Schwierige Offensive – Putins Stärke unterschätzt?

Fakten-Box | 15. Juni 2023

• Militärexperten zur aktuellen Lage

  

  Eine ukrainische Gegenoffensive wird seit langem erwartet. Mehrere westliche Militärexperten vermuten, dass diese Offensive bereits im Gang ist, die ukrainische Führung hat das aber bisher nicht bestätigt.
  
  Über mögliche Erfolge der Gegenoffensive sind sich Militärexperten noch uneinig. Der österreichische Oberst Markus Reisner sagte ntv: „Die Chancen stehen 50 zu 50“. Er und auch andere Militärexperten sorgen sich um das Nichtvorhandensein einer einsatzbereiten Luftwaffe: „Was wir hier sehen, ist ein D-Day ohne Luftwaffe, und das ist genau das Problem.“ Reisner schätzte die militärische Situation für die Ukraine als „außerordentlich prekär“ und bezeichnete die Gegenoffensive als „ernüchternd“.
  
  Andere Militärexperten sind zuversichtlicher, so auch der Ex-US-General Ben Hodges, dieser „erwarte immer noch, dass die Ukraine die Krim, das entscheidende Terrain dieses Krieges, bis zum Ende dieses Sommers befreien kann.“ Sicherheitsexperte Nico Lange sagte dem Spiegel, dass die Ukraine aktuell für ihre Gegenoffensive nur 25 Prozent ihrer Streitkräfte einsetzen würde, während Russland bereits 90 Prozent seiner Reserven im Süden nutze. Lange sei also „nach dem Verlauf der Dinge und mit Blick auf die bisher eingesetzten Ressourcen optimistisch“.
  
  Zwar wäre die russische Verteidigung gut vorbereitet, ein Durchbruch an einigen günstigen Stellen würde einen schnellen Vorstoß aber ermöglichen können, urteilt Oberst Reisner. “Wenn es wirklich gelingt, so einen Durchbruch zu erreichen, dann wird Russland dem nicht mehr viel entgegenzusetzen haben“, sagte Nico Lange dem ARD.   
  
  Zur Bedeutung der Gegenoffensive sagte Christian Mölling, Leiter des Zentrums für Sicherheit und Verteidigung, dem Magazin Stern: “Was da jetzt rauskommt aus dieser Offensive ist eigentlich relativ banal. Das definiert die Höhe des Tritts oder der Stufe, auf der man dann steht, von der aus man weitermachen kann in Richtung 2024. Die Höhe dieser Stufe ist letztendlich kriegsentscheidend.“
  
  Quelle: ap

  Bildquelle: ZDF

• Manifest für Frieden

  

  Die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht und die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer starteten im Februar auf dem Portal „change.org“ eine Petition gegen Waffenlieferungen an die Ukraine. Der mit „Manifest für Frieden“ überschriebene offene Brief wurde von mehr als 800.000 Menschen unterschrieben. In ihm wird die Bundesregierung aufgefordert, sich auf deutscher wie europäischer Ebene "an die Spitze einer starken Allianz für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen" zu setzen, statt weiter Waffen in die Ukraine zu liefern. Die Ukraine könne gegen die größte Atommacht der Welt keinen Krieg gewinnen, heißt es darin. Verhandeln heiße, "Kompromisse machen, auf beiden Seiten".
  
  Die Forderungen der Petition sind umstritten. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe, dass er derzeit keine Chance für diplomatische Initiativen zur Beendigung des Krieges in seinem Land sieht. "Ich mag jeden, der Frieden durch diplomatische Initiativen erreichen will", sagte Kuleba. "Aber wie kann eine solche Initiative funktionieren? Sollte der Preis für den Frieden darin bestehen, dass Russland in den besetzten Gebieten bleibt?"
  
  Am 25. Februar folgten tausende Menschen dem Aufruf der Initiatorinnen der Petition zu einer Demonstration in Berlin. Die Kundgebung sorgte parteiübergreifend für Kritik: Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann erklärte, auch Demonstrierende aus der rechten Szene und Verschwörungsideologen seien dem Aufruf zur Teilnahme gefolgt. Diesen Menschen bereite Wagenknecht „in voller Absicht eine Bühne". Das sei ein „durchschaubares, gefährliches Spiel". Bundesfinanzminister Christian Lindner warf den beiden Initiatorinnen vor, den russischen Angriff zu verharmlosen. "Wer der Ukraine nicht zur Seite steht, steht auf der falschen Seite der Geschichte", erklärte er.
  
  Quellen: EPD / afp / DPA / Reuters

  Bildquelle: dpa

• Kampfjets

  

  Die Ukraine drängt seit Kriegsbeginn auf die Lieferung von Kampfflugzeugen, um sich gegen die russischen Invasoren zu verteidigen. Anfangs sperrte sich die US-Regierung, aber Ende Mai signalisierte US-Präsident Joe Biden, er werde anderen Staaten die Lieferung von F-16 aus ihren Beständen erlauben.
  
