Die WM des pragmatischen Heldenfußballs

    Kommentar:Die WM des pragmatischen Heldenfußballs

    Oliver Schmidt
    von Oliver Schmidt
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    Dramen, Emotionen, aber zu selten schöne Fußballkünste: Katar 2022 war gewiss nicht die vom FIFA-Emir Infantino proklamierte "beste WM aller Zeiten", kommentiert Oliver Schmidt.

    Kommentar von Oliver Schmidt zur Fußball-WM in Katar.
    Kommentar von Oliver Schmidt zur Fußball-WM in Katar.
    Quelle: ZDF/imago

    Im Finale der Showdown zweier großartiger Vertreter des individuellen Heldenfußballs: Lionel Messi gegen Kylian Mbappé. Zwei Superstars. Der eine am Ende eines famosen Lebensweges als Leistungssportler, dem nur noch dieser Titel zur Karriere-Krönung fehlt.
    Der andere, immer noch am Anfang einer atemberaubenden Hochgeschwindigkeits-Laufbahn, könnte schon zum zweiten Mal Weltmeister werden.

    Argentinien und Frankreich auf Erfolg gepolt

    Zwei die viel weniger laufen als alle anderen, vor allem nach hinten. Zwei, die aber womöglich mit ihren Mannschaften für die perfekte sportliche Erfolgs-Symbiose stehen bei dieser WM: persönliche Weltklasse, angereichert mit mannschaftstaktischem Pragmatismus und weiteren Ausnahmekönnern.
    Argentinien und Frankreich: beide auf Erfolg gepolt, ohne sich fußballerischen Dogmen zu unterwerfen. Keine Ballbesitz-Fetischisten, keine permanenten Jäger auf Ball und Gegner im Pressing, ohne den Anspruch, ständig möglichst hoch zu verteidigen.

    Schön, aber nicht erfolgreich

    Die meist prinzipientreuen Mannschaften Deutschland und Spanien haben in der Vorrunde eines der Top-Spiele der WM geliefert, schnell und schnörkellos. Beide sind aber schon wie bei WM 2018 früh nach Hause geflogen.
    Der "schöne Fußball" hat selten Titel gewonnen. Defensive Nachlässigkeiten sind ein Problem, die Chancenverschwendung das andere.
    Tiki-Taka in der fortgeschrittenen spanischen Variante hat nicht ausgedient, braucht aber - wie alles im Fußball - Effektivität: die häufig seltenen Chancen in Tore umzuwandeln, auch bei diesem Turnier ein elementarer Erfolgsbaustein.

    Defensiv, nicht destruktiv

    Auf den ersten Blick diktiert auch in Katar die Defensive den Spielverlauf. Das Spiel gegen den Ball bleibt im Vergleich zum Spiel mit Ball das leichtere.
    Mit verschwindend geringen Ballbesitzanteilen, aber immenser Kaltschnäuzigkeit konnten Saudi-Arabien, Japan oder Südkorea für Überraschungen sorgen. Defensiv, aber trotzdem nicht destruktiv.

    Marokko kann's auch spielerisch

    Ähnliches und doch weitaus mehr hatte Marokko zu bieten: Spätestens das Halbfinale gegen Frankreich offenbarte auch den letzten Skeptikern, dass das Team aus Nordafrika in der Lage ist, spielerische Akzente zu setzen. Pragmatisch erfolgreich, bis sie ihren Weltmeister im französischen Pragmatismus fanden.

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    Als Formation war das 4-3-3 oder 4-1-4-1 vorherrschend, viel seltener waren Fünferketten in der Verteidigung zu sehen. Dazu häufig die Solo- statt der Doppel-Sechs im defensiven Mittelfeld: bei Argentinien etwa Enzo Fernández, bei Frankreich Aurelien Tchouameni und bei England Declan Rice.

    England geht den nächsten Schritt

    Hinweise auf mehr Risikobereitschaft? Überhaupt die Three Lions: im Viertelfinale raus, aber die bisher wohl größte Gefahr für Frankreichs Titelverteidigung im bisher besten Spiel der WM.
    Bei der EM 2021 noch Finalist, seinerzeit allerdings mit scheuer, minimalistischer Herangehensweise. Bei dieser WM der Fortschritt: England mit dem Mut, das eigene Talent, die eigenen offensiven Stärken auszuspielen, statt mit defensiver Herangehensweise die Sorgenzonen zu kaschieren. Nur mit dem Elfmeterschießen will es traditionell nicht klappen.
    Wenn die Defensive Titel gewinnt, dann wird es ein enges Endspiel: Argentinien wie auch Frankreich haben fünf Gegentore kassiert. Der Südamerikameister spielten drei Mal zu null, der Weltmeister im Halbfinale erstmals.

    Griezmann, nie war er besser

    Schnell umschalten können sie beide, die Franzosen dank Dembélé und Mbappé noch um einiges schneller. Und auch pragmatisch sind beide Finalisten in Erscheinung getreten. Auch personell: Frankreich mit Oldie Olivier Giroud, dem vielleicht aktuell besten Links-Offensiv-Verteidiger Theo Hernández oder der seit langem besten Version von Antoine Griezmann.
    Argentinien mit Sturmjuwel Julián Álvarez, Junior-Chef Enzo Fernández oder Marcos Acuña. Und wenn nicht der eine oder der andere Pragmatismus siegt, dann entscheidet vielleicht doch der individuelle Heldenfußball diese WM: Weltmeister dank Lionel Messi oder Kylian Mbappé?

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