Belgorod: Wie Anti-Putin-Russen für die Ukraine kämpfen

    Angriff in Belgorod:Wie Anti-Putin-Russen für die Ukraine kämpfen

    von Christian Mölling, András Rácz
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    In die russische Region Belgorod nahe der Ukraine sind Russen eingefallen, die sich gegen den Kreml stellen. Um welche Gruppen es sich handelt und was das Ziel der Aktion ist.

    Zerstörte Fahrzeuge nach einem Angriff auf die russische Grenzstadt Belgorod
    Angriff auf die russische Grenzregion Belgorod: Eine kleine Aktion mit großer Wirkung für den Kreml.
    Quelle: epa

    Bewaffnete Gruppen sind am 22. Mai aus der Ukraine in die Region Belgorod in russisches Gebiet eingedrungen und besetzten vorübergehend einige kleine Dörfer und die Kleinstadt Grayvoron. Es gelang ihnen offenbar, die russischen Grenzsoldaten zu überraschen und zu überrennen und einige von ihnen gefangen zu nehmen. Während des Einmarsches benutzten sie von der Ukraine eingesetzte Militärfahrzeuge, von denen einige vom Westen geliefert wurden.
    Die Operation, die in Wirklichkeit kaum mehr als ein kleines Grenzgefecht ist, fand in den Medien sowohl in der Ukraine als auch in Russland und in anderen Teilen der Welt große Beachtung. Die Ukraine nutzte die sozialen Medien geschickt, um die Bedeutung des Angriffs hervorzuheben und sich über die angeblich inkompetenten russischen Streitkräfte lustig zu machen.

    Milizen mit rechtsextremem Hintergrund



    Mit diesem Angriff gelang es Kiew auch, die öffentliche Aufmerksamkeit - sowohl im In- als auch im Ausland - von der Tatsache abzulenken, dass Bachmut laut Kreml nach fast zehnmonatiger Verteidigung gefallen ist.
    [Bachmut von Russland eingenommen? Moskau sagt ja, Kiew widerspricht]
    Karte: Russland, Ukraine, Belgorod
    Karte: Russland, Ukraine, Belgorod
    Quelle: ZDF

    Belgorod: Eingedrungene Russen kämpfen für die Ukraine

    Die ukrainische Regierung behauptet, dass es sich bei den Kämpfern, die nach Russland eindrangen, ausschließlich um Russen handelte, sodass dies eine russische Operation gegen das Putin-Regime sei. Kiew hatte wiederholt erklärt, dass die kremlfeindlichen Russen auf eigene Faust gehandelt haben.
    Das ist nicht komplett falsch. Unter den Angreifern, die nach Russland einmarschiert sind, gibt es zwei Formationen, die sich aus ethnischen Russen zusammensetzen, aber auf der Seite der Ukraine kämpfen. Bei der einen handelt es sich um die "Legion der Freiheit Russlands", bei der anderen um das "Russische Freiwilligenkorps". Ihre Gesamtzahl liegt wahrscheinlich bei mehreren Hundert, aber die Gruppe, die nach Russland übergesetzt ist, war offensichtlich kleiner.

    Operation wohl nicht ohne Zustimmung Kiews

    Es scheint sich also um eine von der Ukraine genehmigte Operation zu handeln. Der Grund dafür ist, dass beide beteiligten russischen Verbände integraler Bestandteil der ukrainischen Streitkräfte sind und dem ukrainischen Kommando unterstehen.
    Die "Legion der Freiheit Russlands" ist Teil der "Internationalen Legion des Territorialen Verteidigungskommandos der Ukraine", und ihre Mitglieder sind offiziell Vertragssoldaten. Das "Russische Freiwilligenkorps" untersteht Berichten zufolge der 108. Brigade der ukrainischen Streitkräfte und wäre somit eine reguläre Militäreinheit.



    Es ist äußerst schwer vorstellbar, dass zwei Einheiten der ukrainischen Streitkräfte unabhängig voneinander und willkürlich beschließen könnten, Russland anzugreifen und Teile seines Territoriums zu übernehmen, ohne dass ihre Befehlshaber eine eindeutige Ermächtigung erteilt hätten.
    Die ukrainische Leugnung hat wahrscheinlich auch etwas von Trolling. In der Tat ähnelt die Art und Weise, wie die Ukraine über diese Operation kommuniziert, stark dem Vorgehen, wie Russland acht Jahre lang offiziell seine Beteiligung an den Aufständen im Donbass geleugnet hat.

    Moskau spielt den Vorfall herunter

    Der Einmarsch hat bisher kein sichtbares Eskalationspotenzial. Russland beabsichtigt offenbar, ihn herunterzuspielen, anstatt zu eskalieren. Hätte Russland eine Eskalation gewollt, hätte Moskau das Militärbündnis "Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit" sowie die militärische Komponente des Unionsstaates mit Belarus mobilisieren oder einen Teil seiner Nuklearstreitkräfte zur Abschreckung demonstrativ verlegen können. Außerdem hätte der Überfall sogar als Vorwand für eine weitere Mobilisierungswelle dienen können. Doch nichts von alledem ist geschehen.
    Kämpfe in Grenzregion Belgorod: Was ist geschehen?
    Stattdessen behandelt Russland den Fall als einen Akt des Terrorismus, ähnlich wie die Aktionen der tschetschenischen Rebellen während der Tschetschenienkriege. Durch die Verwendung des Begriffs "Terrorismus" kann der Kreml vermeiden, zuzugeben, dass ukrainische Streitkräfte erfolgreich russisches Hoheitsgebiet angegriffen haben. Moskau hat Einheiten der Nationalgarde (Rosgwardija) eingesetzt, um gegen die Angreifer vorzugehen.
    In Anbetracht der großen Reserven der Rosgwardija ist es sehr wahrscheinlich, dass der Überfall bald beendet sein wird. Dennoch war dies ein schwerer Schlag für die Glaubwürdigkeit der russischen Streitkräfte im Allgemeinen und des Grenzschutzes im Besonderen.
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