Militärexperte zu Ukraine-Krieg: Die Zeit spielt gegen Kiew

    Interview

    Wie läuft die Gegenoffensive? :Experte: Die Zeit spielt gegen die Ukraine

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    Kiew meldet Geländegewinne an der Front bei Robotyne. Doch die Gegenoffensive-Taktik wird immer öfter infrage gestellt - die Zeit spiele "gegen die Ukraine", so Experte Reisner.

    Oberst Markus Reisner bei ZDFheute live
    Es dränge sich der Eindruck auf, als würde bereits nach Schuldigen gesucht, sollte die Gegenoffensive scheitern, sagt Oberst Reisner zur Kritik an der ukrainischen Strategie. 25.08.2023 | 12:42 min
    Die Taktik der ukrainischen Gegenoffensive, die inzwischen seit bereits fast drei Monaten läuft, ist in US-amerikanischen Medien in den vergangenen Tagen immer wieder kritisiert worden. Der Vorwurf: Die Truppen seien falsch verteilt, deshalb gehe es nicht voran. Die Lage an der Front ist unübersichtlich.
    Zuletzt vermeldete die Ukraine aber vermehrt Geländegewinne, zum Beispiel bei der Stadt Robotyne. Bei ZDFheute live ordnet Militäranalyst Oberst Markus Reisner die ukrainischen Vorstöße ein und erklärt, wie die ukrainische Gegenoffensive noch erfolgreich werden könnte.
    Lesen Sie das Interview hier in Auszügen oder sehen Sie es oben im Video in voller Länge. Das sagt Markus Reisner…

    … zum Erfolg der ukrainischen Vorstöße bei Robotyne

    Um Robotyne fänden - laut Reisner - tatsächlich heftige Kämpfe statt. Die Stadt Robotyne sei deshalb von besonderer Bedeutung, "weil es ein Ort ist, der quasi das Ende der sogenannten Gefechtsvorpostenlinie definiert. Das heißt, hinter dieser Gefechtsvorpostenlinie kommen dann wirklich die Hauptstellungen […], bis hin zu der Ortschaft Tokmak, die zur Festung ausgebaut ist."
    Karte: Robotyne - 12.08.2023
    Karte: Robotyne - 12.08.2023
    Quelle: ZDF

    Mit der ukrainischen Offensive hoffe man demnach, diese Gefechtsvorpostenlinie zu durchbrechen und daraufhin die Hauptstellungen angreifen zu können. Falls die Stadt Robotyne von ukrainischen Streitkräften tatsächlich eingenommen sein sollte, wäre dies ein taktischer Erfolg.

    … zur Aussage des ukrainischen Armeechefs, dass Kiew kurz vor einem Durchbruch stehe

    Laut Reisner dürfe man hierbei nicht vergessen, dass der Krieg "natürlich auch im Informationsraum geführt wird". Die vergangene Berichterstattung amerikanischer Leitmedien habe vermehrt in Frage gestellt, ob die ukrainische Offensive tatsächlich das Ziel erreiche.
    Der Oberbefehlshaber der ukrainischen Armee, Walerij Saluschnyj habe, laut Reisner, "das einzig Richtige" gemacht und zwei "bemerkenswerte Dinge" gesagt: "Dass man ihnen nicht erklären soll, wie sie ihren Krieg zu führen haben und das zweite ist, dass er gesagt hat, dass dieser Vorstoß tatsächlich kurz vor der Tür steht."
     ZDF-Reporterin Anne Brühl bei ZDFheute live
    Kupjansk könnte bereits zum zweiten Mal von russischen Truppen besetzt werden. Einige Menschen harren weiter in dem Ort aus, sagt ZDF-Reporterin Anne Brühl. 25.08.2023 | 5:07 min
    Kupjansk könnte zweimal von Russen erobert werden:
    Außerdem sei es interessant, dass US-Generalstabschef Mark Milley gesagt habe, dass die Gefechtsvorpostenlinie bereits durchbrochen sei.

    Fakt ist aber natürlich, dass aus der Historie betrachtet […] langwierige Offensiven, die nicht substanziell zu Ergebnissen führen, dann meistens eingestellt werden. Und die Frage ist, ob das jetzt möglicherweise auch dieser ukrainischen Offensive droht.

    Oberst Markus Reisner, Militäranalyst

    Denn die Zeit spiele gegen die Ukraine, so Reisner. "Sie hat nun mehr wenige Wochen Zeit bis die nächsten Regenperiode, die nächste Schlammperiode kommt und dann steht der Winter vor der Tür."

    Oberst Markus Reisner im Gespräch mit Moderatorin Victoria Reichelt bei ZDFheute live.
    Quelle: ZDF

    ...Jahrgang 1978, ist Militäranalytiker, Historiker und selbst aktiver Soldat beim österreichischen Bundesheer. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges analysiert Reisner die Lage in der Ukraine und leitet seit September die Forschungs- und Entwicklungsabteilung an der Theresianischen Militärakademie in Wien. (Quelle: Kral-Verlag)

    ... zu der Frage, wie die Gegenoffensive doch noch erfolgreich werden könnte

    Die Kriegsgeschichte sei voller Beispiele, bei denen unterlegene Streitkräfte einen Durchbruch erzielt hätten, den man ihnen nicht zutraute. So könne es zum Beispiel sein, "dass eine Eigendynamik entsteht aufgrund zum Beispiel eines Durchbruchs". Dadurch könnte es zu einer Panikreaktion der russischen Armee kommen, ähnlich wie es bereits bei Charkiw passiert sei.
    Militärexperte Oberst Reisner vor einer Ukraine-Karte und einem Panzer der ukrainischen Streitkräfte
    Die Ukraine meldet militärische Fortschritte. Wird die Gegenoffensive doch noch zum Erfolg?25.08.2023 | 32:32 min
    Sehen Sie hier die gesamte Sendung zum Stand der Gegenoffensive:
    Allerdings könne es - laut Reisner - auch sein, "dass die Ukraine sich in den letzten Tagen mit ihren Reserven übernimmt und diese Reserven dann eigentlich diese Kräfte sind, die man brauchen würde, um sich zu konsolidieren, um in den Winter zu gehen und um die nächste Offensive vorzubereiten."
    Bisher könne man nur sagen, dass es heftige und intensive Kämpfe gebe und die Ukraine alles einsetze, was ihr zur Verfügung stehe.

    Wir haben jetzt also ganz klar einen Kampf der Willen.

    Oberst Markus Reisner, Militäranalyst

    Das Interview für ZDFheute live führte Moderator Philip Wortmann.
    Aktuelle Meldungen zu Russlands Angriff auf die Ukraine finden Sie jederzeit in unserem Liveblog:

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    :Aktuelles zum Krieg in der Ukraine

    Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.
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