Ratschinski: Wie sich die Opposition gegen Putin stemmt

    Menschenrechtler in Russland :Wie die Opposition mit der Bedrohung umgeht

    von Lukas Wagner
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    Oppositionelle leben in Russland gefährlich - der Ukraine-Krieg hat die Lage nochmal verschärft. Wie er mit der ständigen Bedrohung umgeht, erklärt Menschenrechtler Ratschinski.

    Schon vor Beginn des russischen Angriffskriegs lebten Kreml-Gegner gefährlich, doch mit der groß angelegten Invasion in die Ukraine ist die Lage für sie noch schwieriger geworden. Zuletzt wurde der Putin-Kritiker Wladimir Kara-Mursa zu 25 Jahren Haft verurteilt, weil er sich gegen den Krieg gestellt hat.
    Bei ZDFheute live spricht der russische Oppositionelle und Friedensnobelpreisträger Jan Ratschinski von einem "inakzeptablen" Vorgehen der russischen Regierung um Wladimir Putin.

    Diese Urteile sind nicht weniger als Terror. Das ist ein Versuch, die Gesellschaft einzuschüchtern, ein Versuch, die Gesellschaft dazu zu bringen, dass sie den Anweisungen der Macht folgt.

    Jan Ratschinski, Friedensnobelpreisträger mit Memorial

    Selbst in der Sowjetunion habe es keine solchen Urteile für "freigesprochene Worte" gegeben. Das Ziel sei es, die Bevölkerung so zu verunsichern, dass sie Angst habe, die eigene Meinung frei auszusprechen, erklärt der Vorsitzende der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial.

    Ratschinski: Nicht nur bekannte Kreml-Kritiker gefährdet

    Unter Druck stünden neben prominenten Oppositionellen aber auch alle anderen Bürger, die Kritik an der russischen Führung übten, sagt Ratschinski, der weiter im Land ist.
    Eines der Hauptprobleme Russlands sei es, dass es keinen politischen Raum für gesellschaftliche Diskussionen gebe, "das alles wurde vernichtet". Zu diesem Zweck seien unter anderem Wahlen gefälscht und Wahlgesetze verändert sowie politische Widersacher aus dem Weg geräumt worden:

    Alle oppositionellen Politiker sind des Landes verbannt oder sitzen im Gefängnis oder haben überhaupt keine Möglichkeit, die Gesellschaft anzusprechen. Das macht die Situation sehr schwierig.

    Jan Ratschinski, Friedensnobelpreisträger mit Memorial

    Experte sieht Entwicklung Russlands hin zu Diktatur

    Der Russland-Experte Nico Lange erklärt, dass die Verurteilungen von Oppositionellen dem Kreml dazu dienten, den im Land bestehenden Unmut zu ersticken, bevor er sich ausbreite.

    Man muss, glaube ich, konstatieren, dass Putins autoritäres Regime sich immer weiter in Richtung einer Diktatur entwickelt.

    Nico Lange, Russland-Experte

    So wurden laut Lange im Laufe des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ständig Gesetze verschärft und "harte Strafen ausgesprochen" - alles Mögliche könne bestraft werden.
    Trotzdem gebe es in Russland weiterhin "Potenzial für eine demokratische Entwicklung" und viele Menschen, die ein anderes Russland wollten.

    Memorial-Vorsitzender: Festnahme ständige Bedrohung

    Ratschinski erklärt, dass in Russland jederzeit die Gefahr bestehe, verhaftet zu werden - das gelte aktuell für jeden in Russland, der sich der Position der Regierung widersetze. Zwar wolle niemand im Gefängnis landen, doch es habe schon Zeiten in Russland gegeben, in denen nicht nur eine Gefängnis-, sondern auch die Todesstrafe gedroht habe, erklärt Ratschinski.
    Den Leuten, die damals keine Angst vor Repressalien hatten, sei es zu verdanken, dass "die russische Zivilgesellschaft noch am Leben" sei.

    Menschenrechtsorganisation Memorial Druck der russischen Behörden ausgesetzt

    Mit Blick auf die Arbeit von Memorial, das im vergangenen Jahr den Friedensnobelpreis erhalten hat, betont der Vorsitzende Ratschinski, dass Millionen Menschen darauf angewiesen seien, um über Menschenrechtsverletzungen und die Schicksale von Familienangehörigen informiert zu werden.
    Ratschinski berichtet auch von aktuellen Unterdrückungsversuchen gegen Memorial. Zuletzt habe es "perfide" und "falsche" Vorwürfe gegeben, dass die Organisation nationalsozialistisches Gedankengut salonfähig machen wolle - obwohl man sich gerade gegen Faschismus engagiere, sagt er.
    Auch hier sei Einschüchterung das Ziel gewesen, "aber das macht uns keine Angst", bekräftigt Ratschinski. Bereits kurz nach der Nobelpreisvergabe an Memorial hatte ein Moskauer Gericht die Zentrale der Organisation beschlagnahmen lassen.

    Ratschinski sieht Opposition lange nicht am Ende

    Viele Kreml-Gegner hielten diese unberechenbare Situation im Land aber aus, das verdeutlichten Umfragen, in denen sich rund 20 Prozent offen gegen den Regierungskurs aussprächen, sagt Ratschinski.



    Auch die Reaktionen auf die Gerichtsverfahren gegen verschiedene Kreml-Widersacher zeigten, dass es viele Stimmen in Russland gebe, die sich der Regierungspolitik entgegenstellten - so seien Hunderte von Menschen zur Unterstützung der Angeklagten gekommen. "Das heißt, es gibt noch Oppositionelle in Russland, sie sind nicht weniger geworden." Dennoch sei es extrem schwierig, ohne Meinungsfreiheit und andere demokratische Rechte zu leben.

    Aber wir sind immer noch da, wir arbeiten weiter.

    Jan Ratschinski, Friedensnobelpreisträger mit Memorial

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