Eine FDP-Klimapersonalie, die Fragen aufwirft

    Liberale Klimapolitik:Eine FDP-Klimapersonalie, die Fragen aufwirft

    von Werner Doyé, Maximilian Hübner, Nathan Niedermeier
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    Immer wieder schießt die FDP bei Klimabeschlüssen der Ampel quer. Das wirft Fragen auf. Auch danach, wer die Partei bei Klimafragen berät. Dabei fällt eine Personalie auf.

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    Wer berät die Partei? 25.04.2023 | 8:05 min
    Ob beim Thema Atomausstieg, bei den E-Fuels oder in der Heizungsdebatte: In der Energie- und Klimapolitik geht die FDP in der Ampel regelmäßig auf Konfrontationskurs. Erst am Wochenende war das beim Parteitag der Liberalen in Berlin zu beobachten, als das Thema Heizungstausch die Gemüter der Delegierten erregte.
    Auch beim Klimaschutzgesetz der Regierung stellte sich die FDP zuletzt quer. Jetzt sollen einzelne Sektoren die ursprünglich vereinbarte CO2-Obergrenze unter bestimmten Bedingungen doch reißen dürfen.

    Wer berät die Liberalen in Klimafragen?

    Der Expertenrat für Klimafragen, der die Bundesregierung berät, kritisierte die Änderungspläne der Ampel beim Klimaschutzgesetz. Die stellvertretende Ratsvorsitzende Brigitte Knopf sprach Mitte April davon, dass die Überarbeitung "das Klimaschutzgesetz schwächt". Laut Expertenrat sinken die CO2-Emissionen in Deutschland zu langsam.
    Damit steht das politische Handeln der FDP den Einschätzungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Expertenrats entgegen. Das wirft die Frage auf: Auf welcher wissenschaftlichen Expertise fußt dann die Klimapolitik der FDP im Bundestag?
    "Das ist Inhouse-Expertise und externe Expertise. Genau, so machen das wahrscheinlich alle", antwortet FDP-Fraktionschef Christian Dürr im Gespräch mit ZDF frontal.

    Umstrittener FDP Klimareferent

    Zu dieser Inhouse-Expertise gehört auch Steffen Hentrich. Er arbeitet seit 2017 für die FDP-Bundestagsfraktion - erst als Referent für Umweltpolitik, heute zuständig für Klimapolitik. Es ist eine Personalie, die Fragen aufwirft.
    Als fachliche Berater sind solche Fraktionsreferenten in Gesetzgebungsprozesse eingebunden und genießen einen gewissen Expertenstatus weil sie sich, anders als Abgeordnete, voll und ganz auf ein Themenfeld konzentrieren können. Im Fall von Hentrich sind das die Klimathemen, mit denen sich die FDP-Bundestagsfraktion und die ganze Bundesregierung befasst: etwa E-Fuels, Verbrenner, Heizungen oder Emissionshandel.
    Lukas Köhler, als FDP-Fraktionsvize zuständig für Klimapolitik, beschreibt Hentrichs Rolle ZDF frontal so:

    Steffen Hentrich ist in seiner Funktion wie jeder Referent immer dabei, wenn wir Diskussionen auch fachlicher Natur führen. […] Ich kenne Steffen Hentrich als jemanden, der ganz klar auch uns dabei hilft, die Klimapolitik weiter voranzubringen.

    Lukas Köhler, FDP

    Skepsis an Klimakrise und Klimanotstand

    Aber von welcher Haltung zum Klimawandel ist der Referent bei der Befassung mit diesen Themen für die Fraktion getrieben?
    Hentrichs Arbeit findet eigentlich im Hintergrund statt - und doch ist er in der Vergangenheit immer wieder auch öffentlich in Erscheinung getreten. Etwa im November 2019 bei einer öffentlichen Podiumsdiskussion auf dem sogenannten "Battle of Ideas" in Berlin. Dort fielen von Hentrich Sätze wie diese: "Ich denke nicht, dass wir eine Klimakrise oder einen Klimanotstand haben. Ich denke, wir haben eine Krise der Klimapolitik, weil Politiker von den Aktivisten getrieben werden."

    Ich denke, das 1,5- oder 2-Grad Ziel mag ein gutes politisches Ziel sein, aber es ist kein wissenschaftliches Ziel.

    Steffen Hentrich, klimapolitischer Referent der FDP-Fraktion

    Es sind Sätze, die Klimawissenschaftler wie Professor Stefan Rahmstorf vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung alarmieren: "Die Aussage, dass die Pariser Ziele keine wissenschaftlichen Ziele sind, ist letztlich irreführend, weil es suggeriert, dass es eigentlich keinen guten wissenschaftlichen Grund dafür gibt. Den gibt es natürlich."