  Noch ist unklar, welche Länder der Ukraine die Kampfflugzeuge zur Verfügung stellen wollen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat eigenen Angaben zufolge ein Angebot für F-16 Kampfjets auf dem Tisch liegen. "Ich habe von einigen unserer europäischen Partner bereits ein Übereinkommen für die Anzahl erhalten. Es ist ein ernsthaftes, überzeugendes Angebot." Die Regierung in Kiew warte nun auf eine endgültige Vereinbarung mit seinen Verbündeten.
  
  Polen, die Niederlande und Dänemark bereiten nach eigenen Angaben die Ausbildung ukrainischer Piloten vor. Dänemark hat seit den 1970er Jahren Dutzende Maschinen vom Typ F-16 gekauft. Das Land ist dazu bereit, einige davon der Ukraine zu geben. Die britische Luftwaffe verfügt über keine F-16-Flugzeuge. Großbritannien hat aber angekündigt, ukrainische Piloten mit einem Kampfjet-Grundlagentraining ab diesem Sommer auf die Nutzung der F-16 vorzubereiten. Das weitere Training soll in anderen Ländern stattfinden.
  
  Deutschland prüfe aktuell Optionen eines möglichen deutschen Beitrags, so der Verteidigungsminister Boris Pistorius im Mai. Dieser könne aber nur geringfügig sein, da Deutschland nicht über die in den USA gebauten Jets verfüge. Der ukrainische Verteidigungsminister, Oleksij Resnikow, schlug eine deutsche Unterstützung mit Eurofighter-Kampfjets vor. Zunächst würde die Ukraine es aber begrüßen, wenn Deutschland sich an der Ausbildung der ukrainischen Piloten an Eurofightern beteiligen würde, fügte er hinzu.
  
  Klar sei zudem, dass F-16-Lieferungen kurzfristig keine Auswirkungen auf den Krieg hätten. Langfristig werde die Ukraine damit aber näher an die militärischen Fähigkeiten der Nato herangeführt, was “für die Zukunft sehr wichtig ist", sagte die niederländische Verteidigungsministerin Kajsa Ollongren. Wenn der Krieg vorbei sei, müsse die Ukraine in der Lage sein, sich gegen ein erneutes Vorgehen Russlands zu verteidigen.
  
  Quellen: dpa / ap / AFP / Reuters

  Bildquelle: reuters

• Privatarmeen

  

  Am Wochenende hatte das russische Verteidigungsministerium angekündigt, bis zum 1. Juli alle auf Moskauer Seite kämpfenden Privatarmeen unter seine Befehlsgewalt nehmen zu wollen. Im Gegenzug sollen alle ihrer Kämpfer die gleichen Vorteile und Schutzmaßnahmen wie die regulären russischen Soldaten erhalten. Dazu gehört auch eine staatliche Unterstützung für sie und ihre Familien, sollten sie im Kampf verletzt oder getötet werden.
  
  Am Montag folgte die oft als Privatarmee von Ramsan Kadyrow, des Machthabers in Tschetschenien, bezeichnete Achmat-Gruppe der Anweisung der russischen Regierung. Laut russischem Verteidigungsministerium sei mit der Achmat-Gruppe ein Vertrag geschlossen worden, der alle paramilitärischen Einheiten unter seine Kontrolle bringen soll.
  
  Der Chef der für das russische Militär immens wichtigen Wagner-Söldner, Jewgeni Prigoschin, hatte einen Tag zuvor eine Unterschrift verwehrt. Prigoschin hatte dem russischen Verteidigungsministerium in der Vergangenheit mehrfach öffentlich Inkompetenz vorgeworfen.
  
  Der tschetschenische Machthaber Kadyrow verzichtete dagegen jüngst auf Kritik am Verteidigungsministerium. Sein Kommandeur Apty Alaudinow, der an der Vertragsunterzeichnung teilnahm, sagte, die Einheit habe in den vergangenen 15 Monaten zehntausende Freiwillige vorbereitet und in die Ukraine geschickt. Nach russischen Angaben vom Freitag führt die Achmat-Truppe eine Offensive in der Nähe der Stadt Marjinka in der ostukrainischen Oblast Donezk an.
  
  Der russische Vize-Generalstabschef Alexej Kim sagte nach der Unterzeichnung mit den Tschetschenen, er hoffe, dass andere Freiwilligeneinheiten diesem Beispiel folgen würden.
  
  Quellen: Reuters / dpa

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• Kachowka-Staudamm & Saporischschja-AKW

  

  In dem seit mehr als 15 Monaten andauernden Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ist der Zusammenbruch des Kachowka-Staudamms eine weitere Katastrophe. Nach der Zerstörung des angrenzenden Wasserkraftwerks am Dienstag der vergangenen Woche sind noch immer viele Fragen offen.
  
