Scholz trifft Biden: Unerwartete Kanzlerreise in die USA

    Scholz trifft Biden:Eine unerwartete Kanzlerreise in die USA

    Elmar Theveßen
    von Elmar Theveßen
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    Kanzler Scholz und US-Präsident Biden treffen sich im Weißen Haus. Sie wollen über die Ukraine und China reden. Die Umstände des Besuches sorgen in den USA für Rätselraten.

    "Er fragte buchstäblich, ob er mal zu einem Gespräch ins Oval Office kommen könnte" - so beschreibt einer der engsten Berater des US-Präsidenten das Ende des Telefonats von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und US-Präsident Joe Biden vom 17. Januar 2023. Unser kleiner Kreis von Journalisten ist baff.
    Kurz nach der Rede von Biden in Warschau vergangene Woche haben wir Gelegenheit, mit mehreren hochrangigen Regierungsmitarbeitern zu reden. Was sie sagen, dürfen wir verwenden, ohne allerdings ihre Namen zu nennen. Scholz, so erinnert sich unser Gesprächspartner, habe gefragt, ob er nach Washington kommen könne, um "über die Strategie" zu reden, "das Gesamtbild" und "wohin das alles führt". Natürlich habe der amerikanische Präsident zugesagt, "no big deal".

    Verwunderung über kurzen Kanzlerbesuch in den USA

    Aber der Wunsch des Bundeskanzlers, der sich heute Nachmittag in Washington erfüllt, löst in den USA in Regierungskreisen und Medien doch Verwunderung aus. Eigentlich hatte Biden einen offiziellen Staatsbesuch mit allen Ehren und festlichem Bankett für die Woche vor Ostern angeboten; Scholz lehnte dankend ab zugunsten des Vieraugen-Gesprächs.
    Er ist ohne Journalisten aus Berlin angereist, öffentliche Statements sind nicht geplant, ein Hintergrundgespräch gibt es erst nach mehrfachem Drängen. Der Verband der im Weißen Haus akkreditierten Journalisten hat sich schon bei der US-Regierung beschwert: Da kommt der Anführer eines G7-Staates, aber es gibt keine Pressekonferenz, eventuell ein Interview mit "CNN".

    Will Scholz sich entschuldigen?

    Was also will Olaf Scholz? Sich vielleicht persönlich entschuldigen? Denn in dem Telefonat Mitte Januar ging es um die Lieferung von Leopard-2-Panzern an die Ukraine, für die der Kanzler amerikanische Abrams-Panzer zur Vorbedingung gemacht hatte. So kam es hier an, auch wenn die Bundesregierung das bestreitet.
    Biden fühlte sich unter Druck gesetzt, gegen den Rat seines Sicherheitskabinetts mitzuziehen. So schilderte es der Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan jetzt im US-Fernsehen erstmals öffentlich - weil man sich wundert, dass Deutschland sich nicht traute, über die Leo-Lieferung souverän zu entscheiden.

    Erwartung nach der "Zeitenwende"-Rede

    In Washington verfestigt sich der Eindruck eines Kanzlers, der über "wohin das alles führt" und "die Strategie" reden will, weil er selbst immer noch keine hat. Dabei hatte man hier nach der "Zeitenwende"-Rede vor einem Jahr die Erwartung, dass die Deutschen endlich der Führungsrolle gerecht werden, die US-Präsident Georg H.W. Bush ihnen nach dem Fall der Mauer 1989 angeboten hatte, als "partners in leadership".
    Dafür muss ein Land seine nationalen Interessen - eingebettet in die europäischen und transatlantischen Bündnisse - definieren, eine Strategie entwickeln und nötige Maßnahmen beschließen, um die Ziele zu erreichen. All das ist in Berlin immer noch in Arbeit, und darüber wundern sich auch US-Politiker, mit denen ich am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz reden konnte.

    Viele Antworten in der Sicherheitsstrategie der USA

    Kommt der Kanzler also, weil er sich vergewissern will, dass die Entwürfe seiner Strategie zu Bidens Vorstellungen passen? Fragt er nach, ob die Zustimmung in der amerikanischen Politik für die Unterstützung der Ukraine bröckelt? Droht ein Ausfall Amerikas als Führungsmacht, falls Donald Trump oder ein Trumpist die nächste Präsidentschaftswahl gewinnt?
    Und wie ernst meint der US-Präsident seine knallharten Ansagen an China? Alles legitime Fragen, die aber längst beantwortet sind, auch durch die nachlesbare Nationale Sicherheitsstrategie der USA, durch Bidens Bündnispolitik und durch seine öffentlichen Äußerungen.

    Wunsch nach einem Anwalt für osteuropäische Nato-Staaten

    Demnach erwartet Washington auch, dass sich Deutschland an Sanktionen gegen China beteiligt, wenn Xi Jinping Waffen an Wladimir Putin liefern sollte. Und man wünscht sich hier, dass die Bundesregierung sich stärker als Anwalt und Koordinator für die osteuropäischen Nato-Staaten versteht, aber die fühlen sich vom Bundeskanzler nicht wirklich wahr- und ernstgenommen.

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    Zeichen von mangelndem Selbstvertrauen

    Manche Politiker in den USA und in einigen osteuropäischen Staaten erklären sich die Berliner Zurückhaltung mit einer Illusion in Teilen der deutschen Politik, dass man sich in absehbarer Zeit mit Putins Russland auch wieder arrangieren muss. In diesem Punkt wird Olaf Scholz im Oval Office ein kristallklares "Nein" zu hören bekommen.
    Joe Biden spricht - anders als der Kanzler - offen aus, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnen muss, auch weil so viel mehr auf dem Spiel steht: die werte- und regelbasierte Ordnung, die durch Autokraten wie Putin und Xi bedroht wird.
    Dass Scholz eigens kommt, um sich das noch einmal sagen zu lassen, wird hier eher als Zeichen von Unsicherheit und mangelndem Selbstvertrauen gesehen. Denn die amerikanische Politik vertraut Deutschland und erwartet, dass es auch sich selbst mehr zutraut.
    Elmar Theveßen ist Leiter des ZDF-Studios Washington.

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