Darf man die Kosten des Ukraine-Krieges für Deutschland nüchtern beziffern? Und was kommt heraus, wenn man es tut?
Angesichts der Tausenden Menschen, die in dem nun ein Jahr andauernden Krieg in der Ukraine ihr Leben verloren haben, der unzähligen, die ihr Zuhause, ihr Hab und Gut und ihre Liebsten verloren haben, erscheint es deplatziert und geradezu geschmacklos, eine Kostenaufstellung in Euro zu machen.
DIW: Deutschland verliert an Wirtschaftsleistung
Und doch kann man es - muss man es sogar. Die Auswirkungen des Kriegs erstrecken sich weit über die Grenzen hinaus. So dass sie auch in einem so ein großen wirtschaftlich erfolgreichen Land wie Deutschland deutliche Spuren hinterlassen.
Das sagt Marcel Fratzscher, Ökonom und Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). "Und wir werden in diesem und im nächsten Jahr auch nochmal wirtschaftliche Leistung verlieren."
Das Bemühen um Unabhängigkeit von Russlands Gas hat die Energiepreise in Deutschland in die Höhe schnellen lassen. Dadurch, dass wir nun mehr für die Energieimporte zahlen müssen, bleibt letztendlich weniger von dem, was wir produzieren, um den eigenen Lebensstandard zu stützen.
Die Folgen des Ukraine-Krieges und die Inflation sind Hintergrund der schwierigen Wirtschaftslage. Doch die Bundesregierung hat die Prognose 2023 auf ein leichtes Plus angehoben.
Inflation, Energiekosten, teure Lebensmittel treffen arme Menschen
In Deutschland trifft der Krieg in der Ukraine vor allem die Menschen mit mittleren und niedrigen Einkommen. "Die Kosten sind ungleich verteilt. Die höhere Inflation, also die Preissteigerung trifft die mit geringem Einkommen sehr viel stärker, weil die einen höheren Anteil des monatlichen Einkommens für Energie und Lebensmittel ausgeben. Für die Dinge, die besonders teuer geworden sind", so Fratzscher.
Um Haushalte zu unterstützen und Arbeitsplätze zu sichern, hat die Ampel-Koalition Entlastungspakete in Höhe von rund 100 Milliarden Euro geschnürt. Weitere 200 Milliarden Euro - ein sogenannter Abwehrschirm - sollen zusätzlich die Energiekosten dämpfen. Damit, so Fratzscher, hat der deutsche Staat zwar viel geholfen, mehr als viele anderen Länder - doch nicht zielgenau.
Im Interview erklärt der DIW-Chef, warum Inflation und hohe Preise gerade Menschen mit geringen Einkommen treffen:
DIW-Chef Marcel Fratzscher zur Wirtschaftsentwicklung.
Kosten für Kommunen in Milliardenhöhe
Dazu kommen Hilfen für die aus der Ukraine Geflüchteten. Sie brauchen Unterkünfte, Verpflegung, Lebenshaltungskosten, Kinderbetreuung, Gesundheits- und Pflegekosten. Im letzten Jahr unterstützte der Bund die Länder und Kommunen mit 3,5 Milliarden Euro. Für dieses Jahr wurden 2,75 Milliarden Euro zugesagt.
In dem Leid der geflüchteten Ukrainer eine Lösung für den deutschen Fachkräftemangel zu sehen - erscheint zunächst zumindest befremdlich und ehrlicherweise auch zeitlich noch weiter weg.
Doch, so Marcel Fratzscher, "wenn man aus rein wirtschaftlicher Perspektive auf die Geflüchteten blickt, muss man sagen: In den ersten fünf Jahren gibt der Staat mehr Geld aus, als diese Menschen an Steuern und Sozialbeiträgen zurückzahlen. Aber, wenn mehr als 50 - 60 Prozent in Arbeit kommen, dreht sich das um."
Seit Kriegsbeginn kontert die EU Russlands Angriff auf die Ukraine mit Sanktionen. Nun soll ein weiteres geschnürt werden. Warum die alte Einigkeit bröckelt:
Fratzscher: Firmen müssen globale Lieferketten neu aufstellen
Und nach dem Ende des Krieges? Von dem noch niemand weiß, wann das sein wird? Klar jedoch ist jetzt schon: Die Auswirkungen hallen noch lange nach.
"Er zwingt deutsche Unternehmen, die globalen Lieferketten neu aufzustellen. Auch das braucht viele private Investitionen und Zeit."
Wiederaufbau der Ukraine kostet rund 720 Milliarden Euro
Wie viel der Wiederaufbau der Ukraine kosten wird, lässt sich momentan kaum absehen. Auf der Ukraine-Konferenz im italienischen Lugano im Juli 2022 bezifferte der ukrainische Regierungschef Denys Schmyhal die notwendigen Mittel für den Wiederaufbau auf rund 720 Milliarden Euro.
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