Katastrophenschutz: Wie baut man Gebäude erdbebensicher?

    Interview

    Katastrophenschutz:So baut man Gebäude erdbebensicher

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    Wieder Erdbeben in der Türkei und in Syrien. Wieder viele Tote, die unter den Trümmern begraben sind. Wie können Gebäude und damit Menschen vor Erdbeben geschützt werden?

    Ein Mann geht über die Trümmer eingestürzter Gebäude. Die Zahl der Toten nach den Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet ist auf mehr als 25 000 gestiegen.
    Naturkatastrophen: Wie funktioniert erdbebensicheres Bauen?
    Quelle: dpa

    ZDFheute: Die Erdbeben in Syrien und in der Türkei haben unfassbares Leid angerichtet. Hätte man die Menschen schützen können oder ist man dem schutzlos ausgeliefert?
    Norbert Gebbeken: Man ist dem überhaupt nicht schutzlos ausgeliefert. Man kann das Erdbeben nicht vorhersagen, das ist richtig. Wir wissen aber aufgrund der geophysikalischen Untersuchungen und der Seismologie, wo die gefährdeten Zonen weltweit sind. Und deswegen muss man in diesen Gebieten erdbebensicher bauen oder gar nicht bauen.
    Die Türkei ist auf dem neuesten Stand der Technik, hat eine aktuelle Erdbebennorm und ausgewiesene Erdbebenspezialisten, um ihre Gebäude erdbebensicher zu machen. Es gab vor einigen Jahren eine gezielte EU-Förderung, die die energetische Gebäudesanierung mit der Erdbebenertüchtigung koppelte.

    Doch durch Korruption und mangelnde Überwachung der Bauvorschriften ist das für die Erdbebenertüchtigung vorgesehene Geld verschwunden. Viele Menschen haben das mit dem Tod bezahlt.

    Norbert Gebbeken, Experte für erdbebensicheres Bauen

    ZDFheute: Weltweit leben mehr als zehn Prozent der Menschen in teils stark gefährdeten Erdbebengebieten. Wie kann man ihre Häuser schützen?
    Gebbeken: Um Gebäude zu schützen, brauchen wir möglichst symmetrische Grundrisse, sodass das Gebäude sich in allen Richtungen gleich verhält. Warum? - Weil wir nicht wissen, von wo das Erdbeben kommt. Wenn man direkt am Epizentrum baut, schlägt die Bodenwelle zum Beispiel direkt von unten ins Gebäude. Deswegen müssen alle Wände und Stützen übereinanderstehen.
    Außerdem sind die Statik und die Auswahl der Baumaterialien entscheidend.

    Wenn wir erdbebensicher bauen, dann bauen wir nicht schadensfrei, sondern unser Schutzgut ist immer der Mensch. Also: Das Gebäude darf einen Schaden erleiden, aber nicht einstürzen.

    Norbert Gebbeken, Experte für erdbebensicheres Bauen

    Norbert Gebbeken
    Quelle: BayIka-Bau, Tobias Haase

    ...leitet die Forschungsgruppe Bau-Protect an der Universität der Bundeswehr in München. Er ist Experte für erdbebensichere Baukonstruktionen. Seit 30 Jahren ist Gebbeken im baulichen Bevölkerungsschutz tätig, nicht nur im Bereich Erdbeben, sondern auch anderer Naturgefahren wie Tornados oder Hochwasser bis hin zu Sabotage oder Terror.

    ZDFheute: Welche Baumaterialien sind besonders gut, um Gebäude erdbebensicher zu machen?
    Gebbeken: Alle Materialien, die in der Lage sind, große Verformungen mitzumachen. Grundsätzlich können wir mit Holz sehr gut bauen. Holz ist leicht und verformbar. Auch Stahl ist sehr gut verformbar. Aber wir können nicht jedes Gebäude nur aus Stahl bauen. Deshalb brauchen wir Stahlbeton. Mit diesem Baustoff werden 70 bis 80 Prozent unserer Gebäude gebaut. Beton kann sehr gut Druckkräfte aufnehmen, aber keine Zugkräfte. Um das auszugleichen, ist im Stahlbeton Bewehrungsstahl mit drin, der aber erdbebenangepasst konstruiert und verarbeitet werden muss.



