50 Sitzungen hat der UN-Sicherheitsrat bereits der Ukraine gewidmet. Im Interview erklärt UN-Direktor Gowan, warum sich die Vereinten Nationen so schwer mit dem Krieg tun.
Zum Jahrestag der russischen Invasion in der Ukraine am 24. Februar kommt die UN-Generalversammlung zusammen und will eine Resolution verabschieden. Aus diesem Anlass hat ZDF-Korrespondent Johannes Hano mit UN-Direktor Richard Gowan in New York gesprochen.
ZDFheute: Herr Gowan, welche Rolle spielen die UN-Generalversammlung und der UN-Sicherheitsrat in dieser Situation?
Richard Gowan: Der Sicherheitsrat hat innerhalb eines Jahres etwa 50 Sitzungen der Ukraine gewidmet. Aber Russland hat dort ein Veto, und das bedeutet, dass der Rat in diesem Konflikt letztlich nur eine Nebenrolle spielt.
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Der Sicherheitsrat ist im Wesentlichen ein Theater. Er ist ein Ort, an dem die Amerikaner, die Europäer und natürlich die Ukrainer dem russischen Botschafter in die Augen schauen und ihn direkt für das Vorgehen seiner Regierung kritisieren können. Es gibt aber nicht viele Anzeichen dafür, dass der Sicherheitsrat eine Lösung des Konflikts erarbeiten kann.
Die Russen nutzen den Sicherheitsrat, um mit Desinformation vor allem funktionierende Social Media Inhalte zu produzieren. Wir wissen, dass Bilder, in denen Russland die Ukraine beschuldigt, das Völkerrecht zu verletzen, viral gehen. Und die Russen wissen, dass der Sicherheitsrat Desinformation zusätzliches Gewicht verleiht.
Russlands Präsident Putin gibt in seiner Rede zur Lage der Nation dem Westen die Schuld am Ukrainekrieg. Währenddessen ist US-Präsident Biden ist in Warschau zu Gast.
ZDFheute: Wie sehen sie die Abstimmungen in der Generalversammlung? Zweimal wurde dort der Russische Angriffskrieg auf die Ukraine ja schon mit sehr großer Mehrheit verurteilt. Wie kommt es zu diesen Mehrheiten.
Gowan: Positiv ist, dass viele Länder, darunter afrikanische, lateinamerikanische und asiatische, in der UN-Generalversammlung für die Souveränität der Ukraine gestimmt und die russische Aggression verurteilt haben. Wir haben eine sehr gute Koordinierung zwischen Washington und Brüssel in Bezug auf die UN-Diplomatie gesehen. Das wäre in der Ära Trump nicht vorstellbar gewesen.
Zweitens ist das, was Wladimir Putin tut, ein so offensichtlicher Verstoß gegen die UN-Charta und die Grundprinzipien der UN, dass viele Länder, auch die, die kein besonderes Interesse an der Ukraine haben, das immer noch für schlichtweg falsch halten. Deswegen unterstützen sie die Resolutionen, die bekräftigen, dass Souveränität und territoriale Integrität Grundprinzipen der Vereinten Nationen sind.
ZDFheute: Was müssen die westlichen Verbündeten der Ukraine tun, um langfristig noch die Unterstützung des globalen Südens zu erhalten?
Gowan: Die westlichen Demokratien müssen zeigen, dass sie sich auch weiter um den Kampf gegen Armut kümmern, egal, wie viel sie für die Unterstützung der Ukraine ausgeben.
Schlecht wäre eine Situation, in der nicht-westliche Diplomaten sagen: Ihr setzt euch für die Ukraine ein, aber um arme, hungernde Menschen in Regionen wie dem Horn von Afrika schert ihr euch nicht.
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ZDFheute: China und Indien haben sich in der Generalversammlung bei der Abstimmung gegen Russland enthalten. Was bedeutet es, wenn diese beiden mächtigen, großen Länder nicht Stellung beziehen?
Gowan: Die Befürchtung im letzten Frühjahr war, dass China sich tatsächlich formell auf die Seite der Russen stellen würde. Die USA haben hinter den Kulissen sehr hart daran gearbeitet, dass China Moskau nicht unterstützt und sich stattdessen der Stimme enthält. Westliche Diplomaten hoffen, dass China sich weiterhin zurückhält und so zumindest zeigt, dass Russland nicht zu hundert Prozent von Peking unterstützt wird.
Bei Indien ist die Situation anders. Westliche Diplomaten waren frustriert, dass Indien sich in dieser Frage nicht auf ihre Seite gestellt hat. Tatsache ist jedoch, dass Indien sehr enge militärische und kommerzielle Beziehungen zu Russland unterhält.
Seit 363 Tagen tobt der Krieg in der Ukraine. Entgegen aller Vorhersagen haben die Ukrainer bislang den Russen standhalten können. Diese Willensstärke erlebt ein Arzt jeden Tag in Kiew.
ZDFheute: Viele Menschen fragen sich mittlerweile: Warum brauchen wir die UN noch, wenn sie in einem solchen Konflikt so wenig erfolgreich scheint?
Gowan: Ich finde es ziemlich irritierend, wenn Europäer so tun, als hätten sie gerade erst entdeckt, dass die UN Probleme hat. Wissen Sie, die UN hat Probleme in Afrika, sie hat Probleme in Asien. Es ist ein bisschen frustrierend, wenn die Europäer sich nur dann für die UN interessieren, wenn in Europa Krieg herrscht. Vielleicht hätten wir den Problemen der UN früher Aufmerksamkeit schenken sollen.
ZDFheute: Sehen Sie eine Chance, dass sich etwas am UN-System ändert?
Gowan: Ich denke, viele Länder würden gerne eine neue Regelung sehen, die das Vetorecht im Sicherheitsrat einschränkt, damit Russland sein Veto nicht dazu nutzen kann, dass seine Angriffe nicht verurteilt werden können. In den nächsten Jahren wird viel über eine Reform der Vereinten Nationen gesprochen werden.
Schon vor zwanzig Jahren nach der US-Invasion im Irak wurde viel über eine Reform der UN gesprochen. Vor dem Ukraine-Krieg hätte ich gesagt, die Chance auf eine Reform des Rates liegt bei einem Prozent. Jetzt ist sie vielleicht auf fünf Prozent gestiegen, was ein großer Sprung ist. Aber in Wirklichkeit sind die Chancen für eine Reform verschwindend gering geblieben.