neue Runde im Streit der Europäer, wie weit Israels Recht auf Selbstverteidigung geht. Denn die deutsche Bundesregierung zeigt sich auch am Mittwoch skeptisch zu Forderungen nach einer "Feuerpause".
    Wichtig seien "zeitliche und räumliche Fenster", um die humanitären Hilfsleistungen im Gazastreifen zu ermöglichen, so der Regierungssprecher. Auch in Brüssel betonen Deutsche und andere EU-Mitglieder die Semantik. "Fenster", das klingt noch kürzer, noch begrenzter als "Pausen".
    Selbst der Plural ist politisch: Vor jedem Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs und -Chefinnen kursieren Schlussfolgerungen. Das ist der Text, auf den sich alle 27 einigen sollen. In einer Version vom Mittwochmorgen steht das Wort "humanitäre Pause", also Einzahl.
    "Ich bin mir nicht sicher, ob das so bleibt", mutmaßt ein EU-Diplomat - und liegt richtig. Am Abend heißt es im englischen Original "humanitarian pauses" - also Mehrzahl. Wer mag, kann darin das Vorübergehende lesen, mehr freie Hand für Israel im Kampf gegen Hamas.

    Dissonanzen innerhalb der EU

    Von Spanien - der Heimat des EU-Chefdiplomaten Borrell - über Irland und Deutschland bis Österreich: Alle 27 fordern fast dasselbe, betonen aber das jeweils andere: Israels Recht auf Selbstverteidigung oder das Humanitäre Völkerrecht. Der Überblick:
    Spaniens kritische Haltung gegenüber Israel habe historische Gründe, erklärt Isaías Barreñada Bajo von der Madrider Uni Complutense im Interview mit ZDFheute. "In Spanien deckten sich immer die offizielle Position der Regierungen, egal ob sie konservativ oder sozialistisch waren, und die öffentliche Meinung, die die Palästinenser als die Opfer wahrnimmt." Israels Unterstützer seien weniger wahrnehmbar.
    Israelische Soldaten versammeln sich nahe der Grenze zum Gazastreifen im Süden Israels
    Diplomatische Bemühungen im Nahost-Konflikt werden durch einen Eklat im Weltsicherheitsrat überschattet.25.10.2023 | 1:38 min

    Schwere Vorwürfe gegen Staat Israel

    Irlands Präsident Michael D. Higgins kritisierte vor kurzem Israel:

    Es sind vorangekündigte Verstöße gegen das Völkerrecht, wenn man der Zivilbevölkerung das Wasser abdreht.

    Michael D. Higgins, Präsident Irlands

    Israels Botschafterin in Irland warf ihm vor, sich "uninformiert" zu äußern. Doch was Higgins sagt, denken viele Iren, Tausende demonstrieren. Zoe Lawlor von der irisch-palästinensischen Solidaritäts-Kampagne nennt Israel einen "Apartheidstaat". Auch hier spielt Geschichte mit: Im 16. Jahrhundert kolonisierten Briten Irland. Iren scheinen viele Parallelen zu erkennen - zum Land von Israelis und Palästinensern.

    Österreich mit weniger Pro-Palästina-Demos

    In Österreich fallen pro-palästinensische Demonstrationen dagegen kleiner aus. Der Soziologe und Politikberater Kenan Güngör erklärt das mit der Politik der konservativen Regierung: "Österreich ist ein Land, dass ein Stück weit eine strengere und rigidere Integrationspolitik fährt."
    Dazu passt eine Israel-Politik mit wenig Kritik und das, was Bundeskanzler Karl Nehammer am Mittwoch auf Besuch in Tel Aviv sagt: "Wenn wir es nicht schaffen, die Hamas in Israel zu besiegen, wird sie nach Europa kommen."
    Nahost-Konflikt in Europa
    Die Staats- und Regierungschefs ringen beim EU-Gipfel um eine gemeinsame Haltung im Nahost-Konflikt. Wie positionieren sich Irland, Österreich und Spanien?26.10.2023 | 3:24 min

    Fällt Europa nicht ins Gewicht?

    Die Fußnote: Europas feine Unterschiede werden bei der Lösung des Konflikts in Nahost eher keine Rolle spielen. Nicht, weil Diplomaten sie kleinreden, sondern weil die EU ihr Gewicht nicht einsetzt.
    Angriff auf Israel (Karte Israel, Gazastreifen etc.)
    ZDFheute Infografik
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    Chefdiplomat Borrell hat in seinem Amt Israel noch nicht besucht. Und wenn die Konfliktparteien einen Waffenstillstand, eine Feuerpause, ein humanitäres Fenster - oder auch mehrere davon - vereinbaren, dann dürften dabei wohl arabische Staaten oder die USA vermitteln - nicht die EU.
    Mitarbeit: Thomas Walde, Hilke Petersen und Oliver Heuchert

    Eskalation in Nahost
    :Aktuelle News zur Lage in Israel und Gaza

    Mit dem Angriff der radikalislamischen Hamas auf Israel ist der Nahost-Konflikt eskaliert. Israel greift infolge der Terrorattacke Ziele im Gazastreifen an. Aktuelle News im Blog.
    Israelische Soldaten in der Nähe der Grenze zum Gazastreifen im Süden Israels, aufgenommen am 12.03.2024
    Liveblog

    Aktuelle Nachrichten zum Nahost-Konflikt