Ukraine-Unterstützung: Macron und Scholz ringen um Linie

    Interview

    Expertin zu Macron-Aussagen:"Ausmaß dieses Konflikts besser verstanden"

    |

    Es hakt bei der Ukraine-Unterstützung - auch weil Deutschland und Frankreich um eine gemeinsame Linie ringen. Die Positionen analysiert Politikwissenschaftlerin Miard-Delacroix.

    Emmanuel Macron bei einer Pressekonferenz vor einem Arbeitsessen mit der moldawischen Präsidentin Maia Sandu im Elysee-Palast in Paris, am 07.03.2024.
    Mit Blick auf die Unterstützung für die Ukraine geht Macron einen anderen Weg als Bundeskanzler Scholz.
    Quelle: AP

    Emmanuel Macron geht seit Tagen verbal in die Offensive. Erst schloss Frankreichs Präsident Nato-Bodentruppen in der Ukraine explizit nicht aus, jetzt forderte er von den Verbündeten "nicht feige" zu sein. Bundeskanzler Olaf Scholz steht derweil in der Kritik, bei Waffenexporten zu zögern - etwa in der Taurus-Debatte. Dabei liefert Deutschland weit mehr Waffen an die Ukraine als Frankreich. Das Verhältnis zwischen Scholz und Macron scheint belastet.
    Im Gespräch mit ZDFheute wirbt Hélène Miard-Delacroix für mehr Verständnis. Die Forscherin an der Pariser Sorbonne erinnert an die unterschiedliche Verteidigungspolitik beider Länder. Paris etwa leiste auch mit seiner atomaren Abschreckung einen Beitrag. Dass Scholz und Macron so gegensätzlich kommunizieren, habe auch viel mit der politischen Konkurrenz im Inland zu tun.

    Miard Delacroix im ZDF Interview.
    Quelle: ZDF

    Ein ausführlicher Beitrag über die Unstimmigkeiten in der Ukraine-Politik ist am Sonntag bei Berlin direkt zu sehen.

    ZDFheute: Emmanuel Macron hat in Prag kürzlich gesagt, man dürfe "nicht feige" sein. Eine indirekte Kritik, mit der er Scholz visiert?
    Hélène Miard-Delacroix: Das muss man nicht unbedingt als direkte oder indirekte Kritik an Bundeskanzler Scholz verstehen.

    Macron hat inzwischen die Qualität und das Ausmaß dieses Konflikts besser verstanden.

    Hélène Miard-Delacroix, Politikwissenschaftlerin

    Ich glaube, es ist eher ein Wille, die Öffentlichkeit aufzurütteln, wachzurütteln, und zu sagen: Wenn wir dem Gegner zeigen, dass wir nichts ausschließen, dann ist es ein Mittel, eine rote Linie zu ziehen. Und es bedeutet nicht, dass wir Kriegstreiber sind.
    Macron
    Frankreichs Präsident Macron will den Einsatz von Bodentruppen in der Ukraine nicht ausschließen. Kanzler Scholz erteilte diesem Gedanken eine klare Absage.27.02.2024 | 1:57 min
    ZDFheute: Wenn es aber diesen Weckruf braucht, was sagt das dann über das aktuelle deutsch-französische Verhältnis aus?
    Miard-Delacroix: Es gibt strukturelle Unterschiede zwischen beiden Ländern. Frankreich ist eine Atommacht, hat als verschuldetes Land jedoch wenig Möglichkeiten, zügig Waffen zu produzieren und zu liefern. Die Bundesrepublik hingegen ist keine Atommacht, hat aber aus eigener Kraft die Möglichkeit, viel zu liefern.

    Doch Deutschland hat historisch gesehen Hemmungen, die sehr beständig sind. Diese Unterschiede führen zu einer anderen Kommunikation.

    Hélène Miard-Delacroix, Politikwissenschaftlerin

    Frankreich setzt auf Abschreckung: Das Ziel ist, den Gegner im Unklaren zu lassen, was für Folgen die eigenen Schritte haben könnten. Die Bundesrepublik pflegt Zurückhaltung und Berechenbarkeit. Nichtsdestotrotz haben beide Länder weiterhin die gleichen Interessen und wollen in der gleichen Schicksalsgemeinschaft bleiben.