    ZDFheute: Ab welcher Erdbebenstärke hilft auch die beste Bauweise nicht mehr?
    Gebbeken: Es gibt Grenzen, aber die lassen sich nicht an der Erdbebenstärke festmachen. Für uns ist interessant, was der Boden an der Oberfläche mit den Fundamenten macht. Unser wesentliches Maß ist die Erdbebenbeschleunigung.
    Etwa ab einer Beschleunigung von vier bis fünf ist es wirtschaftlich günstiger, zwischen die Fundamente und dem Gebäude eine Erdbebenisolierschicht einzubauen, sogenannte Erdbebenlager. Das funktioniert sowohl bei Neubauten, als auch bei Bestandsbauten. Also auch im Nachhinein können Gebäude vor Erdbeben geschützt werden.
    Und an extrem gefährdeten Orten müssen wir Bauverbote erteilen. Weil wir da Bodenbewegungen haben, vor denen man sich gar nicht schützen kann, wie zum Beispiel hier an den seismischen Verwerfungen, den so genannten Bruchkanten. Die Natur verhält sich immer natürlich.

    Wenn es zu Katastrophen kommt, dann hat sich der Mensch falsch gegenüber der Natur verhalten. Denn wir siedeln da, wo Hochwasser oder Erdbeben ein Risiko darstellen.

    Norbert Gebbeken, Experte für erdbebensicheres Bauen

    ZDFheute: Durch die Klimakrise nehmen Extremwetterereignisse insgesamt zu. Also auch Überflutungen und Stürme. Können Maßnahmen, die gegen Erdbeben schützen, Maßnahmen für z.B. den Hochwasserschutz ausschließen?
    Gebbeken: Für einen umfassenden Bevölkerungsschutz müssen wir einen "All-Gefahren-Ansatz" betrachten. Das heißt: Beim Erdbebenschutz soll auch direkt der Schutz vor Hochwasser oder Stürmen mitgedacht werden. Bei Hochwasser und Erdbeben kriegen wir keine Synergie, wenn wir hydrodynamische Kräfte berücksichtigen. Aber wir kriegen auf jeden Fall Synergie bei Erdbeben, Stürmen und Kriegswaffen. In Afghanistan haben wir festgestellt, dass dicke Wände, die vor Kriegswaffen schützen sollen, gleichzeitig auch vor Erdbeben schützen.
    Tausende werden nach den Erdbeben in der Türkei und Syrien noch vermisst:
    ZDFheute: Katastrophenschutz kostet Geld. Wie können sich das ärmere Länder leisten?
    Gebbeken: In Europa gibt es finanzielle Hilfen, mit denen Gebäude energetisch saniert und gleichzeitig erdbebensicher gemacht werden sollen. Außerhalb von Europa braucht es natürlich auch Unterstützung von z.B. der Weltbank. Aber: Selbst in Europa verschwindet das Geld und wird nicht für das eigentliche Ziel eingesetzt und als Folge werden die Menschen nicht geschützt.
    Was also wichtig ist: Die Kontrollmechanismen müssen funktionieren. Man könnte das deutsche Baurecht als Musterbeispiel für sicheres Bauen anführen.
    ZDFheute: Ein Ausblick: Werden nach der Katastrophe in der Türkei und Syrien nun alle Gebäude erdbebensicher aufgerüstet?
    Gebbeken: Ich bin ehrlich: Das Vergessen geht ganz schnell. Denken wir an die Erdbeben-Katastrophe auf Haiti. Das Land leidet immer noch unter den Folgen. Wer redet noch von Haiti? Niemand.
    Wenn sich die Strukturen in der Türkei nicht ändern, es weiterhin kein Baurecht und keine Bauprüfung wie z.B. in Deutschland gibt und die Korruption wieder die Oberhand gewinnt, dann verschwindet das Geld dort wiederum. Da sehe ich die EU in der Pflicht, das künftig zu überwachen. Sie sehen: Mein Glaube ist beschränkt, aber meine Hoffnung nicht.
    Das Interview führte Katharina Schuster, Reporterin der ZDFheute.

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