Die WM wirft ihren Schatten voraus. Besonders ältere Spieler werden kurz vor Beginn des Winterturniers lieber einmal zu oft als einmal zu wenig geschont. Real Madrid trat die Champions-League-Reise zu RB Leipzig daher ohne den frisch gekürten Weltfußballer Karim Benzema und seinen Vorgänger von 2018, Luka Modric, an.

Den Franzosen, 34, plagt ein müder Muskel, den Kroaten, 37, ein verletzter Adduktor. Ginge es für Real ums Überleben, wären sie dennoch mit von der Partie. Aber die Titelverteidiger stehen bereits im Achtelfinale, nur ein Punkt heute fehlt noch zum Gruppensieg.

Auflaufen wird hingegen Toni Kroos, 32. Er trat letztes Jahr aus der Nationalelf zurück und kann sich dann während der WM ausruhen. Falls er das überhaupt braucht.

Denn der Deutsche agiert diese Saison durchweg "auf sehr hohem Niveau", wie ihm sein Trainer Carlo Ancelotti attestiert. Der Italiener sieht sogar noch Verbesserungen und nannte etwa Kroos’ Darbietung beim Clásico-Sieg gegen Barcelona vor anderthalb Wochen "auch defensiv sehr stark" - das ist ihm früher schwerer gefallen.

Die Presse am Königshof stimmt in die Elogen ein. "Für einen Ball kann es wenig bessere Gefühle geben, als am Fuß von Toni Kroos zu sein", dichtet die Sportzeitung "Marca“ in seiner neunten Saison als Reals Taktgeber und Organisator.

Wenn man so will, repräsentiert Kroos mit seiner ungebrochenen Stärke die ganze Elf von Real Madrid. Sie wird älter. Aber deshalb noch lange nicht schlechter.

Nach dem Abgang von Cristiano Ronaldo sah es zunächst so aus, als wäre es vorbei auch mit der Generation, die Real zwischen 2016 und 2018 zu drei Champions-League-Titeln führte. In den folgenden drei Spielzeiten schied sie meist früh und deutlich aus.

Und auch gegen Paris St. Germain im Achtelfinale 2022 wirkte Real über 150 Minuten chancenlos - bis Benzema mit drei Toren das erste von drei sagenhaften Comebacks einleitete, denen danach auch Chelsea und Manchester City zum Opfer fielen. Nach dem 1:0-Finalsieg gegen Liverpool war man wieder auf dem Thron.

Diese Saison läuft es bisher noch besser, Real ist ungeschlagen. Sogar der Abgang von Zerstörer Casemiro, jahrelang die kongeniale Ergänzung zu Kroos und Modric, konnte kompensiert werden. Für Körperlichkeit vor der Abwehr sorgt an seiner Stelle nun der 22-jährige Aurélien Tchouaméni (80 Millionen Euro von AS Monaco).

Ancelotti - ebenfalls ein Altmeister, der mancherorts schon abgeschrieben wurde - scheint die perfekte Mischung aus alt und jung gefunden zu haben. Auch menschlich passt es, im Klub spricht man vom harmonischsten Kader seit langem.

Kroos will trotzdem nur so lange bleiben, wie er sich auch wichtig fühlt. Sein Vertrag läuft zum Saisonende aus. Der Verein möchte verlängern, um ein Jahr, wie es bei Real mit über 30-Jährigen üblich ist. "Er weiß, was ich, der Klub und wir alle denken", sagt Ancelotti.

Hinter vorgehaltener Hand sind sie sich in Madrid aber keineswegs so sicher.

Als er seinen Vertrag vor vier Jahren bis 2023 ausdehnte, sprach Kroos von "meiner letzten Verlängerung". Bisher hat er seine Worte weder intern noch extern revidiert.

Kroos gilt als prinzipientreu und als einer, der sich nicht von Konventionen oder gar der Meinung anderer leiten lässt. Er hat immer betont, dass er nicht an seinem Job kleben will: "Ich sehe mich nicht mit 36 noch spielen."

Am Samstag nach dem 3:1 gegen Sevilla fiel Beobachtern auf, dass Kroos emotionaler wirkte als gewöhnlich. Er applaudierte dem Publikum und legte seine Hand auf das Klubwappen über dem Herz. Für manche sah es nach Abschiedstournee aus.

Ein Gedanke, der bei Real gerade keinem gefällt.

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