    Insofern ist es kontraproduktiv, gegenseitig zu sticheln und Vorwürfe zu machen.

    Hélène Miard-Delacroix, Politikwissenschaftlerin

    GERMANY-DEFENCE-MILITARY
    Die Forderungen bleiben vehement - doch Bundeskanzler Scholz will keine Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine liefern. Was kann das viel diskutierte Waffensystem?05.03.2024 | 3:23 min
    ZDFheute: Aber dann scheinen die europäischen Partner selbst diese Strategie nicht verstanden zu haben. Schließlich haben sich viele schnell öffentlich von Macrons Aussagen distanziert.
    Miard-Delacroix: Das ist genau das Problem, das es derzeit zwischen den Europäern gibt. Speziell zwischen Deutschland und Frankreich.
    Anstatt dass man in der Öffentlichkeit über Differenzen redet, müsste man versuchen, hinter den Kulissen Meinungsunterschiede auszuräumen und zu einer gemeinsamen Kommunikationsstrategie zu kommen. Dass das nicht passiert, ist wahrscheinlich ein großer Fehler beider Länder.
    Diana Zimmermann und Thomas Walde
    Macron dachte am Montag laut über eine Entsendung von Bodentruppen in die Ukraine nach, Scholz lehnt das ab. Diana Zimmermann und Thomas Walde berichten über die Hintergründe. 27.02.2024 | 2:12 min
    ZDFheute: Welche Motivation steckt bei Macron dahinter, verbal voranzugehen?
    Miard-Delacroix: Die Taktiken des französischen Staatspräsidenten und auch des Bundeskanzlers haben innenpolitische Gründe.

    Macron hat keine eigene Mehrheit im Parlament. Dort wird in den kommenden Tagen über eine stärkere Hilfe für die Ukraine gesprochen.

    Hélène Miard-Delacroix, Politikwissenschaftlerin

    Und dann ist es sein Ziel, den rechtspopulistischen Rassemblement National von Marine Le Pen aus der Schweigeecke zu locken - mit der Frage: 'Sind Sie für die Ukraine und für die Unterstützung der Demokratie und der Freiheit oder sind Sie für Putin?'
    Militärexperte Oberst a.D. Wolfgang Richter bei ZDFheute live 
    Westliche Bodentruppen in die Ukraine zu schicken, sei enorm gefährlich, so Oberst a.D. Richter. Dann drohe ein ausgewachsener Nuklearkrieg zwischen Russland und der Nato.27.02.2024 | 23:50 min
    Umgekehrt ist es in der Bundesrepublik so, dass der Bundeskanzler versucht, seine Wähler nicht zu sehr zu verprellen. Also in der SPD und auf der anderen Seite die sogenannten Putin-Versteher, die bereit sind, eine rechtspopulistische oder eine sehr linksorientierte Partei zu wählen.
    ZDFheute: Zuletzt hat Macron Nato-Bodentruppen in der Ukraine nicht mehr kategorisch ausgeschlossen. Gleichzeitig liefert Frankreich aber weniger Waffen als Deutschland. Sehen Sie einen Widerspruch zwischen Kommunikation und Handeln?
    Miard-Delacroix: Diese Erbsenzählerei führt zu nichts, ist kontraproduktiv und verursacht Missverständnisse. Man sollte eher hervorheben, welche unterschiedlichen Beiträge für die Verteidigung beide Länder leisten. Somit ist auch die französische Abschreckung als Atommacht etwas, das die geringere Waffenlieferung kompensieren kann.

    In dem Bündnis liefert der eine das, was der andere nicht liefern kann.

    Hélène Miard-Delacroix, Politikwissenschaftlerin

    Das Interview führte Luis Jachmann, ZDF-Studio Paris.
    Aktuelle Meldungen zu Russlands Angriff auf die Ukraine finden Sie jederzeit in unserem Liveblog:

    Russland greift die Ukraine an
    :Aktuelles zum Krieg in der Ukraine

    Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.
    Patriot-System
    Liveblog

    Aktuelle Nachrichten zur Ukraine