    Klimaforscher kritisiert Hentrichs Tweets

    Auch auf Twitter äußert Hentrich sich immer wieder öffentlich zum Klimawandel. So kommentierte er einen Artikel zum Zusammenhang von Extremwetterlagen und Klimawandel wie folgt:
    Hentrich zu Klimawandel-Folgen
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    Stefan Rahmstorf hört solche Äußerungen nicht zum ersten Mal. Er stellt klar: "2021 war schon völlig klar, dass Extremwetterereignisse weltweit durch die Erderwärmung zunehmen. Hitzewellen ohnehin, die sind in den Monatswerten heute 90-mal häufiger als noch vor einigen Jahrzehnten."
    Auch in den vergangenen zwei Jahren teilte Hentrich auf Twitter Blogeinträge, die behaupten, der Klimawandel habe unter dem Strich eher einen positiven Effekt oder aber solche, die eine Zunahme von Dürren, Hitzewellen und Extremniederschläge als Folge des Klimawandels in Abrede stellen.

    Diese Aussagen sind letztlich alles alte Ladenhüter aus der sogenannten Klimaskeptiker-Szene, die hundertfach von der Wissenschaft schon widerlegt worden sind.

    Stefan Rahmstorf

    ZDFheute-KlimaRadar
    :Daten zum Klimawandel im Überblick

    Wie hat sich das Klima bereits verändert? Wie viel CO2 haben die Länder seit 1990 eingespart? Die wichtigsten Zahlen im KlimaRadar von ZDFheute.
    von Moritz Zajonz
    Fünf Icons mit Fabrikschlot, Blitz, Thermometer vor Deutschland und Weltkarte, und einem Haus über Wellen. Im Hintergrund ein Braunkohlekraftwerk.
    Grafiken

    Auftritt von 2013 wirft Fragen auf

    In den Fokus rückt auch eine Veranstaltung von 2013 zur Vorstellung eines Gegenberichts zum Bericht des Weltklimarats. Es ist ein Manifest der Klimawandelleugner-Szene mit dem Hauptautor Fred Singer. Ein Foto der Veranstaltung zeigt Steffen Hentrich, direkt neben Singer sitzen, einem Urvater der Szene.
    Singer trat immer wieder bei Veranstaltungen auf von EIKE (Europäisches Institut für Klima & Energie e. V.) und CFACT (Committee for a Constructive Tomorrow), zwei Lobbyorganisationen, die den menschengemachten Klimawandel vehement bestreiten. Für EIKE schrieb auch Hentrich selbst, zuletzt 2012, als Autor mehrere Artikel oder trat als Redner auf Veranstaltungen auf.
    Diese Organisationen stünden in einem "diametralen Gegensatz zur Klimapolitik, der sich die Bundesregierung und damit auch die Koalitionsparteien verpflichtet haben", urteilt Dieter Plehwe, Politikwissenschaftler am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.

    FDP: Politiker entscheiden, nicht Referenten

    Ein Referent für Klimapolitik, der Nähe zu Organisationen pflegte, die Lobbyarbeit gegen Klimapolitik machen? Und Aussagen von Klimaskeptikern teilt? Was sagt die FDP dazu? Fraktionschef Christian Dürr macht - angesprochen auf den Fall Hentrich - deutlich, dass es Politiker seien, die die Entscheidungen treffen. Nicht Referenten.

    Nicht Referentinnen und Referenten werden gewählt, sondern Abgeordnete werden gewählt. 

    Christian Dürr, FDP

    Und sein Stellvertreter Lukas Köhler betont: "Steffen Hentrich hat in seiner Funktion noch nie in irgendeiner Weise den Klimawandel selber infrage gestellt." ZDF frontal bat Steffen Hentrich schriftlich, zu seinen Verbindungen und Aussagen Stellung zu nehmen. Stellvertretend für ihn antwortet die Pressestelle der FDP: 

    Der Stand der Klimaforschung und der Wissensstand der Menschen verändert sich über die Jahre, deswegen müssen Menschen daraus folgend auch ihre Haltung und Positionen ändern können. 

    Pressestelle FDP

    Für Stefan Rahmstorf sind die Äußerungen und Kontakte hingegen ein bedenkliches Signal:

    Wenn eine Partei einen Klimareferenten beschäftigt, der überhaupt leugnet, dass es eine Klimakrise gibt, dann signalisiert das für mich, dass diese Partei nicht wirklich den Klimaschutz voranbringen möchte, sondern ihn eher sabotieren.

    Stefan Rahmstorf, Klimaforscher Uni Potsdam

    Mehr zu dem Thema sehen Sie auch in der aktuellen Folge der Anstalt:
    Die Anstalt vom 25. April 2023
    Max Uthoff, Claus von Wagner, Julia Gámez Martin, Judith Richter und Samira El Ouassil nehmen den deutschen Straßenverkehr unter ihre satirische Lupe. 25.04.2023 | 43:50 min

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