  Das unkontrollierte Abfließen des aufgestauten Wassers des Flusses Dnepr führte zu einem fünf Meter höherem Wasserpegel als gewöhnlich und überschwemmt dutzende Städte und Dörfer. Experten befürchten neben der akuten Zerstörung eine Langzeit-Umweltkatastrophe mit Auswirkungen auf das Trinkwasser, die Versorgung mit Nahrungsmitteln und auf Ökosysteme, die ins Schwarze Meer reichen.
  
  Zusätzlich ist unklar, welche Auswirkungen das Leerlaufen des Stausees für die angebundene Kühlwasserversorgung des Atomkraftwerks (AKW) Saporischschja hat. Befürchtet wird, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt kein frisches Wasser zur Kühlung der stillgelegten Reaktoren und des Atomabfalls mehr angepumpt werden kann. Das AKW wäre dann auf Kühlteiche angewiesen, die laut der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) zwar für mehrere Monate ausreichen würden. Experten der IAEA und anderer Organisationen sorgen sich jedoch angesichts des Kriegsgeschehens um die Sicherheit und Nachhaltigkeit dieser Zwischenlösung.
  
  Bei seinem Besuch des russisch besetzten Atomkraftwerks Saporischschja im Süden der Ukraine hat der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi, die dortige Lage als "ernst" eingestuft. "Einerseits können wir feststellen, dass die Lage ernst ist, dass es Konsequenzen gibt und dass diese real sind", sagte Grossi am Donnerstag vor Journalisten. Zugleich würden aber "Maßnahmen zur Stabilisierung" ergriffen. Grossi war am Donnerstag an der Anlage eingetroffen. Der Besuch in Europas größtem Atomkraftwerk war ursprünglich für Mittwoch geplant gewesen, wurde dann aber aus Sicherheitsgründen um einen Tag verschoben. Zuvor war Grossi am Dienstag in Kiew zu Besuch gewesen.
  
  Bereits mehrere Male besuchte Grossi das AKW seit der Besetzung durch russische Kräfte im März des vergangenen Jahres. Die Sicherheit des Kraftwerks wurde immer wieder durch Angriffe und Kämpfe in der Umgebung bedroht, für die sich Moskau und Kiew gegenseitig verantwortlich machen.
  
  Quellen: dpa, afp, ap

  Bildquelle: Reuters

• Sicherheitsperspektiven für die Ukraine

  

  Das “Weimarer Dreieck” bezeichnet ein Zusammentreffen von Regierungsvertretern aus Deutschland, Frankreich und Polen. Begründet wurde das Dreier-Treffen im August 1991 von den damaligen Außenministern Hans-Dietrich Genscher, Roland Dumas und Krzysztof Skubiszewski im thüringischen Weimar. Es diente zunächst vor allem der Heranführung Polens und anderer osteuropäischer Staaten an die Europäische Union und an die Nato.
  
  Am Montagabend trafen sich die Regierungschefs des Weimarer Dreiecks in Paris, um unter anderem über langfristige Sicherheitsgarantien für die Ukraine zu beraten. Die Ukraine hofft auf konkrete Perspektiven, damit nach dem russischen Angriffskrieg ihre Sicherheit gewährleistet ist. Die Signale aus den drei Ländern dazu sind unterschiedlich.
  
  Der polnischen Staatschef Andrzej Duda appellierte, dass die Ukraine auf ein eindeutiges Signal bezüglich einer klaren Aussicht auf die Mitgliedschaft in der Nato, warte. Dies sei die Erwartung der ukrainischen Führung und der Soldaten, die das von Russland angegriffene Land verteidigen.
  
  Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte, gegenwärtig seien die Hauptanstrengungen darauf gerichtet, die Ukraine im Abwehrkampf gegen Russland zu unterstützen. Dennoch mache die intensive Debatte über Sicherheitsgarantien Sinn. Scholz sagt: “Wir brauchen sowas, und wir brauchen es in sehr konkreter Form.”
  
  Auch der französische Präsident Emmanuel Macron zeigte sich zurückhaltender als Duda. Man wolle über die “Unterstützung der Nato für die Ukraine reden, um ihr alle Perspektiven zu geben, auf die sie ein Anrecht hat.”
  
  Macron und Duda verweisen für die Sicherheitsperspektiven der Ukraine auf den bevorstehenden Nato-Gipfel in der litauischen Hauptstadt Vilnius am 11. und 12. Juli. Auf dem Nato-Gipfel will die Ukraine eine konkrete Perspektive auf eine Aufnahme in das Verteidigungsbündnis bekommen.
  
  Quellen: dpa, afp, ap, Reuters

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