"Weiße Fahne": Welchen Krieg Papst Franziskus gerecht findet

    Franziskus' Haltung zum Krieg:Ukraine: Warum der Papst die weiße Fahne will

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    von Nils Metzger
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    Papst Franziskus legt der Ukraine das Aufgeben nahe. Das Land müsse sich vorm Suizid bewahren. Dabei kennt die katholische Kirche durchaus Regeln für gerechte Kriege.

    10.03.2024, Vatikan, Vatikanstadt: Papst Franziskus liest während des Angelus-Mittagsgebets aus seinem Fenster mit Blick auf den Petersplatz seine Botschaft vor.
    Papst Franziskus hat in einem Interview an die Ukraine appelliert, Friedensverhandlungen mit Russland einzugehen. Die Äußerung ist auf Unverständnis und scharfe Kritik gestoßen.10.03.2024 | 0:38 min
    Nicht zum ersten Mal hat Papst Franziskus mit Aussagen für Wut und Irritationen bei der von Russland angegriffenen Ukraine und ihren Unterstützern gesorgt. In einem Fernsehinterview legte das katholische Kirchenoberhaupt Kiew nahe, Verhandlungen aufzunehmen, um "das Land nicht in den Suizid zu treiben."
    "Wenn man sieht, dass man besiegt wird, dass die Dinge nicht gut laufen, muss man den Mut haben, zu verhandeln", so der Papst zum Schweizer Sender RSI.

    Der Stärkste ist der, der die Situation erkennt, der an das Volk denkt, der den Mut hat, die weiße Fahne zu hissen und zu verhandeln.

    Papst Franziskus

    Ein Vatikan-Sprecher stellte später klar, dass mit dem Bild der "weißen Fahne" ein "Waffenstillstand" gemeint gewesen sei. Allgemein wird darunter aber ein Aufgeben, eine Kapitulation verstanden, in der man sich den Konditionen des Siegers unterwirft.
    annette-hilsenbeck
    "Die Äußerungen scheinen aus Sicht der Ukraine und internationalen Beobachtern missverständlich", so ZDF-Korrespondentin Annette Hilsenbeck. 11.03.2024 | 2:15 min

    Was hat der Papst bislang zum Ukraine-Krieg gesagt?

    In den vergangenen zwei Jahren hatte sich der Papst bereits mehrfach zum Ukraine-Krieg geäußert, eine klare und eindeutige Verurteilung des russischen Angriffs dabei aber meist vermieden. Das Leid der Bevölkerung auf beiden Seiten beklagt er regelmäßig, den Verursacher benennt er kaum.
    Nach Kiew reiste Franziskus bislang nicht. "Zuerst muss ich nach Moskau gehen, zuerst muss ich Putin treffen", sagte er der italienischen Zeitung "Corriere della Sera".
    Mehrfach in den vergangenen zwei Jahren brachte Franziskus den Vatikan als Mediator im Ukraine-Krieg ins Spiel. Konkret etwas erreicht hat der Papst aber bislang nicht. Seine allgemeine Forderung nach "Frieden" bewirkt angesichts des andauernden russischen Eroberungszugs wenig.

    Franziskus lobte "imperiales Russland"

    Bei einer Marienweihe im März 2022 bezog Franziskus neben der Ukraine auch Russland ein, um beide unter den besonderen Schutz der Gottesmutter zu stellen. Bei einer Videokonferenz mit russischen Jugendlichen sagte Franziskus im August 2023:

    Vergesst nie euer Erbe. Ihr seid die Erben des großen Russlands. Das große Russland der Heiligen, der Könige, des großen Russlands von Peter dem Großen, von Katharina der Großen, dieses großen imperialen Russlands (…).

