Russland: Warum Putin Verteidigungsminister Schoigu feuert

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    General Schoigu kaltgestellt?:Warum Putin den Verteidigungsminister feuert

    Autorenfoto Nils Metzger
    von Nils Metzger
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    Putin tauscht seinen langjährigen Verteidigungsminister Sergej Schoigu aus. Von Inkompetenz bis Korruption gibt es viele Gründe. Nun bekommt die Kriegsindustrie noch mehr Einfluss.

    Militärparade zum Tag des Sieges in Russland
    Russlands Präsident Putin hat die Regierung neu geformt und Verteidigungsminister Schoigu entlassen. Nachfolger soll der bisherige Vize-Regierungschef Beloussow werden.13.05.2024 | 0:22 min
    Russlands Staatsspitze rund um Präsident Wladimir Putin ist selbst für Experten ein kaum durchdringbares Rätsel. Was wirklich im Kreml vorgeht, kann oft nur indirekt erahnt werden. Transparenz und überprüfbare Informationen: meist Fehlanzeige.
    Da lässt es doppelt aufhorchen, wenn Putin in einer Zeit, in der Russland in der Ukraine eine Offensive und Gebietsgewinne verkündet, den Verteidigungsminister entlässt. Im Rahmen einer Kabinettsumbildung wird der langjährige Ressortchef Sergej Schoigu abgelöst und durch Vize-Regierungschef Andrej Beloussow ersetzt.

    Warum kommt die Schoigu-Entlassung jetzt?

    Über eine Entlassung Schoigus wurde schon lange spekuliert, meist mit Blick auf die zahlreichen militärischen Fehlschläge bei der Ukraine-Invasion. Doch Putin hielt an seinem Top-General fest, während unter ihm immer wieder hochrangige Befehlshaber ausgetauscht wurden. Die bisherigen militärischen Leistungen der russischen Streitkräfte allein dürften also nicht ausschlaggebend gewesen sein.
    Schoigu war seit 2012 im Amt des Verteidigungsministers, zuvor bereits fast zwei Jahrzehnte lang Minister für Katastrophenschutz. Damit gehört er zum engsten Kreis der Politiker an Putins Seite. Zwar nicht sonderlich populär, war Schoigu dennoch in der russischen Öffentlichkeit bis zuletzt präsent, inspizierte Rüstungsfabriken, oder traf sich mit Verbündeten aus Iran oder Nordkorea.
    Sergej Schoigu, ehemaliger russischer Verteidigungsminister, bei einer Militärparade
    Der bisherige russische Verteidigungsminister und Putin-Vertraute Schoigu muss zurücktreten. Nachfolger wird ein Ökonom, wohl auch wegen der enormen Kriegskosten.13.05.2024 | 1:38 min
    Massive Regierungsumbildungen versucht Putin grundsätzlich zu vermeiden, setzt an Schlüsselpositionen seit vielen Jahren auf Vertraute. Der Wahlsieg im März bietet nun eine gute Gelegenheit, die Entscheidung weniger wie eine Entlassung und das Eingestehen von Fehlern, sondern wie einen üblichen Vorgang erscheinen zu lassen.
    "Indem Putin Schoigu im Rahmen der Neubestellung der Regierung ablöst, kann dieser sein Gesicht wahren", sagt Margarete Klein, Russland-Forscherin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. "Das bedeutet, dass Putin ihn nach wie vor als loyal wertschätzt."
    ZDF-Korrespondent Armin Coerper aus Tiflis
    Der Austausch des russischen Verteidigungsministers ist ein bedeutender Personalwechsel. Die Hintergründe erläutert ZDF-Korrespondent Armin Coerper.13.05.2024 | 1:15 min

    Will Putin nun die Kriegsproduktion noch weiter hochfahren?

    Für den russischen Investigativjournalisten und Geheimdienstexperten Andrej Soldatow bedeutet die Personalentscheidung eine noch stärkere Ausrichtung Russlands auf Kriegswirtschaft. Vize-Regierungschef Beloussow, ein Ökonom von Beruf, war bislang einer der engsten wirtschaftspolitischen Berater Putins. Soldatow sagt ZDFheute:

    Es ist jetzt wirklich eine militärisch-industrielle Regierung. Beloussow ist ein effizienter Bürokrat, der versteht, wie man weitere Ressourcen in das Militär fließen lässt. Faktisch bedeutet das einen sehr langen Krieg.

