Politische Gefangene in Russland: "System der Sklaverei"

    Politische Gefangene in Russland:Grauenhaftes "System der Sklaverei"

    |

    Kleine Zellen, Isolationshaft, unzureichende Mahlzeiten und kaum medizinische Versorgung: Die Lage für politische Gefangene in Russland wird immer dramatischer.

    Außenaufnahme auf die Gefangenenkolonie IK-2
    Die Haftbedingungen in russischen Straflagern, wie hier die Gefangenenkolonie IK-2, werden für politische Gefangene immer dramatischer. (Archivfoto)
    Quelle: dpa

    Wladimir Kara-Mursa konnte nur lachen, als Wärter ihm ein Schränkchen in die ohnehin beengte Zelle stellten. Außer einer Zahnbürste und einem Becher gebe es nichts, was er darin verstauen könne, da ihm alle persönlichen Dinge abgenommen worden seien, sagt die Ehefrau des prominenten Kremlkritikers.
    Ein anderes Mal sei ihm aufgetragen worden, Bettwäsche von der gegenüberliegenden Seite des Flurs zu holen - obwohl festgelegt sei, dass er außerhalb der Zelle stets die Hände auf dem Rücken halten müsse. "Wie hätte er sie aufnehmen sollen? Mit den Zähnen?", fragt Jewgenija Kara-Mursa im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AP.
    Als ihr Mann die Bettwäsche geholt habe, sei ein Wärter mit einer Kamera aufgetaucht und habe ihm vorgeworfen, gegen die Regeln verstoßen zu haben. Daraufhin seien ihm von der Verwaltung der Strafkolonie weitere Disziplinarmaßnahmen auferlegt worden.

    Psychischer und physischer Druck

    Politische Gefangene wie Wladimir Kara-Mursa werden in Russland extrem unter Druck gesetzt, physisch und psychisch. Wie stark sie gefährdet sind, ist diesen Monat am Beispiel von Alexej Nawalny, der während seiner Haft unter bisher nicht geklärten Umständen ums Leben kam, deutlich geworden.

    Niemand ist im russischen Strafvollzugssystem sicher.

    Grigori Wajpan von der Menschenrechtsorganisation Memorial

    Der Ko-Vorsitzende der in Russland inzwischen verbotenen Menschenrechtsorganisation Memorial, Oleg Orlow, ist am Dienstag wegen "wiederholter Diskreditierung" des Militärs zu einer zweieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt worden, weil er die russische Invasion in die Ukraine verurteilte.

    Memorial: Rund 680 politisch Gefangene in Russland

    Auch Kara-Mursa wurde im vergangenen Jahr nach Kritik am russischen Angriffskrieg in der Ukraine wegen "Hochverrats" zu 25 Jahren Haft verurteilt. Es ist die bisher längste Strafe, die in Russland gegen einen Kritiker von Präsident Wladimir Putin verhängt wurde. Doch Kara-Mursa ist nicht der einzige. Laut Angaben von Memorial gibt es mindestens 680 politische Gefangene im Land.
    RUSSIA-HISTORY-POLITICS
    Am 30. Oktober wird seit 1991 in Russland an die Opfer politischer Verfolgung gedacht. 2023 durfte man noch nicht mal Blumen ohne Behördengenehmigung niederlegen. Die Zahl politischer Gefangener ist in den letzen Jahren stark gestiegen.30.10.2023 | 2:12 min
    Ehemalige Insassen, Anwälte und Angehörige von Betroffenen zeichnen ein sehr düsteres Bild von den russischen Straflagern, die in ihren Grundstrukturen bis heute auf die berüchtigten Gulags aus früheren Zeiten zurückgehen. Trotz einiger Reformen "hat es noch immer mehr oder weniger das Rückgrat des Sowjetsystems", sagt Oleg Koslowski von Amnesty International.
    Konstantin Kotow, ein Aktivist, der mehr als ein Jahr in der Strafkolonie Nr. 2 festgehalten wurde, berichtet von überfüllten Unterkünften mit bis zu 60 Männern pro Raum. Die Mahlzeiten sind einfach. Zum Frühstück habe es Haferbrei gegeben, mittags und abends Suppe, Kartoffelbrei und ein Stück Fisch oder Fleisch, sagt Kotow.

    Nawalny berichtete von oft "ungenießbaren" Mahlzeiten

    Pro Woche seien jedem Häftling zwei Eier zugeteilt worden. Obst und Gemüse seien Luxuswaren gewesen, die es in den Verkaufsstellen im Gefängnis nur selten gegeben habe. "Die Rationen sind zu klein und oft ungenießbar", beklagte Nawalny einmal.
    Alexei Nawalny im Gefängnis
    Was der Tod von Oppositionspolitiker Alexej Nawalny für Russland bedeutet. ZDFheute live berichtet über Hintergründe und Reaktionen.16.02.2024 | 29:59 min
    Insgesamt gibt es in Russland knapp 700 Haftanstalten. Bei den meisten handelt es sich um Strafkolonien mit unterschiedlichen Sicherheitsstufen. Etwa 30 bis 40 davon sind speziell für Frauen.
    Nadja Tolokonnikowa, die als Mitglied der Protest-Gruppe Pussy Riot bekannt wurde und in den Jahren 2012 und 2013 knapp 22 Monate im Gefängnis saß, wurde nach eigenen Angaben in 16 bis 18 Stunden langen Schichten zu Näharbeiten gezwungen.

    Es ist ein System der Sklaverei und es ist wirklich grauenhaft.

    Nadja Tolokonnikowa, Pussy-Riot-Aktivistin

    Bei ihrer Ankunft in der "Strafkolonie Nr. 14" habe der Gefängnisleiter sich ihr als "Stalinist" vorgestellt. Er habe ihr gesagt: "Außerhalb dieses Lagers magst du jemand sein, eine Stimme haben, Leute, die dich unterstützen und für dich sorgen. Aber hier bist du ganz und gar in meiner Macht."
    Zwei Personen stehen im Halbprofil vor der Tür zu einem Gebäude. Links eine junge Frau mit kurzem Haar, rechts ein uniformierter Polizist, der den Türgriff festhält. Beide tragen einen Mundschutz.
    Wer sich Putins autoritärem Regime entgegenstellt, nimmt hohe Risiken in Kauf. Die preisgekrönte Doku begleitet drei junge Oppositionspolitikerinnen in den Monaten vor der Parlamentswahl in Russland im September 2021.09.10.2022 | 59:44 min

    Kaum medizinische Versorgung

    Medizinische Versorgung finde laut einstigen Insassen in vielen Haftanstalten praktisch gar nicht statt. Entsprechend leidet oft die Gesundheit der Gefangenen. Auf Kara-Mursa wurden 2015 und 2017 Giftanschläge verübt. Er überlebte, trug aber bleibende Schäden davon.
    Durch öffentlichen Druck sei es in den zurückliegenden Jahren gelungen, physische Gewalt in russischen Gefängnissen einzudämmen, aber mit dem Tod von Nawalny sei nun erneut eine Grenze überschritten worden, erklärt Grigori Wajpan von Memorial. Es sei ein "beunruhigendes Signal", dass es womöglich noch schlimmer werden könnte.
    Quelle: AP

    Die Opposition in Putins Russland