    Papst Franziskus zu russischen Jugendlichen

    Beobachter wiesen schnell darauf hin, dass es genau dieses imperiale Großrussland sei, das Wladimir Putin mit Waffengewalt wieder aufzubauen versuche und dass diese russische Geschichte genau die Geschichte der brutalen Unterdrückung von Nationen wie der Ukraine war.
    Die Notwendigkeit, Kiew mit Waffen zur Selbstverteidigung zu versorgen, sieht das Kirchenoberhaupt offenbar nicht. Bei seiner Weihnachtsansprache Ende 2023 nannte er die Rüstungsindustrie "Händler des Todes" und kritisierte, dass der Ukraine-Krieg dazu genutzt werde, um neue Waffen zu testen.
    SGS Girke
    Papst Franziskus hat heute den traditionellen Weihnachtssegen "Urbi et Orbi" gespendet. Welche Schwerpunkte der Papst dabei in seiner Rede gesetzt hat, berichtet Jenifer Girke.25.12.2023 | 1:13 min

    Wann erlaubt die katholische Kirche einen Krieg?

    Die christlichen Kirchen spielen eine zentrale Rolle für unser heutiges Verständnis von Krieg und Völkerrecht. Im Kirchenrecht gibt es seit dem Mittelalter die Theorie des "gerechten Krieges". Krieg war kein Naturzustand mehr, sondern musste besonders legitimiert werden.
    Darüber mit zu entscheiden, welche Kriege gestattet sind, war über Jahrhunderte ein zentraler Machtfaktor - auch die Grausamkeiten der Kreuzzüge ließen sich so rechtfertigen.
    Bis in die 1960er Jahre legitimierte die katholische Kirche so immer wieder militärisches Handeln in Konflikten weltweit, mischte aktiv in vielen Bürgerkriegen während des Kalten Krieges mit. Das ist eine Erklärung, weshalb der aus Argentinien stammende und von einer gewaltlosen Befreiungstheologie geprägte Papst Franziskus die Idee eines "gerechten Krieges" offenbar für überholt hält.

    Es ist an der Zeit, das Konzept eines 'gerechten Krieges' zu überdenken.

    Papst Franziskus im Juli 2022

    "Ein Krieg mag gerecht sein, es gibt das Recht auf Selbstverteidigung. Aber wir müssen überdenken, wie dieses Konzept heutzutage eingesetzt wird", so der Papst weiter.
    Wöchentliche Generalaudienz im Vatikan
    2023 war für Papst Franziskus ein Jahr der Höhen und Tiefen. Bei Reformen kämpfte er gegen heftigen Widerstand der Konservativen. Trotz gesundheitlicher Probleme reiste er viel.25.12.2023 | 7:15 min

    Wie positionierte sich die Kirche in anderen jüngeren Konflikten?

    Das Herumlavieren des Papstes in Sachen Ukraine ist symptomatisch für eine wenig einheitliche Haltung der katholischen Institutionen zu Krieg im 21. Jahrhundert. Womöglich spürt der Papst, dass in vielen Teilen seiner Weltkirche die Sympathien nicht auf Seiten des Westens liegen. Die deutsche Bischofskonferenz hingegen unterstützt Waffenlieferungen an die Ukraine und benennt Russland klar als Verantwortlichen.
    Papst Benedikt XVI., der Vorgänger von Franziskus, befürwortete durchaus militärisches Eingreifen in anderen Konflikten. In einer Rede vor den Vereinten Nationen 2008 ünterstützte er die sogenannte "responsibility to protect" (R2P), also die internationale Schutzverantwortung für bedrohte Bevölkerungsgruppen. "Die internationale Gemeinschaft muss eingreifen", sagte er damals. Als der UN-Sicherheitsrat dann 2011 auf Basis der R2P ein westliches Eingreifen in Libyen erlaubte, sprach sich die US-Bischofskonferenz trotzdem gegen die Luftschläge aus.
    Angesichts der Brutalität des Islamischen Staates befürwortete der Vatikan 2015 dann doch militärische Gewalt. "Wir müssen diesen Genozid stoppen. Andernfalls werden wir in der Zukunft beklagen, warum wir nichts getan haben", so Franziskus' UN-Botschafter, Erzbischof Silvano Tomasi. Warum die katholische Kirche im einen Fall so und im anderen Fall so entscheidet, ist insbesondere für die Menschen in der Ukraine schwer verständlich.
    Aktuelle Meldungen zu Russlands Angriff auf die Ukraine finden Sie jederzeit in unserem Liveblog:

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    :Aktuelles zum Krieg in der Ukraine

    Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.
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