Russlands Invasion in der Ukraine begann schon vor 2022 - und zwar auf der Krim. Kiew will die Halbinsel zurückerobern. Doch ist das realistisch? Was Experten sagen.
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Seit Russlands völkerrechtswidrigem Vorgehen strebt die Ukraine die Rückeroberung der strategisch wichtigen Halbinsel im Schwarzen Meer an. An diesem Ziel hält auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj weiterhin fest. Er will alle ukrainischen Gebiete, die von Russland annektiert wurden, befreien, einschließlich der Krim. Erst dann könne in der Ukraine Frieden einkehren, bekräftigte Selenskyj Ende Februar.
Wie realistisch ist die Rückeroberung der Krim?
Der ukrainische Präsident hat angekündet, die Krim von Russland zurück erobern zu wollen. Am Dienstag hatte es ungeklärte Explosionen auf einer russischen Militärbasis gegeben.
"Die militärische Rückeroberung ist in absehbarer Zeit nicht realistisch", erklärt Ukraine-Experte André Härtel von der Stiftung Wissenschaft und Politik ZDFheute. Denn: Für die ukrainische Militärführung gehe es zunächst vor allem um die Öffnung des Korridors, den die Russen in den ersten Wochen nach der Invasion zwischen der Krim und den schon nach 2014 besetzten Gebieten erobert hatten.
Sollte die Ukraine diesen Korridor aber öffnen können, wäre die Krim wieder von Russland isoliert - und eine Rückeroberung etwas realistischer.
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Verteidigungsstellung der russischen Armee "sehr stark"
"Wenn die ukrainische Armee weit nach Süden vorstößt, dann sind militärische Attacken auf russische Stellungen auf der Krim leichter möglich", erklärt auch Gerhard Mangott, Experte für Sicherheitsforschung im postsowjetischen Raum von der Universität Innsbruck.
Am 18. März 2014 wurde die Krim annektiert. Wie sieht das Leben neun Jahre später auf der Schwarzmeer-Halbinsel aus?
Der ukrainischen Führung dürfte das bewusst sein - was sich auch auf ihre Prioritätensetzung auswirkt. "Die Donbass-Frage dürfte für die Ukraine in absehbarer Zeit eher die Priorität darstellen", erklärt Huseyn Aliyev, der in Glasgow zum russisch-ukrainischen Konflikt forscht, ZDFheute.
Die Experten sind sich weitgehend einig: Am aktuellen Status der völkerrechtswidrig annektierten Krim dürfte sich so schnell nichts ändern. Allenfalls ein Regime-Wechsel im Kreml könnte Bewegung in die Sache bringen, sagt Aliyev. Eine Entwicklung, mit der aktuell allerdings nicht zu rechnen ist.
Es sei nicht die Frage ob, sondern wann die Krim zurückerobert würde, "wir verstehen, dass wir nach wie vor unterlegen sind", so Andrij Melnyk, ukrainischer Botschafter in Deutschland.
Was, wenn die Krim-Frage ungelöst bleibt?
Ist dann aber - ohne Lösung in der Krim-Frage - überhaupt ein Ende des Krieges absehbar?
Gerhard Mangott hält das für möglich. "Es könnte eine Friedensregelung geben, wo die Klärung der Frage der staatlichen Zugehörigkeit der Krim für einen gewissen Zeitraum ausgesetzt wird", sagt er.
Und André Härtel merkt an:
Aktuell zeigt sich jedoch ein anderes Bild: Die Ukraine hat in den vergangenen Monaten viele Kräfte verloren - innerhalb der Truppe zeigen sich zunehmend Erschöpfungserscheinungen.
Obwohl es gegenwärtig ruhig scheint in Bachmut, ist die Lage prekär. Es fehlt an militärischem Nachschub. In ihren Häusern verschanzt, verteidigen ukrainische Soldaten ihre Stadt.
Wie steht der Westen zur Krim-Frage?
Daher sei die Kernfrage mit Blick auf die Krim, "wie schwierig es für die Ukraine sein wird, die Besatzer aus dem Donbass zu vertreiben und wie viele Ressourcen - auch Menschenleben - hierfür aufgewendet werden", erklärt Huseyn Aliyev.
Hier offenbart sich das nächste Problem: Ohne weitere, massive westliche Unterstützung wird die Rückeroberung der Krim noch unwahrscheinlicher. Es bräuchte weiterreichende Artillerie - etwa das US-amerikanische ATACMS System - und Kampfflugzeuge sowie eine substantielle Zahl westlicher Kampfpanzer.
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Doch mit Blick auf die Krim gibt es im Westen bislang keinen Konsens: Denn dieser Schritt wäre mit einem "erheblichen Eskalationsrisiko verbunden", macht Gerhard Mangott klar.
"Vielleicht könnte der Westen die Ukraine mit denselben Waffentypen beliefern, die er bereits liefert, sowie zusätzlich mit Kampfjets und Langstreckenraketen. Allerdings wird er wahrscheinlich nicht bereit sein, seine Hilfe speziell auf die Räumung der Krim bereitzustellen", fügt Huseyn Aliyev hinzu.
"Rote Linie für Moskau"
Selbst führende US-Vertreter würden eine Rückeroberung der Krim als "rote Linie für Moskau" einschätzen, bei deren Überschreiten eine nukleare Eskalation nicht auszuschließen ist, erklärt André Härtel.
Immer wieder droht der russische Präsident Wladimir Putin im Konflikt mit der Ukraine mit dem Einsatz von Atomwaffen. Die atomare Abschreckung scheint nicht mehr zu funktionieren.
Die Krim war Startpunkt der russischen Invasion auf ukrainischem Territorium - dass sie auch ihr Endpunkt sein wird, ist unter den aktuellen Bedingungen unwahrscheinlich.
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