    Andrej Soldatow, russischer Investigativjournalist

    Schoigus Ansehen litt zunehmend unter internen Machtkämpfen und Korruptionsvorwürfen. Im April wurde etwa Vize-Verteidigungsminister Timur Iwanow mit Korruptionsverdacht verhaftet.
    Luc Walpot, ZDF-Reporter in Kiew
    "Die Ukraine ist ein Stück weit überrascht vom Vorstoß der Russen", so Luc Walpot, ZDF-Reporter in Kiew. Die Situation für die Ukraine sei angespannt, da sie lange auf "Munition warten musste".13.05.2024 | 3:40 min
    Korruption und Misswirtschaft könnten laut Soldatow auch bei der Schoigu-Entscheidung eine Rolle gespielt haben, "aber das war nicht der Hauptgrund. Putin will die russische Wirtschaft noch besser dem Militär unterstellen - und für diese Aufgabe passt Beloussow besser als Schoigu."

    Dass nun ein Technokrat ohne eigene Hausmacht im Militär ausgewählt wurde, zeigt, dass der Kreml mehr direkte Kontrolle über das Verteidigungsministerium übernehmen möchte und dass Wirtschaft und Militär stärker zusammenarbeiten sollen.

    Margarete Klein, Stiftung Wissenschaft und Politik

    Was wird Schoigus neue Aufgabe?

    Komplett geschasst wird Schoigu nicht. Er findet eine neue Verwendung als Vorsitzender des Nationalen Sicherheitsrats - mit sehr begrenzten Entscheidungsbefugnissen und vor allem ohne Zugriff auf große Finanzmittel. In den obersten Führungszirkeln hält er sich aber weiterhin.
    Der Nationale Sicherheitsrat ist nicht neu als Halde für Putin-Vertraute mit begrenztem Nutzen, Schoigus Vize dort ist Ex-Premier und Ex-Präsident Dmitri Medwedew, der seit Jahren vor allem mit Tiraden gegen den Westen auf sich Aufmerksam macht.
    Auf dem Bild sind die Gräber russischer Soldaten zu sehen.
    Im Krieg gegen die Ukraine gelten viele russische Soldaten als verschollen. Ihre Angehörigen wollen das nicht akzeptieren. Und klagen auch den russischen Staat an.08.05.2024 | 6:31 min

    Was bedeutet der neue Verteidigungsminister für den Krieg in der Ukraine?

    Das eigentliche Kriegsgeschehen wird mehr durch Russlands Generalstabschef Waleri Gerassimow geprägt als durch den Verteidigungsminister, der primär für die politischen Stellschrauben und die finanzielle Ausstattung der Streitkräfte verantwortlich ist. Die russische Volkswirtschaft ist zu immer größeren Teilen von der Rüstungsindustrie abhängig - sie trägt zu Wirtschaftswachstum und niedriger Arbeitslosigkeit bei, was Putin angesichts der internationalen Sanktionen als innen- und außenpolitischen Erfolg feiern kann.
    Experte Soldatow rechnet damit, dass die russischen Streitkräfte unter Beloussow eine nochmals größere Rolle bei den Staatsausgaben spielen werden. "Die Armee und das Militär insgesamt werden besser ausgerüstet und mehr Ressourcen dafür bereitgestellt."
    Die Kosten dafür sind immens. Allein 2024 hat der russische Staat seine offiziellen Militärausgaben um 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr erhöht. Als neuer Verteidigungsminister soll Beloussow nun sicherstellen, dass dieses wirtschaftliche Kartenhaus nicht zusammenfällt und die Ukraine an den Fertigungsstraßen der Waffenfabriken geschlagen wird. Keine guten Nachrichten für die Unterstützer der Ukraine, glaubt Expertin Klein: "Indem der Rüstungssektor gestärkt werden soll, erhöht sich auch die Gefahr für den Westen."
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    Russland greift die Ukraine an
    :Aktuelles zum Krieg in der Ukraine

    Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.
    Auf dem Bild sieht man ukrainische Soldaten von hinten.
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