Ukraine-Krieg: So gefährlich ist die Kritik an Putins Armee

    Ukraine-Krieg:So gefährlich ist die Kritik an Putins Armee

    Nina Niebergall
    von Nina Niebergall
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    Seit einem Jahr steht in Russland die "Diskreditierung" der Armee unter Strafe. Für tausende Russinnen und Russen hatte das Konsequenzen. Die Strafen könnten noch härter werden.

    Soldaten marschieren an Russlands Präsident Putin vorbei
    Kritik an Putins Armee kann in Russland zu hohen Strafen führen.
    Quelle: Valeriy Sharifulin/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa

    Wie schnell man in Russland ins Fadenkreuz der Justiz gerät, weiß Wladimir Kiselew nur zu gut. Er hat viele Jahre als Ingenieur in einem Rüstungsbetrieb in Nizhnij Nowgorod gearbeitet. Bis dort im November Flugblätter aufgehängt wurden, auf denen die Gewerkschaft verkündete, dass sie die russische Armee finanziell unterstützt.

    Ich bin auch Gewerkschaftsmitglied, und das Geld wird zugeteilt, ohne dass ich gefragt wurde. Dann habe ich beschlossen, diese Flugblätter einfach abzureißen.

    Wladimir Kiselew

    Ein paar Wochen später kam die Polizei. Seine Kollegen hatten ihn verraten. Aus Angst vor einem Strafverfahren, das im schlimmsten Fall mehrere Jahre Haft nach sich ziehen könnte, verließ er Russland vorübergehend. Die Anklage lautete: "Diskreditierung" der Armee.

    "Falschaussagen" und "Diskreditierung" werden bestraft

    Das steckt dahinter: Kurz nach Kriegsbeginn, am 4. März 2022 beschloss die russische Staatsduma mehrere Gesetzesänderungen, die "Falschaussagen" über die russische Armee und deren "Diskreditierung" unter Strafe stellen. Ebenso den Aufruf zu Sanktionen gegen Russland. Wer dagegen verstößt, muss mit Geld- und Haftstrafen bis zu 15 Jahren rechnen.
    Für russische Medien war es dadurch endgültig nicht mehr möglich, im Land frei zu berichten. 150 Journalist*innen verließen zwischen dem 4. und 7. März das Land, wie das russische Investigativmedium Proekt berichtete.
    Die Auslegung der Gesetze und die Höhe der Strafen scheint willkürlich. Journalist*innen, die über Kriegsverbrechen der russischen Armee berichten, können ebenso bestraft werden, wie normale Bürger*innen, die Kleidung in den Farben der ukrainischen Flagge tragen oder einen Beitrag in sozialen Netzwerken liken, der von der russischen Justiz als "diskreditierend" eingestuft wird.

    Haft wegen Bild der Tochter

    Vor einigen Tagen machte ein besonders skurriler Fall Schlagzeilen: Ein russischer Mann wurde offenbar festgenommen, weil seine Tochter ein ukrainefreundliches Bild gemalt hatte. Das berichtete die Bürgerrechtsorganisation OVD-Info.
    Im Frühjahr 2022 sollte die Sechstklässlerin in der Schule ein Bild zur Unterstützung der russischen Soldaten malen. Stattdessen aber malte sie ukrainische Kriegsopfer - und soll auf das Bild die Worte "Nein zum Krieg" und "Ruhm der Ukraine" geschrieben haben. Die Schuldirektorin rief daraufhin die Polizei.
    Seitdem sei das Mädchen laut OVD-Info den russischen Behörden auch mit kritischen Kommentaren im Internet aufgefallen. Dem Vater drohen bis zu drei Jahre Haft. Kremlkritiker Ilja Jaschin wurde im Dezember zu achteinhalb Jahren Haft verurteilt. Er hatte auf YouTube über das Massaker russischer Soldaten im ukrainischen Butscha gesprochen.
    Putin und Orban
    In Serbien, seit 2012 Beitrittskandidat, wollen viele nicht mehr in die EU. In Ungarn gibt Orbán der EU die Schuld an der Inflation. Die Sympathien zu Putin sind offensichtlich.27.10.2022 | 10:23 min

    Gesetze sollen verschärft werden

    Laut dem unabhängigen russischen Medienunternehmen Mediazona wurden zwischen März und Dezember 2022 mehr als fünftausend zivilrechtliche Verfahren eröffnet. Freisprachen gab es demnach nur in jedem achten bis neunten Fall. OVD-Info listet alle Personen auf, die strafrechtlich verurteilt wurden – viele zu mehrjährigen Haftstrafen – und kommt auf 462.

    Jede Art der öffentlichen Verbreitung falscher Informationen und öffentlicher Aktionen, die darauf abzielen, die russischen Streitkräfte, Freiwilligeneinheiten, Organisationen und Personen, die bei der Erfüllung von Aufgaben durch die russischen Streitkräfte helfen, zu diskreditieren, ist unzulässig.

    Wjatscheslaw Wolodin, Sprecher der Staatsduma auf Telegram

    Nun will Moskau noch weitergehen und die Strafen deutlich verschärfen. Während bisher eine "Diskreditierung" der Armee mit Haft bestraft werden kann, soll das künftig für alle kämpfenden Einheiten in der Ukraine gelten, also etwa für die Wagner-Söldnergruppe. Das Strafmaß soll deutlich verschärft werden. Endgültig entschieden wird über die Gesetzesänderung am 14. März.
    Montage: Abzeichen der Wagner Gruppe, rechts ein Söldner mit Schirmmütze, Sonnenbrille und Maschinengewehr in der Hand
    Die Wagner-Gruppe ist weltweit im Einsatz und kämpft im Auftrag der russischen Regierung. 02.06.2022 | 58:22 min

    Unterstützung oder Schweigen

    Wenn du plötzlich dagegen bist, dann schweigst du lieber. Oder sprich nur mit Gleichgesinnten. Die anderen haben mich sofort denunziert.

    Wladimir Kiselew

    Wladimir Kiselew, der Ingenieur aus Nischni Nowgorod, kam mit einer Geldstrafe davon. Seine Firma entließ ihn nach dem Urteil. Er sagt: Die Russinnen und Russen unterstützten Putins Kurs entweder – oder schweigen.
    Nina Niebergall berichtet als ZDF-Korrespondentin über Russland.
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    Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.
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